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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Der 19te Julii war dieser schreckliche Tag. Schon am 14ten, da unsre
Noth angieng, war mein Haus der Gefahr am meisten ausgesetzt. Früh um
8 Uhr zerschmetterte eine Haubitzgrancide das Zimmer meines Bedienten, und
zündete. Wir löschten damals noch das Feuer. Ich ließ meine Sachen, so
gut es möglich sein wollte, zusammenpacken, und theils in den Keller, theils
in ein Gewölbe schaffen, welches wir feste gnug zu seyn glaubten. Weil sich
aber die Gefahr vermehrte, und es Kugeln und Carcassen auf die Gegend
meiner Wohnung regnete, so flüchtete ich noch selbigen Abend um sieben Uhr
nach Neustadt zu Herrn D..., meinen Bedienten aber ließ ich, mit seinem
guten Willen, zurücke. Neustadt ward vom 15ten an auch beschossen, und zwei
Zwölfpfünder fuhren durch unser Haus, aber wir waren doch mit dem Feuer¬
einwerfen daselbst verschont.

So gefährlich und ängstlich dieser unser Ausenthalt war, so viel komische
und lächerliche Auftritte kamen doch dabei vor. Die Madame Z ... mit ihrer
Bedienung, und ich, waren die meiste Zeit bei Herrn H ... in seiner Stube,
und da schliefen wir auch. Hinten im Hofe, in zwei gewölbten Stübchen Staat
die ganze D . . . Familie, und noch vierzig Personen, alt und jung. Die
Fensterladen waren mit Miste verschüttet, der obere schöne Saal mit Miste be¬
deckt, und mit eben so viel Miste der ganze Hof bestreut. Unter diesem Miste
lagen alle diese Personen. Einige waren stille und verdrüßlich, einige beteten,
und man sah es ihnen am Maule an, wie sie mit ihrem Gott zankten, daß er
es doch so weit habe kommen lassen, ungeachtet sie ihm nun seit vier Jahren
die Ehre angethan, und fleißig gebetet. In einem andern Winkel saßen einige
politische Kannengießer, und machten für Daumen einen Operationsplan, wur¬
den aber sehr uneinig, weil sie sich über den kleinen Nebenumstand nicht ver¬
gleichen konnten, ob sie den König von Preußen mit seiner Armee wollten zu
Kriegsgefangenen machen, oder nicht lieber alles über die Klinge springen
lassen. Ich war für's letztere, aber ich ward überstimmt. Eine Priesterwittwe
kriegte mich immer aus die Seite, und zischelte mir ins Ohr: Wir sollten Gott
danken! Nur der lieben Religion wegen schösse uns der König von Preußen
todt, und unsere Häuser in Grund. "Aber, zum Henker, Madame, was haben
meine Perücken mit der Religion zu thun?" (denn kurz vorhero hatte ich er¬
fahren, daß eine dreißigpfündige Granade meinen ganzen Apparatur" von Pe¬
rücken zerschmettert habe.) "Lassen Sie es gut sein," antwortete sie mir, "es
wird sich schon geben, danken Sie Gott dafür!" -- Die verwünschte fromme
Frau hat mich grausam gepeinigt. Ich und ein paar gute Freunde vertrieben
uns die Zeit in unserer Stube, und mich deucht, das war noch am solidesten
gedacht. Unter dergleichen Abwechselung und Unruhe brachten wir den 19.
heran, den schrecklichsten Tag meines Lebens. Schon um drey Uhr Nachmit¬
tags stund die Kreuzkirche, das Amthaus und meine Wohnung in voller


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Der 19te Julii war dieser schreckliche Tag. Schon am 14ten, da unsre
Noth angieng, war mein Haus der Gefahr am meisten ausgesetzt. Früh um
8 Uhr zerschmetterte eine Haubitzgrancide das Zimmer meines Bedienten, und
zündete. Wir löschten damals noch das Feuer. Ich ließ meine Sachen, so
gut es möglich sein wollte, zusammenpacken, und theils in den Keller, theils
in ein Gewölbe schaffen, welches wir feste gnug zu seyn glaubten. Weil sich
aber die Gefahr vermehrte, und es Kugeln und Carcassen auf die Gegend
meiner Wohnung regnete, so flüchtete ich noch selbigen Abend um sieben Uhr
nach Neustadt zu Herrn D..., meinen Bedienten aber ließ ich, mit seinem
guten Willen, zurücke. Neustadt ward vom 15ten an auch beschossen, und zwei
Zwölfpfünder fuhren durch unser Haus, aber wir waren doch mit dem Feuer¬
einwerfen daselbst verschont.

So gefährlich und ängstlich dieser unser Ausenthalt war, so viel komische
und lächerliche Auftritte kamen doch dabei vor. Die Madame Z ... mit ihrer
Bedienung, und ich, waren die meiste Zeit bei Herrn H ... in seiner Stube,
und da schliefen wir auch. Hinten im Hofe, in zwei gewölbten Stübchen Staat
die ganze D . . . Familie, und noch vierzig Personen, alt und jung. Die
Fensterladen waren mit Miste verschüttet, der obere schöne Saal mit Miste be¬
deckt, und mit eben so viel Miste der ganze Hof bestreut. Unter diesem Miste
lagen alle diese Personen. Einige waren stille und verdrüßlich, einige beteten,
und man sah es ihnen am Maule an, wie sie mit ihrem Gott zankten, daß er
es doch so weit habe kommen lassen, ungeachtet sie ihm nun seit vier Jahren
die Ehre angethan, und fleißig gebetet. In einem andern Winkel saßen einige
politische Kannengießer, und machten für Daumen einen Operationsplan, wur¬
den aber sehr uneinig, weil sie sich über den kleinen Nebenumstand nicht ver¬
gleichen konnten, ob sie den König von Preußen mit seiner Armee wollten zu
Kriegsgefangenen machen, oder nicht lieber alles über die Klinge springen
lassen. Ich war für's letztere, aber ich ward überstimmt. Eine Priesterwittwe
kriegte mich immer aus die Seite, und zischelte mir ins Ohr: Wir sollten Gott
danken! Nur der lieben Religion wegen schösse uns der König von Preußen
todt, und unsere Häuser in Grund. „Aber, zum Henker, Madame, was haben
meine Perücken mit der Religion zu thun?" (denn kurz vorhero hatte ich er¬
fahren, daß eine dreißigpfündige Granade meinen ganzen Apparatur» von Pe¬
rücken zerschmettert habe.) „Lassen Sie es gut sein," antwortete sie mir, „es
wird sich schon geben, danken Sie Gott dafür!" — Die verwünschte fromme
Frau hat mich grausam gepeinigt. Ich und ein paar gute Freunde vertrieben
uns die Zeit in unserer Stube, und mich deucht, das war noch am solidesten
gedacht. Unter dergleichen Abwechselung und Unruhe brachten wir den 19.
heran, den schrecklichsten Tag meines Lebens. Schon um drey Uhr Nachmit¬
tags stund die Kreuzkirche, das Amthaus und meine Wohnung in voller


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[0412] Der 19te Julii war dieser schreckliche Tag. Schon am 14ten, da unsre Noth angieng, war mein Haus der Gefahr am meisten ausgesetzt. Früh um 8 Uhr zerschmetterte eine Haubitzgrancide das Zimmer meines Bedienten, und zündete. Wir löschten damals noch das Feuer. Ich ließ meine Sachen, so gut es möglich sein wollte, zusammenpacken, und theils in den Keller, theils in ein Gewölbe schaffen, welches wir feste gnug zu seyn glaubten. Weil sich aber die Gefahr vermehrte, und es Kugeln und Carcassen auf die Gegend meiner Wohnung regnete, so flüchtete ich noch selbigen Abend um sieben Uhr nach Neustadt zu Herrn D..., meinen Bedienten aber ließ ich, mit seinem guten Willen, zurücke. Neustadt ward vom 15ten an auch beschossen, und zwei Zwölfpfünder fuhren durch unser Haus, aber wir waren doch mit dem Feuer¬ einwerfen daselbst verschont. So gefährlich und ängstlich dieser unser Ausenthalt war, so viel komische und lächerliche Auftritte kamen doch dabei vor. Die Madame Z ... mit ihrer Bedienung, und ich, waren die meiste Zeit bei Herrn H ... in seiner Stube, und da schliefen wir auch. Hinten im Hofe, in zwei gewölbten Stübchen Staat die ganze D . . . Familie, und noch vierzig Personen, alt und jung. Die Fensterladen waren mit Miste verschüttet, der obere schöne Saal mit Miste be¬ deckt, und mit eben so viel Miste der ganze Hof bestreut. Unter diesem Miste lagen alle diese Personen. Einige waren stille und verdrüßlich, einige beteten, und man sah es ihnen am Maule an, wie sie mit ihrem Gott zankten, daß er es doch so weit habe kommen lassen, ungeachtet sie ihm nun seit vier Jahren die Ehre angethan, und fleißig gebetet. In einem andern Winkel saßen einige politische Kannengießer, und machten für Daumen einen Operationsplan, wur¬ den aber sehr uneinig, weil sie sich über den kleinen Nebenumstand nicht ver¬ gleichen konnten, ob sie den König von Preußen mit seiner Armee wollten zu Kriegsgefangenen machen, oder nicht lieber alles über die Klinge springen lassen. Ich war für's letztere, aber ich ward überstimmt. Eine Priesterwittwe kriegte mich immer aus die Seite, und zischelte mir ins Ohr: Wir sollten Gott danken! Nur der lieben Religion wegen schösse uns der König von Preußen todt, und unsere Häuser in Grund. „Aber, zum Henker, Madame, was haben meine Perücken mit der Religion zu thun?" (denn kurz vorhero hatte ich er¬ fahren, daß eine dreißigpfündige Granade meinen ganzen Apparatur» von Pe¬ rücken zerschmettert habe.) „Lassen Sie es gut sein," antwortete sie mir, „es wird sich schon geben, danken Sie Gott dafür!" — Die verwünschte fromme Frau hat mich grausam gepeinigt. Ich und ein paar gute Freunde vertrieben uns die Zeit in unserer Stube, und mich deucht, das war noch am solidesten gedacht. Unter dergleichen Abwechselung und Unruhe brachten wir den 19. heran, den schrecklichsten Tag meines Lebens. Schon um drey Uhr Nachmit¬ tags stund die Kreuzkirche, das Amthaus und meine Wohnung in voller V

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/412>, abgerufen am 29.04.2024.