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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Das Leben Gneisenaus von Pertz.
2.

In dem ersten Abschnitt über das Leben Gneisenaus sind wir demselben
bis zur ersten Stufe seines militärischen Ruhmes, der Vertheidigung Kolbergs
gefolgt; in diesem zweiten Abschnitt begleiten wir ihn durch die erste Periode
seiner staatsmännischen Laufbahn. Gneisenau war an das königliche Hoflager,
damals in Memel, später in Königsberg, berufen, um die Reorganisation der
Armee zu bearbeiten. Der Krieg von 1806--1807 hatte aber nicht nur die
Armee, sondern den ganzen Staat als hilfsbedürftig dargethan, und die Reorgani¬
sation mußte nothgedrungen beide umfassen, wenn Preußen überhaupt zu neuem
Leben auferstehen sollte. So entbot denn der König zu sich alle Männer, welche
sich in der Zeit der Noth als selbständige Charaktere mit schaffender Kraft bewährt
hatten. An kleinem Orte vereinigten sich in gleicher Arbeit und gleichem Ziel
die Männer, auf welche das Volk sah; vor andern Stein als leitender Minister,
unter ihm Schön, Vincke, Niebuhr, Rhediger; und wieder Scharnhorst, Gnei¬
senau, Voyen. Grolmann und Götzen. Aus dieser Gemeinsamkeit gründete sich
eine Genossenschaft, die sich durch alle fernern Kämpfe, innere wie äußere, erhielt,
und die durch ihre Mitglieder, welche in der Regierung blieben, in dieser die
Kraft des Volkes repräsentirte und die Befreiung des Vaterlandes, man möchte
sagen fast gegen den Willen des Königs, durchsetzte. -- Weil diese Männer aber
einerseits ihre Kraft nur im Volke suchten, entfremdeten sie sich den Anhängern
des Alten, den eigentlichen Hofkreisen, und weil das Ziel ihres Strebens auf
die Befreiung des Vaterlandes, die Vertreibung der Franzosen gerichtet war,
schufen sie sich in diesen erklärte Feinde. -- Um das Volk zu gewinnen, mußte
die Reorganisation des Staats auf durchaus liberalen Grundlagen erfolgen, und
um sich der Macht der Franzosen zu entziehen, war man genöthigt, die Thätig-
keit in das Gewand des Geheimnisses zu kleiden. So kamen die Hofpartei
und die Franzosen in ein gemeinschaftliches Interesse gegen Stein, Scharnhorst,
Gneisenau u. s. w. Und ebenso traten diese in ein geheimes Bündniß mit allen
Bestrebungen, welche die französische Revolution in den Massen wachgerufen
hatte. Ueber die Natur dieses Bündnisses wollen wir weiter unten sprechen.
Franzosen und Hofpartei blieben im losen Bande und duldeten in gegenseitiger
Eifersucht die Kraftentfaltungen des preußischen Volks, bis die Campagne in
Rußland das Band löste, der Hof sich mit der Volkspartei verband und die
Franzosen verjagte, und als dies erledigt war, die liberalen Bestrebungen mit
der neu gewonnenen Kraft niederhielt.

Stein und die ihm zur Seite stehenden Männer traten außer den amtlichen


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Das Leben Gneisenaus von Pertz.
2.

In dem ersten Abschnitt über das Leben Gneisenaus sind wir demselben
bis zur ersten Stufe seines militärischen Ruhmes, der Vertheidigung Kolbergs
gefolgt; in diesem zweiten Abschnitt begleiten wir ihn durch die erste Periode
seiner staatsmännischen Laufbahn. Gneisenau war an das königliche Hoflager,
damals in Memel, später in Königsberg, berufen, um die Reorganisation der
Armee zu bearbeiten. Der Krieg von 1806—1807 hatte aber nicht nur die
Armee, sondern den ganzen Staat als hilfsbedürftig dargethan, und die Reorgani¬
sation mußte nothgedrungen beide umfassen, wenn Preußen überhaupt zu neuem
Leben auferstehen sollte. So entbot denn der König zu sich alle Männer, welche
sich in der Zeit der Noth als selbständige Charaktere mit schaffender Kraft bewährt
hatten. An kleinem Orte vereinigten sich in gleicher Arbeit und gleichem Ziel
die Männer, auf welche das Volk sah; vor andern Stein als leitender Minister,
unter ihm Schön, Vincke, Niebuhr, Rhediger; und wieder Scharnhorst, Gnei¬
senau, Voyen. Grolmann und Götzen. Aus dieser Gemeinsamkeit gründete sich
eine Genossenschaft, die sich durch alle fernern Kämpfe, innere wie äußere, erhielt,
und die durch ihre Mitglieder, welche in der Regierung blieben, in dieser die
Kraft des Volkes repräsentirte und die Befreiung des Vaterlandes, man möchte
sagen fast gegen den Willen des Königs, durchsetzte. — Weil diese Männer aber
einerseits ihre Kraft nur im Volke suchten, entfremdeten sie sich den Anhängern
des Alten, den eigentlichen Hofkreisen, und weil das Ziel ihres Strebens auf
die Befreiung des Vaterlandes, die Vertreibung der Franzosen gerichtet war,
schufen sie sich in diesen erklärte Feinde. — Um das Volk zu gewinnen, mußte
die Reorganisation des Staats auf durchaus liberalen Grundlagen erfolgen, und
um sich der Macht der Franzosen zu entziehen, war man genöthigt, die Thätig-
keit in das Gewand des Geheimnisses zu kleiden. So kamen die Hofpartei
und die Franzosen in ein gemeinschaftliches Interesse gegen Stein, Scharnhorst,
Gneisenau u. s. w. Und ebenso traten diese in ein geheimes Bündniß mit allen
Bestrebungen, welche die französische Revolution in den Massen wachgerufen
hatte. Ueber die Natur dieses Bündnisses wollen wir weiter unten sprechen.
Franzosen und Hofpartei blieben im losen Bande und duldeten in gegenseitiger
Eifersucht die Kraftentfaltungen des preußischen Volks, bis die Campagne in
Rußland das Band löste, der Hof sich mit der Volkspartei verband und die
Franzosen verjagte, und als dies erledigt war, die liberalen Bestrebungen mit
der neu gewonnenen Kraft niederhielt.

Stein und die ihm zur Seite stehenden Männer traten außer den amtlichen


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[0205] Das Leben Gneisenaus von Pertz. 2. In dem ersten Abschnitt über das Leben Gneisenaus sind wir demselben bis zur ersten Stufe seines militärischen Ruhmes, der Vertheidigung Kolbergs gefolgt; in diesem zweiten Abschnitt begleiten wir ihn durch die erste Periode seiner staatsmännischen Laufbahn. Gneisenau war an das königliche Hoflager, damals in Memel, später in Königsberg, berufen, um die Reorganisation der Armee zu bearbeiten. Der Krieg von 1806—1807 hatte aber nicht nur die Armee, sondern den ganzen Staat als hilfsbedürftig dargethan, und die Reorgani¬ sation mußte nothgedrungen beide umfassen, wenn Preußen überhaupt zu neuem Leben auferstehen sollte. So entbot denn der König zu sich alle Männer, welche sich in der Zeit der Noth als selbständige Charaktere mit schaffender Kraft bewährt hatten. An kleinem Orte vereinigten sich in gleicher Arbeit und gleichem Ziel die Männer, auf welche das Volk sah; vor andern Stein als leitender Minister, unter ihm Schön, Vincke, Niebuhr, Rhediger; und wieder Scharnhorst, Gnei¬ senau, Voyen. Grolmann und Götzen. Aus dieser Gemeinsamkeit gründete sich eine Genossenschaft, die sich durch alle fernern Kämpfe, innere wie äußere, erhielt, und die durch ihre Mitglieder, welche in der Regierung blieben, in dieser die Kraft des Volkes repräsentirte und die Befreiung des Vaterlandes, man möchte sagen fast gegen den Willen des Königs, durchsetzte. — Weil diese Männer aber einerseits ihre Kraft nur im Volke suchten, entfremdeten sie sich den Anhängern des Alten, den eigentlichen Hofkreisen, und weil das Ziel ihres Strebens auf die Befreiung des Vaterlandes, die Vertreibung der Franzosen gerichtet war, schufen sie sich in diesen erklärte Feinde. — Um das Volk zu gewinnen, mußte die Reorganisation des Staats auf durchaus liberalen Grundlagen erfolgen, und um sich der Macht der Franzosen zu entziehen, war man genöthigt, die Thätig- keit in das Gewand des Geheimnisses zu kleiden. So kamen die Hofpartei und die Franzosen in ein gemeinschaftliches Interesse gegen Stein, Scharnhorst, Gneisenau u. s. w. Und ebenso traten diese in ein geheimes Bündniß mit allen Bestrebungen, welche die französische Revolution in den Massen wachgerufen hatte. Ueber die Natur dieses Bündnisses wollen wir weiter unten sprechen. Franzosen und Hofpartei blieben im losen Bande und duldeten in gegenseitiger Eifersucht die Kraftentfaltungen des preußischen Volks, bis die Campagne in Rußland das Band löste, der Hof sich mit der Volkspartei verband und die Franzosen verjagte, und als dies erledigt war, die liberalen Bestrebungen mit der neu gewonnenen Kraft niederhielt. Stein und die ihm zur Seite stehenden Männer traten außer den amtlichen 24*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/205>, abgerufen am 29.04.2024.