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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Weimar oder Frankfurt?

Die langwierigen Verhandlungen, welche der Versammlung zu Weimar
vorausgingen, haben, wie unerquicklich sie zuweilen zu werden drohten, einen
wesentlichen Gewinn gebracht: sie haben die Verhältnisse der deutschen Parteien
zu einander klarer gestellt, sie haben insbesondre die großdeutsche Partei in ih¬
rer ganzen Schwäche gezeigt. Die Großdeutschen wollten die Weimarer Ver¬
sammlung zu einer Parteiversammlung Herabdrücken i ihre Bemühungen dienten
nur dazu, unfreiwillig zu constatiren, daß die Partei ihrer Gegner die Nation
selbst hinter sich hat; sie beabsichtigten der kleindeutschen eine großdeutsche Ver¬
sammlung entgegenzusetzen, und der Erfolg war, daß gerade diejenigen Ele¬
mente, auf die sie rechnen mußten, wenn ihre Sache einigermaßen populär
sein wollte, sich fern hielten, und nur ein Niederschlag zurückblieb, in welchem
ein provincieller Particularismus überwog.

Man durfte mit Recht begierig sein, welche Haltung die Großdeutschen
einer freien Versammlung deutscher Abgeordneten gegenüber einnehmen würden.
An Betheurung ihres Eifers für die nationale Sache hatten sie es nie fehlen
lassen. Aus der Sprache ihrer Organe zu schließen, glaubten sie sich sogar
im Alleinbesitz patriotischer Gesinnung, und ebenso war bisher von dieser Seite
das Bedürfniß einer durchgreifenden Reform des Bundes nicht geläugnet wor¬
den. Der Gedanke aber, die jährlichen Wanderversammlungen, bei welchen
nebenbei so viel politisire wurde, und die sich in der That nicht unwirksam er¬
wiesen hatten, für die persönliche Verständigung der verschiedenen Stammes-
genossen auf einmal auf die Politiker vom Fach auszudehnen, war ein sehr
natürlicher; ^schon längst bildete er den Gegenstand vertraulicher Besprechungen,
und die sich allmälig immer steigernde Schärfe der Gegensätze konnte am we¬
nigsten ein Grund sein, ein Project aufzugeben, dessen Verwirklichung ' ohne
eine Entscheidung zu präjudiciren, wenigstens den Parteien eine gemeinsame
Arena zum Austausch ihrer Meinungen darbot, und wo nicht zu Weiterem,
doch jedenfalls zu einer Klärung der Lage führen mußte. Waren nur diejenigen
Elemente, welche einer ernstlichen Reform überhaupt entgegen waren, selbst¬
verständlich ausgeschlossen, so stand bei der Gleichartigkeit des Ziels eine Er¬
weiterung der bestehenden Kluft durch die offene Debatte nicht zu befürchten.
strebte man eine legale Vertretung des deutschen Volkes an, was ja zugestan¬
denermaßen das Ziel Aller war, so mußte eine solche doch Klein- und Groß-


Weimar oder Frankfurt?

Die langwierigen Verhandlungen, welche der Versammlung zu Weimar
vorausgingen, haben, wie unerquicklich sie zuweilen zu werden drohten, einen
wesentlichen Gewinn gebracht: sie haben die Verhältnisse der deutschen Parteien
zu einander klarer gestellt, sie haben insbesondre die großdeutsche Partei in ih¬
rer ganzen Schwäche gezeigt. Die Großdeutschen wollten die Weimarer Ver¬
sammlung zu einer Parteiversammlung Herabdrücken i ihre Bemühungen dienten
nur dazu, unfreiwillig zu constatiren, daß die Partei ihrer Gegner die Nation
selbst hinter sich hat; sie beabsichtigten der kleindeutschen eine großdeutsche Ver¬
sammlung entgegenzusetzen, und der Erfolg war, daß gerade diejenigen Ele¬
mente, auf die sie rechnen mußten, wenn ihre Sache einigermaßen populär
sein wollte, sich fern hielten, und nur ein Niederschlag zurückblieb, in welchem
ein provincieller Particularismus überwog.

Man durfte mit Recht begierig sein, welche Haltung die Großdeutschen
einer freien Versammlung deutscher Abgeordneten gegenüber einnehmen würden.
An Betheurung ihres Eifers für die nationale Sache hatten sie es nie fehlen
lassen. Aus der Sprache ihrer Organe zu schließen, glaubten sie sich sogar
im Alleinbesitz patriotischer Gesinnung, und ebenso war bisher von dieser Seite
das Bedürfniß einer durchgreifenden Reform des Bundes nicht geläugnet wor¬
den. Der Gedanke aber, die jährlichen Wanderversammlungen, bei welchen
nebenbei so viel politisire wurde, und die sich in der That nicht unwirksam er¬
wiesen hatten, für die persönliche Verständigung der verschiedenen Stammes-
genossen auf einmal auf die Politiker vom Fach auszudehnen, war ein sehr
natürlicher; ^schon längst bildete er den Gegenstand vertraulicher Besprechungen,
und die sich allmälig immer steigernde Schärfe der Gegensätze konnte am we¬
nigsten ein Grund sein, ein Project aufzugeben, dessen Verwirklichung ' ohne
eine Entscheidung zu präjudiciren, wenigstens den Parteien eine gemeinsame
Arena zum Austausch ihrer Meinungen darbot, und wo nicht zu Weiterem,
doch jedenfalls zu einer Klärung der Lage führen mußte. Waren nur diejenigen
Elemente, welche einer ernstlichen Reform überhaupt entgegen waren, selbst¬
verständlich ausgeschlossen, so stand bei der Gleichartigkeit des Ziels eine Er¬
weiterung der bestehenden Kluft durch die offene Debatte nicht zu befürchten.
strebte man eine legale Vertretung des deutschen Volkes an, was ja zugestan¬
denermaßen das Ziel Aller war, so mußte eine solche doch Klein- und Groß-


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[0077] Weimar oder Frankfurt? Die langwierigen Verhandlungen, welche der Versammlung zu Weimar vorausgingen, haben, wie unerquicklich sie zuweilen zu werden drohten, einen wesentlichen Gewinn gebracht: sie haben die Verhältnisse der deutschen Parteien zu einander klarer gestellt, sie haben insbesondre die großdeutsche Partei in ih¬ rer ganzen Schwäche gezeigt. Die Großdeutschen wollten die Weimarer Ver¬ sammlung zu einer Parteiversammlung Herabdrücken i ihre Bemühungen dienten nur dazu, unfreiwillig zu constatiren, daß die Partei ihrer Gegner die Nation selbst hinter sich hat; sie beabsichtigten der kleindeutschen eine großdeutsche Ver¬ sammlung entgegenzusetzen, und der Erfolg war, daß gerade diejenigen Ele¬ mente, auf die sie rechnen mußten, wenn ihre Sache einigermaßen populär sein wollte, sich fern hielten, und nur ein Niederschlag zurückblieb, in welchem ein provincieller Particularismus überwog. Man durfte mit Recht begierig sein, welche Haltung die Großdeutschen einer freien Versammlung deutscher Abgeordneten gegenüber einnehmen würden. An Betheurung ihres Eifers für die nationale Sache hatten sie es nie fehlen lassen. Aus der Sprache ihrer Organe zu schließen, glaubten sie sich sogar im Alleinbesitz patriotischer Gesinnung, und ebenso war bisher von dieser Seite das Bedürfniß einer durchgreifenden Reform des Bundes nicht geläugnet wor¬ den. Der Gedanke aber, die jährlichen Wanderversammlungen, bei welchen nebenbei so viel politisire wurde, und die sich in der That nicht unwirksam er¬ wiesen hatten, für die persönliche Verständigung der verschiedenen Stammes- genossen auf einmal auf die Politiker vom Fach auszudehnen, war ein sehr natürlicher; ^schon längst bildete er den Gegenstand vertraulicher Besprechungen, und die sich allmälig immer steigernde Schärfe der Gegensätze konnte am we¬ nigsten ein Grund sein, ein Project aufzugeben, dessen Verwirklichung ' ohne eine Entscheidung zu präjudiciren, wenigstens den Parteien eine gemeinsame Arena zum Austausch ihrer Meinungen darbot, und wo nicht zu Weiterem, doch jedenfalls zu einer Klärung der Lage führen mußte. Waren nur diejenigen Elemente, welche einer ernstlichen Reform überhaupt entgegen waren, selbst¬ verständlich ausgeschlossen, so stand bei der Gleichartigkeit des Ziels eine Er¬ weiterung der bestehenden Kluft durch die offene Debatte nicht zu befürchten. strebte man eine legale Vertretung des deutschen Volkes an, was ja zugestan¬ denermaßen das Ziel Aller war, so mußte eine solche doch Klein- und Groß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/77>, abgerufen am 28.04.2024.