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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Die letzte Woche des preußischen AliljegroneteiilMses.

Wohl die beschwerlichste Session, welche das Haus der preußischen Ab¬
geordneten je durchgearbeitet, ist kurz, unerwartet mit einer schneidenden Dissonanz
beendet worden. Eine verhängnißvolle Session für den Staat und seinen
Souverain. Denn von ihr wird man einst einen Abschnitt in der Geschichte
des preußischen Verfassungslebens datiren. Wenig scheint das Ministerium und
die übereifriger Freunde desselben im Herrenhause von den Empfindungen zu
wissen, welche in einer großen Majorität der Preußen durch die Ereignisse der
letzten Monate lebendig geworden sind. Als Herr von Bismarck in der Ent¬
lassungsrede, welche er dem Landtage las, ein kühles Bedauern darüber aus¬
sprach, daß das Budget nicht zu Stande gekommen sei, und als er erwähnte
wie das Gefühl der Verantwortlichkeit in der Regierung sehr lebendig sei, da
lag über seinem und seiner Amtsgenossen Haupt, über der spärlichen, kalten,
sorgenvollen Versammlung schon die eherne Hand des Schicksals, das er gegen
die würdigsten Traditionen und loyalen Stimmungen Preußens heraufbeschworen
hat. Wohl aber schieden die Vertreter des Volkes von einander mit der tiefen
Ueberzeugung, daß etwas Neues und Gewaltiges begonnen habe.

Schon wollte in der letzten Sitzung des Hauses wieder der Parteizank um
Formales ausbrechen, da hob das Wort eines klugen Mannes heraus, der in diesem
Jahr nicht selten den Ausschlag gegeben hat und in ausgezeichneter Weise den
gesunden Menschenverstand des preußischen Bürgerthums darstellt. Die letzte
Stunde des Hauses fand sämmtliche liberalen Fractionen geeinigt, die ge-
sammte Vertretung des Volkes mit Ausnahme weniger Feudalen geeinigt zum
Widerstand gegen die letzten Entschlüsse der Krone und gegen den persönlichen
Willen des Fürsten. Es sind jetzt drei Jahre, daß das gesammte Volk den
neuen Regenten mit einem Enthusiasmus begrüßt hatte, der jedem Machthaber
auf Erden beneidenswerth erscheinen konnte. Wie kommt es doch, daß ein
loyales, besonnenes, gutes Volk so umgewandelt worden ist. und daß jetzt
Kleist-Nctzow befürwortet, was König Wilhelm für möglich hält?

Denn der Wechsel, welcher in den .Stimmungen der.höchsten Kreise vor¬
gegangen ist, darf keinen Augenblick verglichen werden mit dem Wechsel der
Staatsmänner, wie er in andern Verfassungsstaaten durch das Parteileben un¬
vermeidlich wird. In Preußen hat die Krone sich mit einem feudalen Ministe¬
rium umgeben, gerade in dem Augenblick, wo das Volk am einmütigsten da¬
gegen protestirt hat. Und die feudale Partei in Preußen ist keine Partei,
welche auf dem Boden des Verfassungslcbens steht. Erst wo sie aufhört, be-


Grmzboten IV. 1M2. 20
Die letzte Woche des preußischen AliljegroneteiilMses.

Wohl die beschwerlichste Session, welche das Haus der preußischen Ab¬
geordneten je durchgearbeitet, ist kurz, unerwartet mit einer schneidenden Dissonanz
beendet worden. Eine verhängnißvolle Session für den Staat und seinen
Souverain. Denn von ihr wird man einst einen Abschnitt in der Geschichte
des preußischen Verfassungslebens datiren. Wenig scheint das Ministerium und
die übereifriger Freunde desselben im Herrenhause von den Empfindungen zu
wissen, welche in einer großen Majorität der Preußen durch die Ereignisse der
letzten Monate lebendig geworden sind. Als Herr von Bismarck in der Ent¬
lassungsrede, welche er dem Landtage las, ein kühles Bedauern darüber aus¬
sprach, daß das Budget nicht zu Stande gekommen sei, und als er erwähnte
wie das Gefühl der Verantwortlichkeit in der Regierung sehr lebendig sei, da
lag über seinem und seiner Amtsgenossen Haupt, über der spärlichen, kalten,
sorgenvollen Versammlung schon die eherne Hand des Schicksals, das er gegen
die würdigsten Traditionen und loyalen Stimmungen Preußens heraufbeschworen
hat. Wohl aber schieden die Vertreter des Volkes von einander mit der tiefen
Ueberzeugung, daß etwas Neues und Gewaltiges begonnen habe.

Schon wollte in der letzten Sitzung des Hauses wieder der Parteizank um
Formales ausbrechen, da hob das Wort eines klugen Mannes heraus, der in diesem
Jahr nicht selten den Ausschlag gegeben hat und in ausgezeichneter Weise den
gesunden Menschenverstand des preußischen Bürgerthums darstellt. Die letzte
Stunde des Hauses fand sämmtliche liberalen Fractionen geeinigt, die ge-
sammte Vertretung des Volkes mit Ausnahme weniger Feudalen geeinigt zum
Widerstand gegen die letzten Entschlüsse der Krone und gegen den persönlichen
Willen des Fürsten. Es sind jetzt drei Jahre, daß das gesammte Volk den
neuen Regenten mit einem Enthusiasmus begrüßt hatte, der jedem Machthaber
auf Erden beneidenswerth erscheinen konnte. Wie kommt es doch, daß ein
loyales, besonnenes, gutes Volk so umgewandelt worden ist. und daß jetzt
Kleist-Nctzow befürwortet, was König Wilhelm für möglich hält?

Denn der Wechsel, welcher in den .Stimmungen der.höchsten Kreise vor¬
gegangen ist, darf keinen Augenblick verglichen werden mit dem Wechsel der
Staatsmänner, wie er in andern Verfassungsstaaten durch das Parteileben un¬
vermeidlich wird. In Preußen hat die Krone sich mit einem feudalen Ministe¬
rium umgeben, gerade in dem Augenblick, wo das Volk am einmütigsten da¬
gegen protestirt hat. Und die feudale Partei in Preußen ist keine Partei,
welche auf dem Boden des Verfassungslcbens steht. Erst wo sie aufhört, be-


Grmzboten IV. 1M2. 20
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[0161] Die letzte Woche des preußischen AliljegroneteiilMses. Wohl die beschwerlichste Session, welche das Haus der preußischen Ab¬ geordneten je durchgearbeitet, ist kurz, unerwartet mit einer schneidenden Dissonanz beendet worden. Eine verhängnißvolle Session für den Staat und seinen Souverain. Denn von ihr wird man einst einen Abschnitt in der Geschichte des preußischen Verfassungslebens datiren. Wenig scheint das Ministerium und die übereifriger Freunde desselben im Herrenhause von den Empfindungen zu wissen, welche in einer großen Majorität der Preußen durch die Ereignisse der letzten Monate lebendig geworden sind. Als Herr von Bismarck in der Ent¬ lassungsrede, welche er dem Landtage las, ein kühles Bedauern darüber aus¬ sprach, daß das Budget nicht zu Stande gekommen sei, und als er erwähnte wie das Gefühl der Verantwortlichkeit in der Regierung sehr lebendig sei, da lag über seinem und seiner Amtsgenossen Haupt, über der spärlichen, kalten, sorgenvollen Versammlung schon die eherne Hand des Schicksals, das er gegen die würdigsten Traditionen und loyalen Stimmungen Preußens heraufbeschworen hat. Wohl aber schieden die Vertreter des Volkes von einander mit der tiefen Ueberzeugung, daß etwas Neues und Gewaltiges begonnen habe. Schon wollte in der letzten Sitzung des Hauses wieder der Parteizank um Formales ausbrechen, da hob das Wort eines klugen Mannes heraus, der in diesem Jahr nicht selten den Ausschlag gegeben hat und in ausgezeichneter Weise den gesunden Menschenverstand des preußischen Bürgerthums darstellt. Die letzte Stunde des Hauses fand sämmtliche liberalen Fractionen geeinigt, die ge- sammte Vertretung des Volkes mit Ausnahme weniger Feudalen geeinigt zum Widerstand gegen die letzten Entschlüsse der Krone und gegen den persönlichen Willen des Fürsten. Es sind jetzt drei Jahre, daß das gesammte Volk den neuen Regenten mit einem Enthusiasmus begrüßt hatte, der jedem Machthaber auf Erden beneidenswerth erscheinen konnte. Wie kommt es doch, daß ein loyales, besonnenes, gutes Volk so umgewandelt worden ist. und daß jetzt Kleist-Nctzow befürwortet, was König Wilhelm für möglich hält? Denn der Wechsel, welcher in den .Stimmungen der.höchsten Kreise vor¬ gegangen ist, darf keinen Augenblick verglichen werden mit dem Wechsel der Staatsmänner, wie er in andern Verfassungsstaaten durch das Parteileben un¬ vermeidlich wird. In Preußen hat die Krone sich mit einem feudalen Ministe¬ rium umgeben, gerade in dem Augenblick, wo das Volk am einmütigsten da¬ gegen protestirt hat. Und die feudale Partei in Preußen ist keine Partei, welche auf dem Boden des Verfassungslcbens steht. Erst wo sie aufhört, be- Grmzboten IV. 1M2. 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/161>, abgerufen am 29.04.2024.