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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Leipzig und die Turner.
i.

Wir schreiben den dritten August, noch mitten in der Aufregung des Festes
und, wie wir nicht anstehen zu bekennen, von ihr mit ergriffen.

Die Stadt blüht wie eine ungeheure Blume. Alle ihre liebenswerthen
Eigenschaften kommen zum Vorschein. Nüchterne Geschäftsmäßigst hat den
besten gemüthlichen Regungen Raum gegeben wie der Alltagsrock dem Feier¬
kleide, Unwiderstehlich brach sich in allen Classen das Gefühl Bahn, daß diese
Tage Ehrentage seien. Tage der Ehre für die Nation wie für die Stadt, die
in ihren Gästen einen hoffnungsreichen Theil der Nation empfing, und mit schöner
Wärme gingen Alle, die Gemeinde wie die Einzelnen, der reiche Großhändler
wie der Kleinbürger im vierten Stock, ans Werk, dieses Gefühl zu bethätigen.
Anfänglich Laue erwärmten sich an dem Eifer der Andern, Widerwillige wur¬
den bei stärkerem Anschwellen des Stromes mit fortgerissen zu guten Enschlüssen.
Selbst der Sumpf der absoluten Gleichgiltigkeit gegen alles Nationale -- in
Leipzig kein großes Revier und am wenigsten über den eigentlichen Bürgerstand
verbreitet -- sah sich mehr als einen seiner Insassen entführt, wenn auch nur
Von der Befürchtung anzustoßen und abzustechen. Allenthalben frisches lebcn-
vollcs Zusammenwirken, reger Wetteifer, Sorge um das Gelingen, theilneh¬
mende Augen und Hände und, als aus Abend und Morgen der le^te Tag vor
dem Feste geworden und alle Vorbereitung gelungen war, gerechtes Selbstgefühl
und gehobenste Stimmung.

Wir glaubten unser Leipzig hinreichend zu kennen und zu lieben. Wir wu߬
ten, daß es seine Leute bildet, daß es sich zu zeigen versteht, wo es gilt, daß
in seinen Mauern bürgerliche Tugend in reicher Blüthe steht. Wir kannten
den gastlichen Sinn, die Gabe, ohne Anregung von oben herab Tüchtiges zu
schaffen, die Freigebigkeit der guten Stadt für humane und patriotische Zwecke.
Aber Alles, was wir von diesen Eigenschaften erwarteten, war hier überboten,
und mit hochschlagendem Herzen sagten wir uns, als wir durch diese Straßen
voll wehende Fahnen und Banner, voll Laubgewinde und Kränze schritten, als


Grenzten. III. 1363, 26
Leipzig und die Turner.
i.

Wir schreiben den dritten August, noch mitten in der Aufregung des Festes
und, wie wir nicht anstehen zu bekennen, von ihr mit ergriffen.

Die Stadt blüht wie eine ungeheure Blume. Alle ihre liebenswerthen
Eigenschaften kommen zum Vorschein. Nüchterne Geschäftsmäßigst hat den
besten gemüthlichen Regungen Raum gegeben wie der Alltagsrock dem Feier¬
kleide, Unwiderstehlich brach sich in allen Classen das Gefühl Bahn, daß diese
Tage Ehrentage seien. Tage der Ehre für die Nation wie für die Stadt, die
in ihren Gästen einen hoffnungsreichen Theil der Nation empfing, und mit schöner
Wärme gingen Alle, die Gemeinde wie die Einzelnen, der reiche Großhändler
wie der Kleinbürger im vierten Stock, ans Werk, dieses Gefühl zu bethätigen.
Anfänglich Laue erwärmten sich an dem Eifer der Andern, Widerwillige wur¬
den bei stärkerem Anschwellen des Stromes mit fortgerissen zu guten Enschlüssen.
Selbst der Sumpf der absoluten Gleichgiltigkeit gegen alles Nationale — in
Leipzig kein großes Revier und am wenigsten über den eigentlichen Bürgerstand
verbreitet — sah sich mehr als einen seiner Insassen entführt, wenn auch nur
Von der Befürchtung anzustoßen und abzustechen. Allenthalben frisches lebcn-
vollcs Zusammenwirken, reger Wetteifer, Sorge um das Gelingen, theilneh¬
mende Augen und Hände und, als aus Abend und Morgen der le^te Tag vor
dem Feste geworden und alle Vorbereitung gelungen war, gerechtes Selbstgefühl
und gehobenste Stimmung.

Wir glaubten unser Leipzig hinreichend zu kennen und zu lieben. Wir wu߬
ten, daß es seine Leute bildet, daß es sich zu zeigen versteht, wo es gilt, daß
in seinen Mauern bürgerliche Tugend in reicher Blüthe steht. Wir kannten
den gastlichen Sinn, die Gabe, ohne Anregung von oben herab Tüchtiges zu
schaffen, die Freigebigkeit der guten Stadt für humane und patriotische Zwecke.
Aber Alles, was wir von diesen Eigenschaften erwarteten, war hier überboten,
und mit hochschlagendem Herzen sagten wir uns, als wir durch diese Straßen
voll wehende Fahnen und Banner, voll Laubgewinde und Kränze schritten, als


Grenzten. III. 1363, 26
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[0209] Leipzig und die Turner. i. Wir schreiben den dritten August, noch mitten in der Aufregung des Festes und, wie wir nicht anstehen zu bekennen, von ihr mit ergriffen. Die Stadt blüht wie eine ungeheure Blume. Alle ihre liebenswerthen Eigenschaften kommen zum Vorschein. Nüchterne Geschäftsmäßigst hat den besten gemüthlichen Regungen Raum gegeben wie der Alltagsrock dem Feier¬ kleide, Unwiderstehlich brach sich in allen Classen das Gefühl Bahn, daß diese Tage Ehrentage seien. Tage der Ehre für die Nation wie für die Stadt, die in ihren Gästen einen hoffnungsreichen Theil der Nation empfing, und mit schöner Wärme gingen Alle, die Gemeinde wie die Einzelnen, der reiche Großhändler wie der Kleinbürger im vierten Stock, ans Werk, dieses Gefühl zu bethätigen. Anfänglich Laue erwärmten sich an dem Eifer der Andern, Widerwillige wur¬ den bei stärkerem Anschwellen des Stromes mit fortgerissen zu guten Enschlüssen. Selbst der Sumpf der absoluten Gleichgiltigkeit gegen alles Nationale — in Leipzig kein großes Revier und am wenigsten über den eigentlichen Bürgerstand verbreitet — sah sich mehr als einen seiner Insassen entführt, wenn auch nur Von der Befürchtung anzustoßen und abzustechen. Allenthalben frisches lebcn- vollcs Zusammenwirken, reger Wetteifer, Sorge um das Gelingen, theilneh¬ mende Augen und Hände und, als aus Abend und Morgen der le^te Tag vor dem Feste geworden und alle Vorbereitung gelungen war, gerechtes Selbstgefühl und gehobenste Stimmung. Wir glaubten unser Leipzig hinreichend zu kennen und zu lieben. Wir wu߬ ten, daß es seine Leute bildet, daß es sich zu zeigen versteht, wo es gilt, daß in seinen Mauern bürgerliche Tugend in reicher Blüthe steht. Wir kannten den gastlichen Sinn, die Gabe, ohne Anregung von oben herab Tüchtiges zu schaffen, die Freigebigkeit der guten Stadt für humane und patriotische Zwecke. Aber Alles, was wir von diesen Eigenschaften erwarteten, war hier überboten, und mit hochschlagendem Herzen sagten wir uns, als wir durch diese Straßen voll wehende Fahnen und Banner, voll Laubgewinde und Kränze schritten, als Grenzten. III. 1363, 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/209>, abgerufen am 29.04.2024.