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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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hat noch keine Uebersetzung erreicht. Ja selbst die Prosa bietet zuweilen ge¬
lungene Beispiele. Cicero schildert in seinem Buche über das Greisenalter das
allmälige Hinschwinden desselben mit den Worten: sensim siue sensu sein?-
seit ssiwetus; es ist unmöglich eine Uebersetzung zu finden, die die sanfte Allit¬
teration, die in dem wiederholten s und den dumpfen Klang, der in dem n
liegt, wiedergäbe.

Das Gesagte wird zu dem Beweise hinreichen, daß Laut und Begriff der
Wörter sich keineswegs so fern stehen, als es im Allgemeinen den Anschein hat,
ja daß wir allen Grund haben zu vermuthen, daß beide ursprünglich überall con-
gruent gewesen sind. Ferner haben wir gesehen, daß je nach dem Charakter eines
Volkes die lautlicher Verhältnisse sich anders gestalten und zwar so, daß in
dem Charakter der Laute sich der des Volkes wiederspiegelt. Endlich fanden
wir, daß in der Sprache des Gefühls, in der Poesie, die ursprüngliche Harmonie
oft zur Geltung kommt, aber bei einer Übertragung in eine andere Sprache
in der Regel verloren geht.




Aus der Kanzlei eines Bischofs am Anfang des vierzehnten
Jahrhunderts.

Das Formelbuch des Domherrn Arnold von Protzau; Namens des Vereins für
Geschichte und Alterthümer Schlesiens herausgegeben von Dr. W. Watten¬
bach, coa. <lip1. Liles. V.

Es wäre vielleicht rathsam gewesen, zu verschweigen, daß es sich hierum
einen Band eines Loa. äipl. handelt, um nicht Jemanden bei dem Gedanken
erschrecken zu lassen, daß ihm hier eine Urkundensammlung zur dauernden Lec-
türe empfohlen werden solle. Gibt es doch noch genug Leser, die sich, wenn
sie ein solches Buch nur nennen hören, eines Schauers von Langeweile nicht
erwehren können, und die Jeden, der sich für ein solches wirklich interessirt,
mit einem ähnlichen Gefühle scheuer Verwunderung betrachten, mit dem wir
als Kinder begabtere Mitschüler Schieferstifte oder gar Glas verspeisen sahen,
und die bei solchen eine absonderliche Organisation nicht weniger voraussetzen
als bei denen, die den Messias ganz gelesen zu haben vorgeben, oder Raupachs


hat noch keine Uebersetzung erreicht. Ja selbst die Prosa bietet zuweilen ge¬
lungene Beispiele. Cicero schildert in seinem Buche über das Greisenalter das
allmälige Hinschwinden desselben mit den Worten: sensim siue sensu sein?-
seit ssiwetus; es ist unmöglich eine Uebersetzung zu finden, die die sanfte Allit¬
teration, die in dem wiederholten s und den dumpfen Klang, der in dem n
liegt, wiedergäbe.

Das Gesagte wird zu dem Beweise hinreichen, daß Laut und Begriff der
Wörter sich keineswegs so fern stehen, als es im Allgemeinen den Anschein hat,
ja daß wir allen Grund haben zu vermuthen, daß beide ursprünglich überall con-
gruent gewesen sind. Ferner haben wir gesehen, daß je nach dem Charakter eines
Volkes die lautlicher Verhältnisse sich anders gestalten und zwar so, daß in
dem Charakter der Laute sich der des Volkes wiederspiegelt. Endlich fanden
wir, daß in der Sprache des Gefühls, in der Poesie, die ursprüngliche Harmonie
oft zur Geltung kommt, aber bei einer Übertragung in eine andere Sprache
in der Regel verloren geht.




Aus der Kanzlei eines Bischofs am Anfang des vierzehnten
Jahrhunderts.

Das Formelbuch des Domherrn Arnold von Protzau; Namens des Vereins für
Geschichte und Alterthümer Schlesiens herausgegeben von Dr. W. Watten¬
bach, coa. <lip1. Liles. V.

Es wäre vielleicht rathsam gewesen, zu verschweigen, daß es sich hierum
einen Band eines Loa. äipl. handelt, um nicht Jemanden bei dem Gedanken
erschrecken zu lassen, daß ihm hier eine Urkundensammlung zur dauernden Lec-
türe empfohlen werden solle. Gibt es doch noch genug Leser, die sich, wenn
sie ein solches Buch nur nennen hören, eines Schauers von Langeweile nicht
erwehren können, und die Jeden, der sich für ein solches wirklich interessirt,
mit einem ähnlichen Gefühle scheuer Verwunderung betrachten, mit dem wir
als Kinder begabtere Mitschüler Schieferstifte oder gar Glas verspeisen sahen,
und die bei solchen eine absonderliche Organisation nicht weniger voraussetzen
als bei denen, die den Messias ganz gelesen zu haben vorgeben, oder Raupachs


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[0072] hat noch keine Uebersetzung erreicht. Ja selbst die Prosa bietet zuweilen ge¬ lungene Beispiele. Cicero schildert in seinem Buche über das Greisenalter das allmälige Hinschwinden desselben mit den Worten: sensim siue sensu sein?- seit ssiwetus; es ist unmöglich eine Uebersetzung zu finden, die die sanfte Allit¬ teration, die in dem wiederholten s und den dumpfen Klang, der in dem n liegt, wiedergäbe. Das Gesagte wird zu dem Beweise hinreichen, daß Laut und Begriff der Wörter sich keineswegs so fern stehen, als es im Allgemeinen den Anschein hat, ja daß wir allen Grund haben zu vermuthen, daß beide ursprünglich überall con- gruent gewesen sind. Ferner haben wir gesehen, daß je nach dem Charakter eines Volkes die lautlicher Verhältnisse sich anders gestalten und zwar so, daß in dem Charakter der Laute sich der des Volkes wiederspiegelt. Endlich fanden wir, daß in der Sprache des Gefühls, in der Poesie, die ursprüngliche Harmonie oft zur Geltung kommt, aber bei einer Übertragung in eine andere Sprache in der Regel verloren geht. Aus der Kanzlei eines Bischofs am Anfang des vierzehnten Jahrhunderts. Das Formelbuch des Domherrn Arnold von Protzau; Namens des Vereins für Geschichte und Alterthümer Schlesiens herausgegeben von Dr. W. Watten¬ bach, coa. <lip1. Liles. V. Es wäre vielleicht rathsam gewesen, zu verschweigen, daß es sich hierum einen Band eines Loa. äipl. handelt, um nicht Jemanden bei dem Gedanken erschrecken zu lassen, daß ihm hier eine Urkundensammlung zur dauernden Lec- türe empfohlen werden solle. Gibt es doch noch genug Leser, die sich, wenn sie ein solches Buch nur nennen hören, eines Schauers von Langeweile nicht erwehren können, und die Jeden, der sich für ein solches wirklich interessirt, mit einem ähnlichen Gefühle scheuer Verwunderung betrachten, mit dem wir als Kinder begabtere Mitschüler Schieferstifte oder gar Glas verspeisen sahen, und die bei solchen eine absonderliche Organisation nicht weniger voraussetzen als bei denen, die den Messias ganz gelesen zu haben vorgeben, oder Raupachs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/72>, abgerufen am 29.04.2024.