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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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höchste Auslegung der Zeugenzwangsvorschrift (§. 312 der Criminalordnung)
und des Begriffes "Gewerbe^ (§. 313. Ur. 3 ebenda) warten, sondern das
ihnen zustehende gesetzliche Recht gebrauchen, bis die umfangreiche Hilfe
eines neuen Gesetzes kommen kann und kommt.




Unsere Nachbarn an der Nordgrenze.

Wie das mitunter vorkommt -- zu den am wenigsten bei uns bekannten
unter unseren Nachbarn gehörten bis vor Kurzem die, welche dem Mittelpunkt
norddeutschen Lebens am wenigsten fern wohnen, und welche wir mit mehr
Recht als die meisten andern Vettern nennen dürfen: die Bewohner der nörd¬
lichen Hälfte Cimbriens. Jütland galt noch vor wenigen Jahren selbst den
Dänen der Inseln als eine Art Sibirien, sein Volk als halbbarbarisches, dort¬
hin versetzt zu werden aus dem gebildeten, feinen, freudenreichen Kopenhagen
als ein Mißgeschick nickt viel kleiner als das, welches Ovid in seinen Episteln
aus Pontus beklagt. Noch übler wo möglich war Jütland und der Jude in
Schleswig-Holstein angeschrieben. Traurige Haiden und Sümpfe, magere Kühe,
schwarze Töpfe, Holzschuhe und ein hyperboräisches Geschlecht mit unsauberen
Sitten, Plumpen Manieren und wenig entwickeltem Verstände, das ungefähr
schwebte der Menge vor, wenn die Gedanken oder Gespräche sich mit dem
Lande jenseits der Königs- und der Koldingau beschäftigten. Nur Einzelne
wußten, daß der Nachbar und Gevatter im Norden keineswegs so schlimm war
als sein Geruch, vorzüglich wenn er nicht Tabak rauchte. Im Innern Deutsch¬
lands aber richteten sich die Meisten, wenn sie ihr Vorstellungsvermögen über¬
haupt einmal über die Nordgrenze hinaus bemühten, nach der Meinung der
großen Masse in den Herzogthümern: die Juden waren halbe Wilde in einer
halben Wüste.

Schon der vorletzte Krieg mit Dänemark corrigirte diese üble Ansicht von
Land und Leuten drüben über der Grenze unsrer Nordmark mehrfach. Der
letzte that dies für Viele noch gründlicher. Bis zum fernen Skagen hinauf,
wo die Wellen der Nordsee und der Ostsee einander gute Nacht sagen, lernten
wir den Vetter im Norden kennen, wie er uns kennen gelernt hat und zwar
in einer Weise, die ebenso zu seinem wie zu unserm Frieden dienen wird. Der


höchste Auslegung der Zeugenzwangsvorschrift (§. 312 der Criminalordnung)
und des Begriffes „Gewerbe^ (§. 313. Ur. 3 ebenda) warten, sondern das
ihnen zustehende gesetzliche Recht gebrauchen, bis die umfangreiche Hilfe
eines neuen Gesetzes kommen kann und kommt.




Unsere Nachbarn an der Nordgrenze.

Wie das mitunter vorkommt — zu den am wenigsten bei uns bekannten
unter unseren Nachbarn gehörten bis vor Kurzem die, welche dem Mittelpunkt
norddeutschen Lebens am wenigsten fern wohnen, und welche wir mit mehr
Recht als die meisten andern Vettern nennen dürfen: die Bewohner der nörd¬
lichen Hälfte Cimbriens. Jütland galt noch vor wenigen Jahren selbst den
Dänen der Inseln als eine Art Sibirien, sein Volk als halbbarbarisches, dort¬
hin versetzt zu werden aus dem gebildeten, feinen, freudenreichen Kopenhagen
als ein Mißgeschick nickt viel kleiner als das, welches Ovid in seinen Episteln
aus Pontus beklagt. Noch übler wo möglich war Jütland und der Jude in
Schleswig-Holstein angeschrieben. Traurige Haiden und Sümpfe, magere Kühe,
schwarze Töpfe, Holzschuhe und ein hyperboräisches Geschlecht mit unsauberen
Sitten, Plumpen Manieren und wenig entwickeltem Verstände, das ungefähr
schwebte der Menge vor, wenn die Gedanken oder Gespräche sich mit dem
Lande jenseits der Königs- und der Koldingau beschäftigten. Nur Einzelne
wußten, daß der Nachbar und Gevatter im Norden keineswegs so schlimm war
als sein Geruch, vorzüglich wenn er nicht Tabak rauchte. Im Innern Deutsch¬
lands aber richteten sich die Meisten, wenn sie ihr Vorstellungsvermögen über¬
haupt einmal über die Nordgrenze hinaus bemühten, nach der Meinung der
großen Masse in den Herzogthümern: die Juden waren halbe Wilde in einer
halben Wüste.

Schon der vorletzte Krieg mit Dänemark corrigirte diese üble Ansicht von
Land und Leuten drüben über der Grenze unsrer Nordmark mehrfach. Der
letzte that dies für Viele noch gründlicher. Bis zum fernen Skagen hinauf,
wo die Wellen der Nordsee und der Ostsee einander gute Nacht sagen, lernten
wir den Vetter im Norden kennen, wie er uns kennen gelernt hat und zwar
in einer Weise, die ebenso zu seinem wie zu unserm Frieden dienen wird. Der


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[0268] höchste Auslegung der Zeugenzwangsvorschrift (§. 312 der Criminalordnung) und des Begriffes „Gewerbe^ (§. 313. Ur. 3 ebenda) warten, sondern das ihnen zustehende gesetzliche Recht gebrauchen, bis die umfangreiche Hilfe eines neuen Gesetzes kommen kann und kommt. Unsere Nachbarn an der Nordgrenze. Wie das mitunter vorkommt — zu den am wenigsten bei uns bekannten unter unseren Nachbarn gehörten bis vor Kurzem die, welche dem Mittelpunkt norddeutschen Lebens am wenigsten fern wohnen, und welche wir mit mehr Recht als die meisten andern Vettern nennen dürfen: die Bewohner der nörd¬ lichen Hälfte Cimbriens. Jütland galt noch vor wenigen Jahren selbst den Dänen der Inseln als eine Art Sibirien, sein Volk als halbbarbarisches, dort¬ hin versetzt zu werden aus dem gebildeten, feinen, freudenreichen Kopenhagen als ein Mißgeschick nickt viel kleiner als das, welches Ovid in seinen Episteln aus Pontus beklagt. Noch übler wo möglich war Jütland und der Jude in Schleswig-Holstein angeschrieben. Traurige Haiden und Sümpfe, magere Kühe, schwarze Töpfe, Holzschuhe und ein hyperboräisches Geschlecht mit unsauberen Sitten, Plumpen Manieren und wenig entwickeltem Verstände, das ungefähr schwebte der Menge vor, wenn die Gedanken oder Gespräche sich mit dem Lande jenseits der Königs- und der Koldingau beschäftigten. Nur Einzelne wußten, daß der Nachbar und Gevatter im Norden keineswegs so schlimm war als sein Geruch, vorzüglich wenn er nicht Tabak rauchte. Im Innern Deutsch¬ lands aber richteten sich die Meisten, wenn sie ihr Vorstellungsvermögen über¬ haupt einmal über die Nordgrenze hinaus bemühten, nach der Meinung der großen Masse in den Herzogthümern: die Juden waren halbe Wilde in einer halben Wüste. Schon der vorletzte Krieg mit Dänemark corrigirte diese üble Ansicht von Land und Leuten drüben über der Grenze unsrer Nordmark mehrfach. Der letzte that dies für Viele noch gründlicher. Bis zum fernen Skagen hinauf, wo die Wellen der Nordsee und der Ostsee einander gute Nacht sagen, lernten wir den Vetter im Norden kennen, wie er uns kennen gelernt hat und zwar in einer Weise, die ebenso zu seinem wie zu unserm Frieden dienen wird. Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/268>, abgerufen am 26.05.2024.