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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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als er. Er verfügt über keine feste Majorität im Abgeordnetenhause, und er
kann sich nur eine zeitweilige und unsichere Mehrheit durch jenes bedenkliche
Bündniß mit der äußersten Linken, d. h. mit der Partei Mazzini's schaffen,
welches durch den Eintritt von Dcpretis in das Ministerium angedeutet ist --
eine Allianz, welche theuer erkauft sein und, wie wir fürchten, unheilvolle poli¬
tische Mißgriffe zur Folge haben wird.

In der That, wir glauben, daß der neue Leiter der Politik Italiens, ohne
eine für alle Fälle sichere, hinreichend starke Partei hinter sich, von der Unter¬
stützung derer abhängen wird, die er nur durch Zugeständnisse sehr fraglicher Natur
gewinnen kann, unter seiner Fahne zu dienen, und daß er diese Zugeständnisse
in bedeutender Ausdehnung erfüllen müssen wird. Er wird ferner nicht die Macht
besitzen, irgend welchen Neigungen und Launen des Königs zu widerstehen,
denn dieser kann sich ihn in jedem Augenblick von der Seite schaffen. Er ge¬
langte in sein Amt durch die Intriguanten des Hoff, deren wir oben gedachten,
und von denen einige notorisch seine Werkzeuge sind -- und so sind seine Hände
nicht rein zu nennen. Er wird dem Kaiser der Franzosen angenehm sein, ob¬
wohl .seine Erhebung zum Premierminister nicht, wie man anfänglich glaubte,
das directe Ergebniß einer Einmischung von Paris her ist, und da er an un¬
heilbarer Schwäche leidet, so wird er leicht in die Nothwendigkeit, jedenfalls in
starke Versuchung kommen, sich unter der Hand durch Nachgiebigkeiten verschiedener
Art außer Landes Unterstützung zu suchen.

Im Allgemeinen betrachtet, ist sein Ministerium von übler Vorbedeutung
für Italien. Er kann, um eine Majorität zu schaffen, sich gezwungen sehen,
seine Zuflucht zu einer Kammerauflösung und neuen Wahlen zu nehmen,
obwohl wir glauben möchten, die Abgeordneten werden die Geduld und Rück¬
sicht haben, ihn nicht sofort zu einem solchen Schritt zu nöthigen. Muß er
diesen Schritt thun, so wird er fast mit Nothwendigkeit zu der Ungesetzlichkeit
gebracht werden, unbewilligte Steuern einzusehen; denn die Autorisation zu den
jetzigen Steuererhebungen erstreckt sich nicht über das Ende dieses Monats hinaus.
Er wird aller Wahrscheinlichkeit nach genöthigt sein, zu Freischaarenzügen der
Garibaldianer und Mazzinisten nach Dalmatien oder sonst wohin die Augen
zu schließen. Die Folge davon würde ebenso wahrscheinlich ein Angriff Oest¬
reichs auf die Lombardei sein, und dann wäre ein neuer europäischer Krieg
unvermeidlich. Endlich ist fast mit Sicherheit anzunehmen, daß er den Kaiser
der Franzosen nicht mehr wegen der Räumung Roms bedrängen wird; denn
viele von denen, welche seine Partei bilden -- die sogenannte piemontesische
Fraction, die im neuen Cabinet nicht weniger als fünf Vertreter zählt --
haben es nichts weniger als eilig, den Sitz der Negierung von Turin, wo sie
mächtig sind, nach Rom verlegt zu sehen, wo ihre Bedeutung sich aus ein
sehr geringes Maß vermindern würde.


als er. Er verfügt über keine feste Majorität im Abgeordnetenhause, und er
kann sich nur eine zeitweilige und unsichere Mehrheit durch jenes bedenkliche
Bündniß mit der äußersten Linken, d. h. mit der Partei Mazzini's schaffen,
welches durch den Eintritt von Dcpretis in das Ministerium angedeutet ist —
eine Allianz, welche theuer erkauft sein und, wie wir fürchten, unheilvolle poli¬
tische Mißgriffe zur Folge haben wird.

In der That, wir glauben, daß der neue Leiter der Politik Italiens, ohne
eine für alle Fälle sichere, hinreichend starke Partei hinter sich, von der Unter¬
stützung derer abhängen wird, die er nur durch Zugeständnisse sehr fraglicher Natur
gewinnen kann, unter seiner Fahne zu dienen, und daß er diese Zugeständnisse
in bedeutender Ausdehnung erfüllen müssen wird. Er wird ferner nicht die Macht
besitzen, irgend welchen Neigungen und Launen des Königs zu widerstehen,
denn dieser kann sich ihn in jedem Augenblick von der Seite schaffen. Er ge¬
langte in sein Amt durch die Intriguanten des Hoff, deren wir oben gedachten,
und von denen einige notorisch seine Werkzeuge sind — und so sind seine Hände
nicht rein zu nennen. Er wird dem Kaiser der Franzosen angenehm sein, ob¬
wohl .seine Erhebung zum Premierminister nicht, wie man anfänglich glaubte,
das directe Ergebniß einer Einmischung von Paris her ist, und da er an un¬
heilbarer Schwäche leidet, so wird er leicht in die Nothwendigkeit, jedenfalls in
starke Versuchung kommen, sich unter der Hand durch Nachgiebigkeiten verschiedener
Art außer Landes Unterstützung zu suchen.

Im Allgemeinen betrachtet, ist sein Ministerium von übler Vorbedeutung
für Italien. Er kann, um eine Majorität zu schaffen, sich gezwungen sehen,
seine Zuflucht zu einer Kammerauflösung und neuen Wahlen zu nehmen,
obwohl wir glauben möchten, die Abgeordneten werden die Geduld und Rück¬
sicht haben, ihn nicht sofort zu einem solchen Schritt zu nöthigen. Muß er
diesen Schritt thun, so wird er fast mit Nothwendigkeit zu der Ungesetzlichkeit
gebracht werden, unbewilligte Steuern einzusehen; denn die Autorisation zu den
jetzigen Steuererhebungen erstreckt sich nicht über das Ende dieses Monats hinaus.
Er wird aller Wahrscheinlichkeit nach genöthigt sein, zu Freischaarenzügen der
Garibaldianer und Mazzinisten nach Dalmatien oder sonst wohin die Augen
zu schließen. Die Folge davon würde ebenso wahrscheinlich ein Angriff Oest¬
reichs auf die Lombardei sein, und dann wäre ein neuer europäischer Krieg
unvermeidlich. Endlich ist fast mit Sicherheit anzunehmen, daß er den Kaiser
der Franzosen nicht mehr wegen der Räumung Roms bedrängen wird; denn
viele von denen, welche seine Partei bilden — die sogenannte piemontesische
Fraction, die im neuen Cabinet nicht weniger als fünf Vertreter zählt —
haben es nichts weniger als eilig, den Sitz der Negierung von Turin, wo sie
mächtig sind, nach Rom verlegt zu sehen, wo ihre Bedeutung sich aus ein
sehr geringes Maß vermindern würde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/496>, abgerufen am 13.05.2024.