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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Möglich, daß ein ernstes Wort, von England gesprochen, seine Wirkung
thun und daS, was wir befürchten, verhindern würde. Hoffen wir, daß es ge¬
sprochen worden ist; denn unsre Wünsche sind auch unter diesen Verhältnissen
mit Italien.




Das Nachleben der Antike im Mittelalter.

Die Kunstthätigkeit der neueren Völker Europa's umfaßt nach der gewöhn¬
lichen, längst in das Bewußtsein der Gebildeten übergegangnen Annahme, zwei
scharf von einander getrennte, ja einander geradezu entgegengesetzte Perioden.
Das fünfzehnte Jahrhundert scheidet dieselben, und führt, indem es die classi¬
sche Kunst als Muster zur Nachahmung den Zeitgenossen aufstellt, den Umschwung
und damit auch den Aufschwung zur Vollendung herbei. Charakteristisch wie
für die Kunst der neueren Zeit die Verehrung und Nachbildung der Antike,
ebenso bezeichnend ist für die Jahrhunderte des Mittelalters die Unkenntnis;
derselben. Aus dieser Unkunde eben entsprang die Barbarei, welche der Bil¬
dung und den Schöpfungen des Mittelalters anklebt und uns mitleidig, wenn
nicht gar verächtlich auf dieselben zurückblicken läßt. Welche Bewandtnis; es
mit der Alterthumskunde der Renaissancekünstler habe, lassen wir vorläufig
aus sich beruhen, daß aber dem Mittelalter jegliche Kunde und mit der Kunde
auch die Achtung der Antike fehle und dieses ein allgemein giltiges Merkmal
in der Beurtheilung desselben bilde, muß schon jetzt entschieden verneint
werden.

Wenn gegenüber den wirklichen oder vermeintlichen Bestrebungen gegen¬
wärtiger Parteien, das Mittelalter in seinen Grundsätzen und Einrichtungen
wieder zu beleben, das letztere als Schreckbild geschildert wird, so kann man
dieses Vorgehen etwa aus dem Rechte der Kriegführenden, von jeder tauglichen
Waffe Gebrauch zu machen, erklären; daß aber auch da, wo der Zweck durch¬
aus nicht die Mittel heiligt, die falschen Farben angewendet werden, ist und
bleibt verdammenswerth.

Gewiß lebte auch in Männern des Mittelalters Haß und Verachtung ge¬
gen die Antike, gegen die Kunst überhaupt. Wenn man aber solche Eiferer,
wie der Abt von Se. Alban, der eherne Statuen als Teufelswerke zerschlagen,


Grenzboten I. 1662. 62

Möglich, daß ein ernstes Wort, von England gesprochen, seine Wirkung
thun und daS, was wir befürchten, verhindern würde. Hoffen wir, daß es ge¬
sprochen worden ist; denn unsre Wünsche sind auch unter diesen Verhältnissen
mit Italien.




Das Nachleben der Antike im Mittelalter.

Die Kunstthätigkeit der neueren Völker Europa's umfaßt nach der gewöhn¬
lichen, längst in das Bewußtsein der Gebildeten übergegangnen Annahme, zwei
scharf von einander getrennte, ja einander geradezu entgegengesetzte Perioden.
Das fünfzehnte Jahrhundert scheidet dieselben, und führt, indem es die classi¬
sche Kunst als Muster zur Nachahmung den Zeitgenossen aufstellt, den Umschwung
und damit auch den Aufschwung zur Vollendung herbei. Charakteristisch wie
für die Kunst der neueren Zeit die Verehrung und Nachbildung der Antike,
ebenso bezeichnend ist für die Jahrhunderte des Mittelalters die Unkenntnis;
derselben. Aus dieser Unkunde eben entsprang die Barbarei, welche der Bil¬
dung und den Schöpfungen des Mittelalters anklebt und uns mitleidig, wenn
nicht gar verächtlich auf dieselben zurückblicken läßt. Welche Bewandtnis; es
mit der Alterthumskunde der Renaissancekünstler habe, lassen wir vorläufig
aus sich beruhen, daß aber dem Mittelalter jegliche Kunde und mit der Kunde
auch die Achtung der Antike fehle und dieses ein allgemein giltiges Merkmal
in der Beurtheilung desselben bilde, muß schon jetzt entschieden verneint
werden.

Wenn gegenüber den wirklichen oder vermeintlichen Bestrebungen gegen¬
wärtiger Parteien, das Mittelalter in seinen Grundsätzen und Einrichtungen
wieder zu beleben, das letztere als Schreckbild geschildert wird, so kann man
dieses Vorgehen etwa aus dem Rechte der Kriegführenden, von jeder tauglichen
Waffe Gebrauch zu machen, erklären; daß aber auch da, wo der Zweck durch¬
aus nicht die Mittel heiligt, die falschen Farben angewendet werden, ist und
bleibt verdammenswerth.

Gewiß lebte auch in Männern des Mittelalters Haß und Verachtung ge¬
gen die Antike, gegen die Kunst überhaupt. Wenn man aber solche Eiferer,
wie der Abt von Se. Alban, der eherne Statuen als Teufelswerke zerschlagen,


Grenzboten I. 1662. 62
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[0497] Möglich, daß ein ernstes Wort, von England gesprochen, seine Wirkung thun und daS, was wir befürchten, verhindern würde. Hoffen wir, daß es ge¬ sprochen worden ist; denn unsre Wünsche sind auch unter diesen Verhältnissen mit Italien. Das Nachleben der Antike im Mittelalter. Die Kunstthätigkeit der neueren Völker Europa's umfaßt nach der gewöhn¬ lichen, längst in das Bewußtsein der Gebildeten übergegangnen Annahme, zwei scharf von einander getrennte, ja einander geradezu entgegengesetzte Perioden. Das fünfzehnte Jahrhundert scheidet dieselben, und führt, indem es die classi¬ sche Kunst als Muster zur Nachahmung den Zeitgenossen aufstellt, den Umschwung und damit auch den Aufschwung zur Vollendung herbei. Charakteristisch wie für die Kunst der neueren Zeit die Verehrung und Nachbildung der Antike, ebenso bezeichnend ist für die Jahrhunderte des Mittelalters die Unkenntnis; derselben. Aus dieser Unkunde eben entsprang die Barbarei, welche der Bil¬ dung und den Schöpfungen des Mittelalters anklebt und uns mitleidig, wenn nicht gar verächtlich auf dieselben zurückblicken läßt. Welche Bewandtnis; es mit der Alterthumskunde der Renaissancekünstler habe, lassen wir vorläufig aus sich beruhen, daß aber dem Mittelalter jegliche Kunde und mit der Kunde auch die Achtung der Antike fehle und dieses ein allgemein giltiges Merkmal in der Beurtheilung desselben bilde, muß schon jetzt entschieden verneint werden. Wenn gegenüber den wirklichen oder vermeintlichen Bestrebungen gegen¬ wärtiger Parteien, das Mittelalter in seinen Grundsätzen und Einrichtungen wieder zu beleben, das letztere als Schreckbild geschildert wird, so kann man dieses Vorgehen etwa aus dem Rechte der Kriegführenden, von jeder tauglichen Waffe Gebrauch zu machen, erklären; daß aber auch da, wo der Zweck durch¬ aus nicht die Mittel heiligt, die falschen Farben angewendet werden, ist und bleibt verdammenswerth. Gewiß lebte auch in Männern des Mittelalters Haß und Verachtung ge¬ gen die Antike, gegen die Kunst überhaupt. Wenn man aber solche Eiferer, wie der Abt von Se. Alban, der eherne Statuen als Teufelswerke zerschlagen, Grenzboten I. 1662. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/497>, abgerufen am 28.04.2024.