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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Schluß ziehen wollte, daß überall das Französische dem Deutschen nachstände;
oft genug kann auch das Deutsche jenem nicht nachkommen. So singt Beranger
in einem Liede:


Noi qui, meine auxres clss Keiles-
VouäiÄis vivre en passager,
(Zue ^'e xorte euvis euix ailes
of I'visekru vit et leZer!
OeurKien d'esx^ce it visite!
^. völliger tout l'iuvite:
I/iür est ävnx, le ciel est beau.
-se veleruis vite, vite, vite,
3i ^'een.is petit oiseau.

Ich möchte bezweifeln, daß es einem Uebersetzer gelingen würde, die Ton¬
malerei der zweiten Hälfte der Strophe wiederzugeben.

Gegen das Englische steht das Deutsche zurück hinsichtlich der Kraft und
Energie des Ausdrucks; bei der außerordentlichen lautlicher Gedrängtheit des¬
selben können viele Vorstellungen in verhältnißmäßig wenige Laute zusammen¬
gedrängt werden. Daher sind denn auch die Uebersetzungen englischer Dich¬
tungen oft so hart und ungefüge im Deutschen. Wir verzichten darauf, hierzu
Beispiele zu geben, um noch einen Blick aus die beiden alten Sprachen zu
werfen.

Gegen diese steht das Deutsche vielfältig im Nachtheil. Weder den be¬
zaubernden Wohlklang homerischer, noch die feierliche Würde virgiiischer Hexa¬
meter vermögen wir in unserer Sprache wiederzugeben. Nur ein Beispiel.
Berühmt ist der Vers der Odyssee, in welchem Homer die Qual des Sisyphos
schildert, dem der auf den Berg gewalzte Stein immer wieder herab rollt:


et!?rtz c"?ritr" ?riÄoi>se xvXt^Atro "v"-")^.

Viclgerühmt ist auch die bekannte Uebersetzung von Voß:


Hurtig mit Donnergepolter entrollte der tückische Marmor.

Vergleichen wir beide Verse, so tritt uns ein wesentlicher Unterschied in laut¬
licher Beziehung entgegen: Homers Vers ist außerordentlich leicht und weich;
er malt die gleitende, leicht hüpfende Bewegung des Felsblocks, der mit dem
Unglücklichen gleichsam spielt, seine Anstrengungen verhöhnt. Der Uebersetzer
hat etwas hineingetragen, was im Originale gar nicht enthalten ist, nämlich
ein polterndes Tosen des stürzenden Steines. Ist es nicht beinah, als ob schon
in diesen beiden Versen Homer, der heitere Sohn des milden, schönen Klein¬
asiens, und Voß, der derbe Sproß des rauheren Nordens, ihr eigenes Land und
Volk charakterisirten? Den bekannten virgilischen Vers:


IrilÄndum, reging,, Mdes renovnre clvlerem,

der so voll und majestätisch, und dennoch wieder so weich und klagend klingt,


Schluß ziehen wollte, daß überall das Französische dem Deutschen nachstände;
oft genug kann auch das Deutsche jenem nicht nachkommen. So singt Beranger
in einem Liede:


Noi qui, meine auxres clss Keiles-
VouäiÄis vivre en passager,
(Zue ^'e xorte euvis euix ailes
of I'visekru vit et leZer!
OeurKien d'esx^ce it visite!
^. völliger tout l'iuvite:
I/iür est ävnx, le ciel est beau.
-se veleruis vite, vite, vite,
3i ^'een.is petit oiseau.

Ich möchte bezweifeln, daß es einem Uebersetzer gelingen würde, die Ton¬
malerei der zweiten Hälfte der Strophe wiederzugeben.

Gegen das Englische steht das Deutsche zurück hinsichtlich der Kraft und
Energie des Ausdrucks; bei der außerordentlichen lautlicher Gedrängtheit des¬
selben können viele Vorstellungen in verhältnißmäßig wenige Laute zusammen¬
gedrängt werden. Daher sind denn auch die Uebersetzungen englischer Dich¬
tungen oft so hart und ungefüge im Deutschen. Wir verzichten darauf, hierzu
Beispiele zu geben, um noch einen Blick aus die beiden alten Sprachen zu
werfen.

Gegen diese steht das Deutsche vielfältig im Nachtheil. Weder den be¬
zaubernden Wohlklang homerischer, noch die feierliche Würde virgiiischer Hexa¬
meter vermögen wir in unserer Sprache wiederzugeben. Nur ein Beispiel.
Berühmt ist der Vers der Odyssee, in welchem Homer die Qual des Sisyphos
schildert, dem der auf den Berg gewalzte Stein immer wieder herab rollt:


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Viclgerühmt ist auch die bekannte Uebersetzung von Voß:


Hurtig mit Donnergepolter entrollte der tückische Marmor.

Vergleichen wir beide Verse, so tritt uns ein wesentlicher Unterschied in laut¬
licher Beziehung entgegen: Homers Vers ist außerordentlich leicht und weich;
er malt die gleitende, leicht hüpfende Bewegung des Felsblocks, der mit dem
Unglücklichen gleichsam spielt, seine Anstrengungen verhöhnt. Der Uebersetzer
hat etwas hineingetragen, was im Originale gar nicht enthalten ist, nämlich
ein polterndes Tosen des stürzenden Steines. Ist es nicht beinah, als ob schon
in diesen beiden Versen Homer, der heitere Sohn des milden, schönen Klein¬
asiens, und Voß, der derbe Sproß des rauheren Nordens, ihr eigenes Land und
Volk charakterisirten? Den bekannten virgilischen Vers:


IrilÄndum, reging,, Mdes renovnre clvlerem,

der so voll und majestätisch, und dennoch wieder so weich und klagend klingt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/71>, abgerufen am 15.05.2024.