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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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kleidet sie in irgendein kleines Erlebniß aus seinem athenischen oder römischen
Stillleben ein. Diese Partien bieten eine Anzahl von anziehenden Genrebildern
aus dem Leben und Treiben der hervorragendsten Philologen, Rhetoren und
Philosophen jener Tage. Sie erscheinen dabei mit ihrem ganzen Mangel an
Originalität und Productionskraft, den das von allen Seiten zusammengeraffte
Gold fremder Gedanken, Studien, Ausdrucksformen nicht verhüllt; die meisten
dieser Größen sind ebenso moralisch als langweilig: trotzdem belustigen sie
durch den wunderlichen Contrast, den mit ihrer Aermlichkeit sowohl ihre ge¬
spreizte und aufgeblasene Selbstüberschätzung als die devote Bewunderung des
guten Gellius bildet.

Mehr als die Einkleidung entspricht dem Stoffe endlich die Schreibart:
die nüchterne Sprache des Alltagslebens ist bei dem Bewunderer des Fronto
natürlich wiederum versetzt mit allerhand Ingredienzien aus der vorciceronischen
Zeit; namentlich plündert er die reichen Vorrathskammern der alten Komödie,
deren drastischer und energischer Wortschatz sich nur widerwillig einer so philister¬
haften Verwendung fügt; der allzeit Mäßige scheut auch hier das Zuviel; mit
seinem Favorinus warnt er vor der Anwendung ungebräuchlicher und ganz ab¬
gekommener alter Worte, aber innerhalb dieser ziemlich willkürlich gesteckten
Grenzen zahlt auch er dem Zeitgeschmack einen reichlichen Tribut.

Daß das nicht zur Gelehrtenzunft gehörige Publicum an solchen, zwar
wackeren, aber ennuyanten Gesellen keinen großen Geschmack finden konnte,
begreift sich; lieber ließ es sich von Orakel- und Wundermännern Sand in die
Augen streuen als von einschläfernden Grammatikastern.

Es war der Anfang des Endes der römischen Literatur. Wie den Geben¬
den die schöpferische Kraft, so fehlte den Empfangenden die echte wahre Theil¬
nahme.




Natur- und Reisebilder aus Südamerika.
Franz Engel. Von3.

Es war'nun zunächst nothwendig, einen gangbaren Paß das durch tiefe
und breite Flußbett nach dem andern Ufer hinüber aufzusuchen. Sämmtliche
Waldstrome, die unsern Weg kreuzten -- und es waren ihrer viele -- mußten


kleidet sie in irgendein kleines Erlebniß aus seinem athenischen oder römischen
Stillleben ein. Diese Partien bieten eine Anzahl von anziehenden Genrebildern
aus dem Leben und Treiben der hervorragendsten Philologen, Rhetoren und
Philosophen jener Tage. Sie erscheinen dabei mit ihrem ganzen Mangel an
Originalität und Productionskraft, den das von allen Seiten zusammengeraffte
Gold fremder Gedanken, Studien, Ausdrucksformen nicht verhüllt; die meisten
dieser Größen sind ebenso moralisch als langweilig: trotzdem belustigen sie
durch den wunderlichen Contrast, den mit ihrer Aermlichkeit sowohl ihre ge¬
spreizte und aufgeblasene Selbstüberschätzung als die devote Bewunderung des
guten Gellius bildet.

Mehr als die Einkleidung entspricht dem Stoffe endlich die Schreibart:
die nüchterne Sprache des Alltagslebens ist bei dem Bewunderer des Fronto
natürlich wiederum versetzt mit allerhand Ingredienzien aus der vorciceronischen
Zeit; namentlich plündert er die reichen Vorrathskammern der alten Komödie,
deren drastischer und energischer Wortschatz sich nur widerwillig einer so philister¬
haften Verwendung fügt; der allzeit Mäßige scheut auch hier das Zuviel; mit
seinem Favorinus warnt er vor der Anwendung ungebräuchlicher und ganz ab¬
gekommener alter Worte, aber innerhalb dieser ziemlich willkürlich gesteckten
Grenzen zahlt auch er dem Zeitgeschmack einen reichlichen Tribut.

Daß das nicht zur Gelehrtenzunft gehörige Publicum an solchen, zwar
wackeren, aber ennuyanten Gesellen keinen großen Geschmack finden konnte,
begreift sich; lieber ließ es sich von Orakel- und Wundermännern Sand in die
Augen streuen als von einschläfernden Grammatikastern.

Es war der Anfang des Endes der römischen Literatur. Wie den Geben¬
den die schöpferische Kraft, so fehlte den Empfangenden die echte wahre Theil¬
nahme.




Natur- und Reisebilder aus Südamerika.
Franz Engel. Von3.

Es war'nun zunächst nothwendig, einen gangbaren Paß das durch tiefe
und breite Flußbett nach dem andern Ufer hinüber aufzusuchen. Sämmtliche
Waldstrome, die unsern Weg kreuzten — und es waren ihrer viele — mußten


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[0326] kleidet sie in irgendein kleines Erlebniß aus seinem athenischen oder römischen Stillleben ein. Diese Partien bieten eine Anzahl von anziehenden Genrebildern aus dem Leben und Treiben der hervorragendsten Philologen, Rhetoren und Philosophen jener Tage. Sie erscheinen dabei mit ihrem ganzen Mangel an Originalität und Productionskraft, den das von allen Seiten zusammengeraffte Gold fremder Gedanken, Studien, Ausdrucksformen nicht verhüllt; die meisten dieser Größen sind ebenso moralisch als langweilig: trotzdem belustigen sie durch den wunderlichen Contrast, den mit ihrer Aermlichkeit sowohl ihre ge¬ spreizte und aufgeblasene Selbstüberschätzung als die devote Bewunderung des guten Gellius bildet. Mehr als die Einkleidung entspricht dem Stoffe endlich die Schreibart: die nüchterne Sprache des Alltagslebens ist bei dem Bewunderer des Fronto natürlich wiederum versetzt mit allerhand Ingredienzien aus der vorciceronischen Zeit; namentlich plündert er die reichen Vorrathskammern der alten Komödie, deren drastischer und energischer Wortschatz sich nur widerwillig einer so philister¬ haften Verwendung fügt; der allzeit Mäßige scheut auch hier das Zuviel; mit seinem Favorinus warnt er vor der Anwendung ungebräuchlicher und ganz ab¬ gekommener alter Worte, aber innerhalb dieser ziemlich willkürlich gesteckten Grenzen zahlt auch er dem Zeitgeschmack einen reichlichen Tribut. Daß das nicht zur Gelehrtenzunft gehörige Publicum an solchen, zwar wackeren, aber ennuyanten Gesellen keinen großen Geschmack finden konnte, begreift sich; lieber ließ es sich von Orakel- und Wundermännern Sand in die Augen streuen als von einschläfernden Grammatikastern. Es war der Anfang des Endes der römischen Literatur. Wie den Geben¬ den die schöpferische Kraft, so fehlte den Empfangenden die echte wahre Theil¬ nahme. Natur- und Reisebilder aus Südamerika. Franz Engel. Von3. Es war'nun zunächst nothwendig, einen gangbaren Paß das durch tiefe und breite Flußbett nach dem andern Ufer hinüber aufzusuchen. Sämmtliche Waldstrome, die unsern Weg kreuzten — und es waren ihrer viele — mußten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/326>, abgerufen am 26.05.2024.