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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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iisdem. Die Reformation, die in Kosemitz und Basel versucht wurde, beschränkte
sich auf Nebendinge. Die Bewegung wickle auch in der Schule fort, aber zu¬
nächst nur vorbereitend.

Zu gleicher Zeit gäv es in den Niederlanden eine stille Bruderschaft, die
fern von dem dürren Formelkram und den seelenlosen Spitzfindigkeiten der
späten Scholastik sich in die Tiefen der ewigen Liebe zu versenken und durch
praktische Nachfolge Cbristi' Befriedigung für die geängstete Seele zu gewinnen
bestrebt war. und die durch Thomas von Kempen und Andere tief und nach¬
haltig auf das deutsche Gemüth wirkte. Aber die Universitäten wurden davon
kaum berührt.' Dagegen hatte sich inzwischen in Italien eine dritte Wehe zur
Wiedergeburt, eine dritte Welle zum Untergang der Scholastik zu regen be¬
gonnen -- eine Wendung der Dinge, über die der nächste Abschnitt be¬
richten wird.




Die amerikanische Mission unter den nestorianischen Syrern.

In den kurdischen Gebirgen, nordöstlich, nördlich und nordwestlich von
Mosul (beinahe bis an den Tigris) und ferner in der zwischen diesem Gebirgs-
lande und dem Arenia-See liegenden Ebene, einem Theil des alten Mediens,
finden wir neben der muslimischen Bevölkerung eine nicht unbedeutende Anzahl
von Syrern (etwa 100.000 Seelen), welche sich außer ihrem nestorianischen
Christenthum auch ihre alte aramäische Sprache erhalten haben. Die Nestorianer
des Gebirges sind zum großen Theil völlig unabhängig, unter der Herrschaft
ihres souveränen Patriarchen, der in Kotschanes restdirt; die Herrschaft der
Pforte hat in diesen Alpenlandschaften nichts zu bedeuten, und der rohen kur¬
dischen Nachbarn erwehrt man sich nach Kräften. Die Nestorianer der Ebene
stehen unter persischer Herrschaft und verehren den Patriarchen nur als ihr
geistliches Haupt.

Theils durch die wilden Gebirge und noch wilderen Kurden von aller Be¬
rührung mit höherer Bildung abgeschlossen, theils durch den Druck islamischer
Herrschaft niedergebeugt und sich von der ihnen durch diese nähergebrachten Form
der Bildung scheu abschließend, waren diese armen Syrer geistig sehr tief ge¬
sunken. Hatte das einst unter den Nestorianer" sehr rege geistige Leben in


iisdem. Die Reformation, die in Kosemitz und Basel versucht wurde, beschränkte
sich auf Nebendinge. Die Bewegung wickle auch in der Schule fort, aber zu¬
nächst nur vorbereitend.

Zu gleicher Zeit gäv es in den Niederlanden eine stille Bruderschaft, die
fern von dem dürren Formelkram und den seelenlosen Spitzfindigkeiten der
späten Scholastik sich in die Tiefen der ewigen Liebe zu versenken und durch
praktische Nachfolge Cbristi' Befriedigung für die geängstete Seele zu gewinnen
bestrebt war. und die durch Thomas von Kempen und Andere tief und nach¬
haltig auf das deutsche Gemüth wirkte. Aber die Universitäten wurden davon
kaum berührt.' Dagegen hatte sich inzwischen in Italien eine dritte Wehe zur
Wiedergeburt, eine dritte Welle zum Untergang der Scholastik zu regen be¬
gonnen — eine Wendung der Dinge, über die der nächste Abschnitt be¬
richten wird.




Die amerikanische Mission unter den nestorianischen Syrern.

In den kurdischen Gebirgen, nordöstlich, nördlich und nordwestlich von
Mosul (beinahe bis an den Tigris) und ferner in der zwischen diesem Gebirgs-
lande und dem Arenia-See liegenden Ebene, einem Theil des alten Mediens,
finden wir neben der muslimischen Bevölkerung eine nicht unbedeutende Anzahl
von Syrern (etwa 100.000 Seelen), welche sich außer ihrem nestorianischen
Christenthum auch ihre alte aramäische Sprache erhalten haben. Die Nestorianer
des Gebirges sind zum großen Theil völlig unabhängig, unter der Herrschaft
ihres souveränen Patriarchen, der in Kotschanes restdirt; die Herrschaft der
Pforte hat in diesen Alpenlandschaften nichts zu bedeuten, und der rohen kur¬
dischen Nachbarn erwehrt man sich nach Kräften. Die Nestorianer der Ebene
stehen unter persischer Herrschaft und verehren den Patriarchen nur als ihr
geistliches Haupt.

Theils durch die wilden Gebirge und noch wilderen Kurden von aller Be¬
rührung mit höherer Bildung abgeschlossen, theils durch den Druck islamischer
Herrschaft niedergebeugt und sich von der ihnen durch diese nähergebrachten Form
der Bildung scheu abschließend, waren diese armen Syrer geistig sehr tief ge¬
sunken. Hatte das einst unter den Nestorianer» sehr rege geistige Leben in


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[0492] iisdem. Die Reformation, die in Kosemitz und Basel versucht wurde, beschränkte sich auf Nebendinge. Die Bewegung wickle auch in der Schule fort, aber zu¬ nächst nur vorbereitend. Zu gleicher Zeit gäv es in den Niederlanden eine stille Bruderschaft, die fern von dem dürren Formelkram und den seelenlosen Spitzfindigkeiten der späten Scholastik sich in die Tiefen der ewigen Liebe zu versenken und durch praktische Nachfolge Cbristi' Befriedigung für die geängstete Seele zu gewinnen bestrebt war. und die durch Thomas von Kempen und Andere tief und nach¬ haltig auf das deutsche Gemüth wirkte. Aber die Universitäten wurden davon kaum berührt.' Dagegen hatte sich inzwischen in Italien eine dritte Wehe zur Wiedergeburt, eine dritte Welle zum Untergang der Scholastik zu regen be¬ gonnen — eine Wendung der Dinge, über die der nächste Abschnitt be¬ richten wird. Die amerikanische Mission unter den nestorianischen Syrern. In den kurdischen Gebirgen, nordöstlich, nördlich und nordwestlich von Mosul (beinahe bis an den Tigris) und ferner in der zwischen diesem Gebirgs- lande und dem Arenia-See liegenden Ebene, einem Theil des alten Mediens, finden wir neben der muslimischen Bevölkerung eine nicht unbedeutende Anzahl von Syrern (etwa 100.000 Seelen), welche sich außer ihrem nestorianischen Christenthum auch ihre alte aramäische Sprache erhalten haben. Die Nestorianer des Gebirges sind zum großen Theil völlig unabhängig, unter der Herrschaft ihres souveränen Patriarchen, der in Kotschanes restdirt; die Herrschaft der Pforte hat in diesen Alpenlandschaften nichts zu bedeuten, und der rohen kur¬ dischen Nachbarn erwehrt man sich nach Kräften. Die Nestorianer der Ebene stehen unter persischer Herrschaft und verehren den Patriarchen nur als ihr geistliches Haupt. Theils durch die wilden Gebirge und noch wilderen Kurden von aller Be¬ rührung mit höherer Bildung abgeschlossen, theils durch den Druck islamischer Herrschaft niedergebeugt und sich von der ihnen durch diese nähergebrachten Form der Bildung scheu abschließend, waren diese armen Syrer geistig sehr tief ge¬ sunken. Hatte das einst unter den Nestorianer» sehr rege geistige Leben in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/492>, abgerufen am 25.05.2024.