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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Natur- und Reisebilder ans Südamerika.
Franz Engel. Von 2.

An dem jedesmaligen Endpunkte unseres Wegbruches wurde allabendlich
ein kleiner provisorischer Ramado. d. h. nur ein schräges Palmendach, als Schutz
und Zuflucht gegen die feuchten Niederschläge der Nacht aufgerichtet und darunter
ein Lager aus Blättern aufgeschüttet; unsere wollenen Covijas schützten uns
gegen die Nachtluft, welche allmälig kühler über den Boden hinstnch. Und wer
etwa in seinen weichen Betten, oder wer aus seinem harten Strohlager zwischen
undicht schließenden und von dem Krystall des Frostes umkleideten Wänden, in
der bittern Dürftigkeit seines nordischen Daseins keinen Schlaf fand, der hätte
uns beneiden können um den festen Schlaf auf Palmen- oder Musenblättern
unter dem geheimnißvollen Schatten vieltausendjähriger Wälder, die niemals
ihre Aeste unter dem Eis und Schnee des Winters beugen, über denen sich
"n tiefblauer, noch im Lichte des Nachtgestirnes lächelnder Himmel wölbt, und
wo allnächtlich liebeswarme "Sommernachtsträume" zwischen Erde und Himmel
auf- und niedersteigen. Bewegt schaut da das Menschenauge, das zwischen den
Schläfern allein noch wacht, hinauf zu dem mild-freundlichen Himmelsauge.
Allerlei pdantastische Bilder jagen sich durch die lautlosen, kaum von einem
Hauche lebendiger Wesen gestörten Waldesschatten. Allmälig fällt das Wacht¬
feuer mit leichtem Knistern und Prasseln zusammen, ungeschürt von dem vor
ihm kauernden Wächter, der. das Kinn zwischen die Kniee gelegt, wie seine
Genossen eingeschlummert ist. Aus den dunkelroth glimmenden Kohlen steigt
der blaue Rauch in gerader Säule auf in die reine, leichte Nachtluft. Allmälig
tischt in der Asche der letzte Funken, und mit ihm fällt auch das letzte wachende
Menschenauge zu inmitten der unendlichen Waldeinsamkeit. Tiefste Ruhe
herrscht, bis der Morgen mit seinen weckenden Stimmen durch den Wald geht,
jedes Gethier fröhlich seinen nächtlichen Schlupfwinkel verläßt, und fröstelnd
der Mensch von dem Palmenblattlager ausspringt, aufs Neue sein Feuer schürt
Und Wärme und Nahrung sucht.

Der nur allzu verbreitete Selbstbetrug, daß gebranntes Wasser der Ge¬
sundheit dienlicher sei, als das reine, arg- und lückenlose Wasser, welches die
Natur in ihren Quellenbrüstcn darbietet, geht aus der Berührung der Civili¬
sation mit der Uncultur auf diese letztere so unaufhaltsam über, wie der Gift¬
stoff böser Krankheiten bei der leisesten Berührung sich dem Gesunden mittheilt.
^ Das brennende Wasser, der aFNÄräisuts, eröffnet und schließt jeden Tag


Natur- und Reisebilder ans Südamerika.
Franz Engel. Von 2.

An dem jedesmaligen Endpunkte unseres Wegbruches wurde allabendlich
ein kleiner provisorischer Ramado. d. h. nur ein schräges Palmendach, als Schutz
und Zuflucht gegen die feuchten Niederschläge der Nacht aufgerichtet und darunter
ein Lager aus Blättern aufgeschüttet; unsere wollenen Covijas schützten uns
gegen die Nachtluft, welche allmälig kühler über den Boden hinstnch. Und wer
etwa in seinen weichen Betten, oder wer aus seinem harten Strohlager zwischen
undicht schließenden und von dem Krystall des Frostes umkleideten Wänden, in
der bittern Dürftigkeit seines nordischen Daseins keinen Schlaf fand, der hätte
uns beneiden können um den festen Schlaf auf Palmen- oder Musenblättern
unter dem geheimnißvollen Schatten vieltausendjähriger Wälder, die niemals
ihre Aeste unter dem Eis und Schnee des Winters beugen, über denen sich
"n tiefblauer, noch im Lichte des Nachtgestirnes lächelnder Himmel wölbt, und
wo allnächtlich liebeswarme „Sommernachtsträume" zwischen Erde und Himmel
auf- und niedersteigen. Bewegt schaut da das Menschenauge, das zwischen den
Schläfern allein noch wacht, hinauf zu dem mild-freundlichen Himmelsauge.
Allerlei pdantastische Bilder jagen sich durch die lautlosen, kaum von einem
Hauche lebendiger Wesen gestörten Waldesschatten. Allmälig fällt das Wacht¬
feuer mit leichtem Knistern und Prasseln zusammen, ungeschürt von dem vor
ihm kauernden Wächter, der. das Kinn zwischen die Kniee gelegt, wie seine
Genossen eingeschlummert ist. Aus den dunkelroth glimmenden Kohlen steigt
der blaue Rauch in gerader Säule auf in die reine, leichte Nachtluft. Allmälig
tischt in der Asche der letzte Funken, und mit ihm fällt auch das letzte wachende
Menschenauge zu inmitten der unendlichen Waldeinsamkeit. Tiefste Ruhe
herrscht, bis der Morgen mit seinen weckenden Stimmen durch den Wald geht,
jedes Gethier fröhlich seinen nächtlichen Schlupfwinkel verläßt, und fröstelnd
der Mensch von dem Palmenblattlager ausspringt, aufs Neue sein Feuer schürt
Und Wärme und Nahrung sucht.

Der nur allzu verbreitete Selbstbetrug, daß gebranntes Wasser der Ge¬
sundheit dienlicher sei, als das reine, arg- und lückenlose Wasser, welches die
Natur in ihren Quellenbrüstcn darbietet, geht aus der Berührung der Civili¬
sation mit der Uncultur auf diese letztere so unaufhaltsam über, wie der Gift¬
stoff böser Krankheiten bei der leisesten Berührung sich dem Gesunden mittheilt.
^ Das brennende Wasser, der aFNÄräisuts, eröffnet und schließt jeden Tag


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[0289] Natur- und Reisebilder ans Südamerika. Franz Engel. Von 2. An dem jedesmaligen Endpunkte unseres Wegbruches wurde allabendlich ein kleiner provisorischer Ramado. d. h. nur ein schräges Palmendach, als Schutz und Zuflucht gegen die feuchten Niederschläge der Nacht aufgerichtet und darunter ein Lager aus Blättern aufgeschüttet; unsere wollenen Covijas schützten uns gegen die Nachtluft, welche allmälig kühler über den Boden hinstnch. Und wer etwa in seinen weichen Betten, oder wer aus seinem harten Strohlager zwischen undicht schließenden und von dem Krystall des Frostes umkleideten Wänden, in der bittern Dürftigkeit seines nordischen Daseins keinen Schlaf fand, der hätte uns beneiden können um den festen Schlaf auf Palmen- oder Musenblättern unter dem geheimnißvollen Schatten vieltausendjähriger Wälder, die niemals ihre Aeste unter dem Eis und Schnee des Winters beugen, über denen sich "n tiefblauer, noch im Lichte des Nachtgestirnes lächelnder Himmel wölbt, und wo allnächtlich liebeswarme „Sommernachtsträume" zwischen Erde und Himmel auf- und niedersteigen. Bewegt schaut da das Menschenauge, das zwischen den Schläfern allein noch wacht, hinauf zu dem mild-freundlichen Himmelsauge. Allerlei pdantastische Bilder jagen sich durch die lautlosen, kaum von einem Hauche lebendiger Wesen gestörten Waldesschatten. Allmälig fällt das Wacht¬ feuer mit leichtem Knistern und Prasseln zusammen, ungeschürt von dem vor ihm kauernden Wächter, der. das Kinn zwischen die Kniee gelegt, wie seine Genossen eingeschlummert ist. Aus den dunkelroth glimmenden Kohlen steigt der blaue Rauch in gerader Säule auf in die reine, leichte Nachtluft. Allmälig tischt in der Asche der letzte Funken, und mit ihm fällt auch das letzte wachende Menschenauge zu inmitten der unendlichen Waldeinsamkeit. Tiefste Ruhe herrscht, bis der Morgen mit seinen weckenden Stimmen durch den Wald geht, jedes Gethier fröhlich seinen nächtlichen Schlupfwinkel verläßt, und fröstelnd der Mensch von dem Palmenblattlager ausspringt, aufs Neue sein Feuer schürt Und Wärme und Nahrung sucht. Der nur allzu verbreitete Selbstbetrug, daß gebranntes Wasser der Ge¬ sundheit dienlicher sei, als das reine, arg- und lückenlose Wasser, welches die Natur in ihren Quellenbrüstcn darbietet, geht aus der Berührung der Civili¬ sation mit der Uncultur auf diese letztere so unaufhaltsam über, wie der Gift¬ stoff böser Krankheiten bei der leisesten Berührung sich dem Gesunden mittheilt. ^ Das brennende Wasser, der aFNÄräisuts, eröffnet und schließt jeden Tag

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/289>, abgerufen am 26.05.2024.