Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Geist der Nation wider den Geist der Universitäten.
2. Die Studentenverbindungen.

Die Früchte der gepriesenen Freiheit der eximirten Stellung zeigen sich
am deutlichsten in den eigenen Manifestationen des studentischen Lebens, ins¬
besondere in den Genossenschaften innerhalb desselben. Zwar haben dieselben
zunächst den großen Vorzug vor den Institutionen, deren Durchführung den
Behörden obliegt, das; sie für ihre Satzungen eine consequente Anwendung
erzwingen, der sich der Einzelne so unvermeidlich fügen muß, daß gerade durch
diesen Gegensatz die Achtungslosigkeit der officiellen Gesetze und ihrer Organe
in das grellste Licht gestellt, wird. Die Grundsätze, welche dabei durchgeführt
werden, mögen sein wie sie wollen, jedenfalls kann man um der strengen
Durchführung willen sagen "tlivis is homo sMem". Hier zeigt sich also
doch noch die Möglichkeit, eine feste Norm des Gemeinlebens zu verwirk¬
lichen. Sieht man nun aber den Gehalt desselben näher an, so ist zunächst,
abgesehen von allen Schattirungen der verschiedenen Parteien, die Aeußerung
des geselligen Lebens im Allgemeinen eine sehr dürftige, im Verhältnisse zu
dem Aufwand von materiellen und geistigen Kräften, von Hingabe an Zeit und
Interesse, welche die Einzelnen dafür anzustrengen haben. Ein holländischer
Professor entließ seine Studenten in die Ferien mit der Ermahnung, sie möch¬
ten die Zeit, gleichviel ob zu Studien oder zum Vergnügen, mit Erfolg be¬
nutzen, und gab ihnen für beide Fälle in gleicher Weise ein Kriterium dafür,
ob es geschehen sei, an die Hand in der Bemerkung, daß nur die Zeit als
verloren zu betrachten sei, welche in der Erinnerung kein selbständiges Bild
hinterlasse. Wie viel von der Zeit, welche deutsche Studenten ihrem Zusam¬
menleben in den Genossenschaften widmen, wird wohl diese Probe bestehen
und als nicht verloren betrachtet werden können? Wenn z. B. auch nicht
überall das Kneipleben so stereotyp geregelt ist, wie in Erlangen oder Jena,
wo der richtige Bursch täglich regelmäßig in der Kneipe sitzt, so wird doch
in dem Leben auch des solidesten Verbindungsstudenten die Zahl der Abende
hundert weit übersteigen, die er in den Jahren seiner Studien so verbringt,
und sie gleichen sich in der gemüthlichen Erregung, welche sie darbieten, wie
ein El dem andern, lassen also zusammen fast nur ein einziges gemeinsames Bild
in der Erinnerung zurück, und was für eins! Wenn nicht Wechsel des Orts
und anderer äußerer Umstände einige Variationen hineinbrachte, würde die
ganze schöne Erinnerung in das chaotische Nachgefühl einer "gemüthlichen"
Stimmung zerfließen, die durch Generationen mit denselben stehenden Witzen
täglich aufgefrischt wird; "mit wenig Witz und viel Behagen, lebt man inne


Der Geist der Nation wider den Geist der Universitäten.
2. Die Studentenverbindungen.

Die Früchte der gepriesenen Freiheit der eximirten Stellung zeigen sich
am deutlichsten in den eigenen Manifestationen des studentischen Lebens, ins¬
besondere in den Genossenschaften innerhalb desselben. Zwar haben dieselben
zunächst den großen Vorzug vor den Institutionen, deren Durchführung den
Behörden obliegt, das; sie für ihre Satzungen eine consequente Anwendung
erzwingen, der sich der Einzelne so unvermeidlich fügen muß, daß gerade durch
diesen Gegensatz die Achtungslosigkeit der officiellen Gesetze und ihrer Organe
in das grellste Licht gestellt, wird. Die Grundsätze, welche dabei durchgeführt
werden, mögen sein wie sie wollen, jedenfalls kann man um der strengen
Durchführung willen sagen „tlivis is homo sMem". Hier zeigt sich also
doch noch die Möglichkeit, eine feste Norm des Gemeinlebens zu verwirk¬
lichen. Sieht man nun aber den Gehalt desselben näher an, so ist zunächst,
abgesehen von allen Schattirungen der verschiedenen Parteien, die Aeußerung
des geselligen Lebens im Allgemeinen eine sehr dürftige, im Verhältnisse zu
dem Aufwand von materiellen und geistigen Kräften, von Hingabe an Zeit und
Interesse, welche die Einzelnen dafür anzustrengen haben. Ein holländischer
Professor entließ seine Studenten in die Ferien mit der Ermahnung, sie möch¬
ten die Zeit, gleichviel ob zu Studien oder zum Vergnügen, mit Erfolg be¬
nutzen, und gab ihnen für beide Fälle in gleicher Weise ein Kriterium dafür,
ob es geschehen sei, an die Hand in der Bemerkung, daß nur die Zeit als
verloren zu betrachten sei, welche in der Erinnerung kein selbständiges Bild
hinterlasse. Wie viel von der Zeit, welche deutsche Studenten ihrem Zusam¬
menleben in den Genossenschaften widmen, wird wohl diese Probe bestehen
und als nicht verloren betrachtet werden können? Wenn z. B. auch nicht
überall das Kneipleben so stereotyp geregelt ist, wie in Erlangen oder Jena,
wo der richtige Bursch täglich regelmäßig in der Kneipe sitzt, so wird doch
in dem Leben auch des solidesten Verbindungsstudenten die Zahl der Abende
hundert weit übersteigen, die er in den Jahren seiner Studien so verbringt,
und sie gleichen sich in der gemüthlichen Erregung, welche sie darbieten, wie
ein El dem andern, lassen also zusammen fast nur ein einziges gemeinsames Bild
in der Erinnerung zurück, und was für eins! Wenn nicht Wechsel des Orts
und anderer äußerer Umstände einige Variationen hineinbrachte, würde die
ganze schöne Erinnerung in das chaotische Nachgefühl einer „gemüthlichen"
Stimmung zerfließen, die durch Generationen mit denselben stehenden Witzen
täglich aufgefrischt wird; „mit wenig Witz und viel Behagen, lebt man inne


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0117" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114973"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Geist der Nation wider den Geist der Universitäten.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> 2.  Die Studentenverbindungen.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_379" next="#ID_380"> Die Früchte der gepriesenen Freiheit der eximirten Stellung zeigen sich<lb/>
am deutlichsten in den eigenen Manifestationen des studentischen Lebens, ins¬<lb/>
besondere in den Genossenschaften innerhalb desselben. Zwar haben dieselben<lb/>
zunächst den großen Vorzug vor den Institutionen, deren Durchführung den<lb/>
Behörden obliegt, das; sie für ihre Satzungen eine consequente Anwendung<lb/>
erzwingen, der sich der Einzelne so unvermeidlich fügen muß, daß gerade durch<lb/>
diesen Gegensatz die Achtungslosigkeit der officiellen Gesetze und ihrer Organe<lb/>
in das grellste Licht gestellt, wird. Die Grundsätze, welche dabei durchgeführt<lb/>
werden, mögen sein wie sie wollen, jedenfalls kann man um der strengen<lb/>
Durchführung willen sagen &#x201E;tlivis is homo sMem". Hier zeigt sich also<lb/>
doch noch die Möglichkeit, eine feste Norm des Gemeinlebens zu verwirk¬<lb/>
lichen. Sieht man nun aber den Gehalt desselben näher an, so ist zunächst,<lb/>
abgesehen von allen Schattirungen der verschiedenen Parteien, die Aeußerung<lb/>
des geselligen Lebens im Allgemeinen eine sehr dürftige, im Verhältnisse zu<lb/>
dem Aufwand von materiellen und geistigen Kräften, von Hingabe an Zeit und<lb/>
Interesse, welche die Einzelnen dafür anzustrengen haben. Ein holländischer<lb/>
Professor entließ seine Studenten in die Ferien mit der Ermahnung, sie möch¬<lb/>
ten die Zeit, gleichviel ob zu Studien oder zum Vergnügen, mit Erfolg be¬<lb/>
nutzen, und gab ihnen für beide Fälle in gleicher Weise ein Kriterium dafür,<lb/>
ob es geschehen sei, an die Hand in der Bemerkung, daß nur die Zeit als<lb/>
verloren zu betrachten sei, welche in der Erinnerung kein selbständiges Bild<lb/>
hinterlasse. Wie viel von der Zeit, welche deutsche Studenten ihrem Zusam¬<lb/>
menleben in den Genossenschaften widmen, wird wohl diese Probe bestehen<lb/>
und als nicht verloren betrachtet werden können? Wenn z. B. auch nicht<lb/>
überall das Kneipleben so stereotyp geregelt ist, wie in Erlangen oder Jena,<lb/>
wo der richtige Bursch täglich regelmäßig in der Kneipe sitzt, so wird doch<lb/>
in dem Leben auch des solidesten Verbindungsstudenten die Zahl der Abende<lb/>
hundert weit übersteigen, die er in den Jahren seiner Studien so verbringt,<lb/>
und sie gleichen sich in der gemüthlichen Erregung, welche sie darbieten, wie<lb/>
ein El dem andern, lassen also zusammen fast nur ein einziges gemeinsames Bild<lb/>
in der Erinnerung zurück, und was für eins! Wenn nicht Wechsel des Orts<lb/>
und anderer äußerer Umstände einige Variationen hineinbrachte, würde die<lb/>
ganze schöne Erinnerung in das chaotische Nachgefühl einer &#x201E;gemüthlichen"<lb/>
Stimmung zerfließen, die durch Generationen mit denselben stehenden Witzen<lb/>
täglich aufgefrischt wird; &#x201E;mit wenig Witz und viel Behagen, lebt man inne</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0117] Der Geist der Nation wider den Geist der Universitäten. 2. Die Studentenverbindungen. Die Früchte der gepriesenen Freiheit der eximirten Stellung zeigen sich am deutlichsten in den eigenen Manifestationen des studentischen Lebens, ins¬ besondere in den Genossenschaften innerhalb desselben. Zwar haben dieselben zunächst den großen Vorzug vor den Institutionen, deren Durchführung den Behörden obliegt, das; sie für ihre Satzungen eine consequente Anwendung erzwingen, der sich der Einzelne so unvermeidlich fügen muß, daß gerade durch diesen Gegensatz die Achtungslosigkeit der officiellen Gesetze und ihrer Organe in das grellste Licht gestellt, wird. Die Grundsätze, welche dabei durchgeführt werden, mögen sein wie sie wollen, jedenfalls kann man um der strengen Durchführung willen sagen „tlivis is homo sMem". Hier zeigt sich also doch noch die Möglichkeit, eine feste Norm des Gemeinlebens zu verwirk¬ lichen. Sieht man nun aber den Gehalt desselben näher an, so ist zunächst, abgesehen von allen Schattirungen der verschiedenen Parteien, die Aeußerung des geselligen Lebens im Allgemeinen eine sehr dürftige, im Verhältnisse zu dem Aufwand von materiellen und geistigen Kräften, von Hingabe an Zeit und Interesse, welche die Einzelnen dafür anzustrengen haben. Ein holländischer Professor entließ seine Studenten in die Ferien mit der Ermahnung, sie möch¬ ten die Zeit, gleichviel ob zu Studien oder zum Vergnügen, mit Erfolg be¬ nutzen, und gab ihnen für beide Fälle in gleicher Weise ein Kriterium dafür, ob es geschehen sei, an die Hand in der Bemerkung, daß nur die Zeit als verloren zu betrachten sei, welche in der Erinnerung kein selbständiges Bild hinterlasse. Wie viel von der Zeit, welche deutsche Studenten ihrem Zusam¬ menleben in den Genossenschaften widmen, wird wohl diese Probe bestehen und als nicht verloren betrachtet werden können? Wenn z. B. auch nicht überall das Kneipleben so stereotyp geregelt ist, wie in Erlangen oder Jena, wo der richtige Bursch täglich regelmäßig in der Kneipe sitzt, so wird doch in dem Leben auch des solidesten Verbindungsstudenten die Zahl der Abende hundert weit übersteigen, die er in den Jahren seiner Studien so verbringt, und sie gleichen sich in der gemüthlichen Erregung, welche sie darbieten, wie ein El dem andern, lassen also zusammen fast nur ein einziges gemeinsames Bild in der Erinnerung zurück, und was für eins! Wenn nicht Wechsel des Orts und anderer äußerer Umstände einige Variationen hineinbrachte, würde die ganze schöne Erinnerung in das chaotische Nachgefühl einer „gemüthlichen" Stimmung zerfließen, die durch Generationen mit denselben stehenden Witzen täglich aufgefrischt wird; „mit wenig Witz und viel Behagen, lebt man inne

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/117
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/117>, abgerufen am 29.04.2024.