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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Statuen Schillers an seinem hundertsten Geburtstage allenthalben aufstiegen
als Denkmäler unserer geistigen und als Mahnbilder unserer politischen Einheit,
so steht nunmehr Dantes Gestalt als nationales Symbolum vor den Augen
der Italiener. --

Die Nachbarn über den Alpen sind realistischere Naturen. Begabt mit
kraftvoller Einseitigkeit in allen einmal ergriffenen Tendenzen, haben sie
ihr nationales Ziel eher als ihre kühnste Hoffnung träumte, beinahe völlig
erreicht. Wir Deutschen sind karg bedacht mit dem unschätzbaren Gute, das
allein schnelle politische Erfolge möglich macht. Noch manches Lustrum.
wenn auf Dantes Standbildern schon die Kränze der Erinnerung an das
heutige Fest der Einheit welken, werden wir an unsern Schillersäulen
die Qualen unsrer Geduld zählen. Aber der Glückwunsch, den wir den
Italienern hinüberrufen zu ihrer Feier, braucht nicht ohne Frucht sür uns
selber zu sein. Allen großen Erfolgen der modernen Völker wohnt eine
fortwirkende überzeugende Kraft inne. Wenn vollends Wahlverwandtschaft der
Nationen, die auf hoher gegenseitiger Achtung ruht, Aehnlichkeit der politischen
Schicksale verbürgt, so dürfen wir das Fest jenseits der Alpen als eine Prophetie
für uns selber betrachten. Durch die zum Festgruß dargereichte Hand mag
etwas herüberströmeu von der Energie der Selbstverläugnung, mit der die
Italiener in guten und in bösen Tagen unbeirrt nach ihrem Ziel gerungen
h aben!




An englisches SeitenM zu dem Streit um die Heeres-
reorganislttion in Preußen.

Wie -es für den Einzelnen lehrreich ist, an tüchtigen Nachbarn und Mit¬
bürgern zu sehen, wie sie die einzelnen Krisen ihrer geistigen Entwickelung
durchgekämpft und überstanden haben, so kann es auch Völkern in den Krisen
ihrer staatlichen Entwickelungen nützlich sein. auf die Vergangenheit anderer
Nationen, die im politischen Leben weiter fortgeschritten sind, zurückzublicken
und zu sehen, wie sie die ihnen entgegenstehenden Hindernisse in einzelnen
Fragen überwanden.

Zwar wird es sich dabei nicht in allen Fällen darum handeln, hier dasselbe


37*

Statuen Schillers an seinem hundertsten Geburtstage allenthalben aufstiegen
als Denkmäler unserer geistigen und als Mahnbilder unserer politischen Einheit,
so steht nunmehr Dantes Gestalt als nationales Symbolum vor den Augen
der Italiener. —

Die Nachbarn über den Alpen sind realistischere Naturen. Begabt mit
kraftvoller Einseitigkeit in allen einmal ergriffenen Tendenzen, haben sie
ihr nationales Ziel eher als ihre kühnste Hoffnung träumte, beinahe völlig
erreicht. Wir Deutschen sind karg bedacht mit dem unschätzbaren Gute, das
allein schnelle politische Erfolge möglich macht. Noch manches Lustrum.
wenn auf Dantes Standbildern schon die Kränze der Erinnerung an das
heutige Fest der Einheit welken, werden wir an unsern Schillersäulen
die Qualen unsrer Geduld zählen. Aber der Glückwunsch, den wir den
Italienern hinüberrufen zu ihrer Feier, braucht nicht ohne Frucht sür uns
selber zu sein. Allen großen Erfolgen der modernen Völker wohnt eine
fortwirkende überzeugende Kraft inne. Wenn vollends Wahlverwandtschaft der
Nationen, die auf hoher gegenseitiger Achtung ruht, Aehnlichkeit der politischen
Schicksale verbürgt, so dürfen wir das Fest jenseits der Alpen als eine Prophetie
für uns selber betrachten. Durch die zum Festgruß dargereichte Hand mag
etwas herüberströmeu von der Energie der Selbstverläugnung, mit der die
Italiener in guten und in bösen Tagen unbeirrt nach ihrem Ziel gerungen
h aben!




An englisches SeitenM zu dem Streit um die Heeres-
reorganislttion in Preußen.

Wie -es für den Einzelnen lehrreich ist, an tüchtigen Nachbarn und Mit¬
bürgern zu sehen, wie sie die einzelnen Krisen ihrer geistigen Entwickelung
durchgekämpft und überstanden haben, so kann es auch Völkern in den Krisen
ihrer staatlichen Entwickelungen nützlich sein. auf die Vergangenheit anderer
Nationen, die im politischen Leben weiter fortgeschritten sind, zurückzublicken
und zu sehen, wie sie die ihnen entgegenstehenden Hindernisse in einzelnen
Fragen überwanden.

Zwar wird es sich dabei nicht in allen Fällen darum handeln, hier dasselbe


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[0311] Statuen Schillers an seinem hundertsten Geburtstage allenthalben aufstiegen als Denkmäler unserer geistigen und als Mahnbilder unserer politischen Einheit, so steht nunmehr Dantes Gestalt als nationales Symbolum vor den Augen der Italiener. — Die Nachbarn über den Alpen sind realistischere Naturen. Begabt mit kraftvoller Einseitigkeit in allen einmal ergriffenen Tendenzen, haben sie ihr nationales Ziel eher als ihre kühnste Hoffnung träumte, beinahe völlig erreicht. Wir Deutschen sind karg bedacht mit dem unschätzbaren Gute, das allein schnelle politische Erfolge möglich macht. Noch manches Lustrum. wenn auf Dantes Standbildern schon die Kränze der Erinnerung an das heutige Fest der Einheit welken, werden wir an unsern Schillersäulen die Qualen unsrer Geduld zählen. Aber der Glückwunsch, den wir den Italienern hinüberrufen zu ihrer Feier, braucht nicht ohne Frucht sür uns selber zu sein. Allen großen Erfolgen der modernen Völker wohnt eine fortwirkende überzeugende Kraft inne. Wenn vollends Wahlverwandtschaft der Nationen, die auf hoher gegenseitiger Achtung ruht, Aehnlichkeit der politischen Schicksale verbürgt, so dürfen wir das Fest jenseits der Alpen als eine Prophetie für uns selber betrachten. Durch die zum Festgruß dargereichte Hand mag etwas herüberströmeu von der Energie der Selbstverläugnung, mit der die Italiener in guten und in bösen Tagen unbeirrt nach ihrem Ziel gerungen h aben! An englisches SeitenM zu dem Streit um die Heeres- reorganislttion in Preußen. Wie -es für den Einzelnen lehrreich ist, an tüchtigen Nachbarn und Mit¬ bürgern zu sehen, wie sie die einzelnen Krisen ihrer geistigen Entwickelung durchgekämpft und überstanden haben, so kann es auch Völkern in den Krisen ihrer staatlichen Entwickelungen nützlich sein. auf die Vergangenheit anderer Nationen, die im politischen Leben weiter fortgeschritten sind, zurückzublicken und zu sehen, wie sie die ihnen entgegenstehenden Hindernisse in einzelnen Fragen überwanden. Zwar wird es sich dabei nicht in allen Fällen darum handeln, hier dasselbe 37*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/311>, abgerufen am 26.05.2024.