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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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er allgemein die Unsitte herrschend, daß die Pfarrer von ihren Sprengeln ent¬
fernt nur ihrem Vergnügen lebten, nachdem sie die Pfarreien förmlich an
Vicare verpachtet hatten; es fällt, sehr schwer, diesem Mißbräuche zu begegnen.
Andrerseits erklärt noch Bischof Ramler, er habe mit Betrübniß gehört, wie
die Kleriker häufig bewaffnet zur Nachtzeit in Wirthshäusern und andern
unehrbaren Orten herumschwärmten, Unfug trieben, Schaden anrichteten und
öffentliches Aergerniß gäben (III, 75). Andern Geistlichen muß der Bischof ent¬
gegentreten, weil sie sich zu Spaßmachern und Goliarden erniedrigen. Auch
an Beispielen von Gewaltthätigkeiten im Schooße des Klerus. Schlägereien
selbst an heiliger Stelle, Verwundungen, ja Todtschläger fehlte es nicht. Ein
Mitglied der päpstlichen Gesandtschaft hat einen breslauer Kanoniker mit der
Faust ins Gesicht geschlagen (III, 55) und im Sandstift hatte Abt Heinrich der
Fünfte (erwählt 1-319) seinen Vorgänger Philipp ins Gefängniß gesetzt und
zu Tode gepeinigt und des Bannstrahles gespottet, so daß endlich der Herzog
und der breslauer Rath gegen ihn einzuschreiten beschließen.. Vorher aber
haben schon die Mönche selbst ihren Abt ergriffen und ins Gefängniß gesetzt,
wegen welcher Eigenmächtigkeit sie gleichfalls gebannt werden. Auch diese jedoch
zeigen sich widerspenstig, und als der Bischof in jener Sache eine Untersuchung
im Stifte abhalten will, verweigern sie ihm den Eintritt. Erst 1 324 endigt
päpstlicher Urtheilsspruch diese Händel (I, 60, 96, 107). Von der Wissenschaft
ist natürlich in solchen Zeiten wenig die, Rede; doch werden einige Urlaubs¬
gesuche (meist gleich auf 7 Jahr) an Priester ertheilt, welche Studien z. B. in
Bologna machen wollen. Schließlich wollen wir noch eines scherzhaften Brie¬
fes gedenken, in welchem der Verfasser des Buches, Arnold von Protzau, auf
seine eigenen Verdienste aufmerksam macht und dem Bischof vorwirft, daß er
Fremde begünstige und seine eigenen treuen Diener vergesse.

Die gelehrten und sachkundigen Anmerkungen des Herausgebers erklären
die wichtigsten Beziehungen. Doch bleibt einem künftigen Bearbeiter noch
immer Manches zu thun übrig, und dies ist kein Wunder, denn die Weg¬
lassung der Jahreszahlen und Namen oder wenigstens ihre Verstümmelung machen
die Deutung jeder einzelnen Formel zu einer historischen Aufgabe und der
unbekannten Größen sind so viele, daß das Resultat schwer mit Sicherheit
herauszustellen ist. -- Um aber das Maß von Mühe und Scharfsinn zu er¬
kennen, das der Herausgeber an diese Arbeit gewendet hat, braucht man nur
die Zusammenstellungen über das Leben Arnolds von Protzau und Nikolaus,
Vorrede S. VII und XVII anzusehn. Das sind Meisterstücke biographischer
Mosaikarbeit.

Was den Anhang, die Correspondenz des Domherrn Nikolaus anbetrifft,
so ist derselbe etwas durchaus für sich Abgeschlossenes und dabei so reich an
kulturhistorischen Interesse, daß er eine besondere Besprechung verdient.




er allgemein die Unsitte herrschend, daß die Pfarrer von ihren Sprengeln ent¬
fernt nur ihrem Vergnügen lebten, nachdem sie die Pfarreien förmlich an
Vicare verpachtet hatten; es fällt, sehr schwer, diesem Mißbräuche zu begegnen.
Andrerseits erklärt noch Bischof Ramler, er habe mit Betrübniß gehört, wie
die Kleriker häufig bewaffnet zur Nachtzeit in Wirthshäusern und andern
unehrbaren Orten herumschwärmten, Unfug trieben, Schaden anrichteten und
öffentliches Aergerniß gäben (III, 75). Andern Geistlichen muß der Bischof ent¬
gegentreten, weil sie sich zu Spaßmachern und Goliarden erniedrigen. Auch
an Beispielen von Gewaltthätigkeiten im Schooße des Klerus. Schlägereien
selbst an heiliger Stelle, Verwundungen, ja Todtschläger fehlte es nicht. Ein
Mitglied der päpstlichen Gesandtschaft hat einen breslauer Kanoniker mit der
Faust ins Gesicht geschlagen (III, 55) und im Sandstift hatte Abt Heinrich der
Fünfte (erwählt 1-319) seinen Vorgänger Philipp ins Gefängniß gesetzt und
zu Tode gepeinigt und des Bannstrahles gespottet, so daß endlich der Herzog
und der breslauer Rath gegen ihn einzuschreiten beschließen.. Vorher aber
haben schon die Mönche selbst ihren Abt ergriffen und ins Gefängniß gesetzt,
wegen welcher Eigenmächtigkeit sie gleichfalls gebannt werden. Auch diese jedoch
zeigen sich widerspenstig, und als der Bischof in jener Sache eine Untersuchung
im Stifte abhalten will, verweigern sie ihm den Eintritt. Erst 1 324 endigt
päpstlicher Urtheilsspruch diese Händel (I, 60, 96, 107). Von der Wissenschaft
ist natürlich in solchen Zeiten wenig die, Rede; doch werden einige Urlaubs¬
gesuche (meist gleich auf 7 Jahr) an Priester ertheilt, welche Studien z. B. in
Bologna machen wollen. Schließlich wollen wir noch eines scherzhaften Brie¬
fes gedenken, in welchem der Verfasser des Buches, Arnold von Protzau, auf
seine eigenen Verdienste aufmerksam macht und dem Bischof vorwirft, daß er
Fremde begünstige und seine eigenen treuen Diener vergesse.

Die gelehrten und sachkundigen Anmerkungen des Herausgebers erklären
die wichtigsten Beziehungen. Doch bleibt einem künftigen Bearbeiter noch
immer Manches zu thun übrig, und dies ist kein Wunder, denn die Weg¬
lassung der Jahreszahlen und Namen oder wenigstens ihre Verstümmelung machen
die Deutung jeder einzelnen Formel zu einer historischen Aufgabe und der
unbekannten Größen sind so viele, daß das Resultat schwer mit Sicherheit
herauszustellen ist. — Um aber das Maß von Mühe und Scharfsinn zu er¬
kennen, das der Herausgeber an diese Arbeit gewendet hat, braucht man nur
die Zusammenstellungen über das Leben Arnolds von Protzau und Nikolaus,
Vorrede S. VII und XVII anzusehn. Das sind Meisterstücke biographischer
Mosaikarbeit.

Was den Anhang, die Correspondenz des Domherrn Nikolaus anbetrifft,
so ist derselbe etwas durchaus für sich Abgeschlossenes und dabei so reich an
kulturhistorischen Interesse, daß er eine besondere Besprechung verdient.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/76>, abgerufen am 13.05.2024.