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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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nicht, da alle Häuser voll Verwundeter lagen. Doch erhielt ich durch die Ver¬
mittelung eines Bekannten mehre wollene Decken, welche außerordentlich gut
thaten, als in dunkler Nacht die Fahrt nach Süderstapel fortgesetzt wurde. Auch
hier lagen Massen von Verwundeten. Indeß fand ich für die Nacht Platz
im Hause des Landschreibersvon wo ich am andern Morgen mit dem gleich¬
falls Schwerverwundeten Hauptmann Lotgau auf einem bequemen Federwagen
nach Rendsburg transportirt wurde. Die Tour war freilich dennoch nicht be-
neidenswerth, zumal der ganze Weg im Schritt zurückgelegt werden mußte.
Was es mit dem brennenden Durst nach Verwundungen aus sich habe, erfuhren
wir beide zur Genüge. In jedem Dorfe wurde Halt gemacht und Wasser, Wein,
Milch, Himbeeressig, alles durcheinander verschlungen. Eine halbe Stunde vor
Rendsburg waren wir indeß so erschöpft, daß man unsere Auflösung befürchtete.
Soldaten des fünften Jägercorps trugen uns daher auf Tragbahren nach Rends¬
burg hinein. Abends 8 Uhr hatte ein Zimmer im Lazareth Ur. I. uns beide
aufgenommen, das wir erst nach einem halben Jahr wieder verlassen sollten,
als der Krieg vorbei war und die Dänen das nahegelegene Kronwerk besetzt
hatten.




Metternich und Hiietliu.

Nichts charakterisier besser die ganze Jämmerlichkeit des metternichschen
Systems als die, man möchte fast sagen kindische Angst, mit welcher der Fürst-
Staatskanzler jede Bewegung auf irgendeinem geistigen Gebiet betrachtete.
Man begreift wohl, daß jede freiheitliche Regung auf den deutschen Hochschulen,
jedes kühne Wort in der Presse, jede feurige Rede in den Kammern die sen¬
sible Gemüthsart des östreichischen Diplomaten äußerst unangenehm berührten,
aber man muß immer wieder concrete Fälle vorführen, um die politische Ge¬
spensterfurcht Metternichs in ihrer ganzen Macht und Größe nachzuweisen. Sie
erreichte eine solche Intensität, daß sie geradezu jede ruhige und nüchterne Be¬
trachtung der Dinge für ihn unmöglich machte und ihn auch da große politische
Gefahren sehen ließ, wo jeder andere lediglich harmlose Demonstrationen zu
finden vermochte. Einen drastischen Beleg dieser Behauptung liefern die nach-


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nicht, da alle Häuser voll Verwundeter lagen. Doch erhielt ich durch die Ver¬
mittelung eines Bekannten mehre wollene Decken, welche außerordentlich gut
thaten, als in dunkler Nacht die Fahrt nach Süderstapel fortgesetzt wurde. Auch
hier lagen Massen von Verwundeten. Indeß fand ich für die Nacht Platz
im Hause des Landschreibersvon wo ich am andern Morgen mit dem gleich¬
falls Schwerverwundeten Hauptmann Lotgau auf einem bequemen Federwagen
nach Rendsburg transportirt wurde. Die Tour war freilich dennoch nicht be-
neidenswerth, zumal der ganze Weg im Schritt zurückgelegt werden mußte.
Was es mit dem brennenden Durst nach Verwundungen aus sich habe, erfuhren
wir beide zur Genüge. In jedem Dorfe wurde Halt gemacht und Wasser, Wein,
Milch, Himbeeressig, alles durcheinander verschlungen. Eine halbe Stunde vor
Rendsburg waren wir indeß so erschöpft, daß man unsere Auflösung befürchtete.
Soldaten des fünften Jägercorps trugen uns daher auf Tragbahren nach Rends¬
burg hinein. Abends 8 Uhr hatte ein Zimmer im Lazareth Ur. I. uns beide
aufgenommen, das wir erst nach einem halben Jahr wieder verlassen sollten,
als der Krieg vorbei war und die Dänen das nahegelegene Kronwerk besetzt
hatten.




Metternich und Hiietliu.

Nichts charakterisier besser die ganze Jämmerlichkeit des metternichschen
Systems als die, man möchte fast sagen kindische Angst, mit welcher der Fürst-
Staatskanzler jede Bewegung auf irgendeinem geistigen Gebiet betrachtete.
Man begreift wohl, daß jede freiheitliche Regung auf den deutschen Hochschulen,
jedes kühne Wort in der Presse, jede feurige Rede in den Kammern die sen¬
sible Gemüthsart des östreichischen Diplomaten äußerst unangenehm berührten,
aber man muß immer wieder concrete Fälle vorführen, um die politische Ge¬
spensterfurcht Metternichs in ihrer ganzen Macht und Größe nachzuweisen. Sie
erreichte eine solche Intensität, daß sie geradezu jede ruhige und nüchterne Be¬
trachtung der Dinge für ihn unmöglich machte und ihn auch da große politische
Gefahren sehen ließ, wo jeder andere lediglich harmlose Demonstrationen zu
finden vermochte. Einen drastischen Beleg dieser Behauptung liefern die nach-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/201>, abgerufen am 26.05.2024.