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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Eine deutsche Stadt beim Ausbruch des Krieges.

Friedlich liegt die ansehnliche Handelsstadt in der Ebene. Die engen Stra¬
ßen der mittelalterlichen Stadt sind umgeben von einem Kranz blühender An¬
lagen . dahinter die Kicsflcichen, welche dem großen Meßplatz unvermeidlich sind,
und darüber hinaus die breiten Straßen und stattlichen Häuser des modernen
Anbaues, welche sich fast nach allen Richtungen weit in die Ebene strecken.
Wenig Städte des Binnenlandes giebt es, in denen das Grün der Natur so
dicht die Wohnungen emsiger Menschen umzieht, die Amsel so lustig in den
Gärten pfeift und die Tauben so sicher unter den Lastwagen einherlaufen.

Es ist eine ansehnliche Stadt, im deutschen Lande wohlbekannt. Sie ist
von einem großen Dichter einmal mit Paris verglichen worden, und wenn
man jetzt diese Ähnlichkeit nicht mehr überwältigend finden sollte, so muß wohl der
Verderb von Paris die Schuld tragen. Unsere Stadt wenigstens hat sich seit
dem vorigen Jahrhundert sehr zum Bessern verändert. Es ist keine der größten
Städte auf deutschem Boden, aber eine der wohlhäbigsten. und es ist gesunder
Wohlstand, der hier gedeiht, denn Viele nehmen daran Theil, auch der kleine
Mann fühlt sich bei wackerer Arbeit hier leichter behaglich, als anderswo. Es
ist ein verständiges, arbeitsames Geschlecht. Communalsinn, hübsche Bildung,
ein warmes und inniges Familienleben. Wenn die Deutschen in den letzten
Jahren ihrer übergroßen Festfreude eine Stätte suchten, haben sie gern diesen
Ort gewählt, und alle, die hier waren, wissen die Gastlichkeit und die kluge
Umsicht der Bürger zu rühmen.

Fast überall haben die letzten Jahre den Städten, welche Mittelpunkte ihrer
Landschaft waren, Gedeihen und Vergrößerung gebracht; keiner vielleicht ist die¬
ses Glück so reichlich zu Theil geworden, als der unsern, und in rechtem
Gleichgewicht hat sich nicht nur materieller Wohlstand vergrößert, auch die
Freude am Schönen und die Wissenschaft haben hier eine gute Stätte, und das
System von Häusern, Gärten und schönen alten Bäumen, von schaffenden und
genießenden Menschen galt in der ganzen Welt für einen neutralen Grund
und einen rühmlichen Ort, mit ihm zu handeln und darin zu Hausen. Es ist
eine friedliche Stadt von stillem Frohsinn, freundlich für Fremde und aller Welt
angenehm. Sie ist nicht Hauptstadt ihres Königreichs, aber es kann wohl sein,
baß der Chinese oder gebildete Sandwichsinsulaner mehr von ihr weiß, als
von dem Staate, zu welchem sie gehört. Auch die Bürger wissen sehr wohl,
daß sie Deutsche sind, und haben immer ehrbar an dem Vaterland gehalten.

Nur ein Schatten schwebt über der Stadt wie ein boshaftes Angebinde,


Eine deutsche Stadt beim Ausbruch des Krieges.

Friedlich liegt die ansehnliche Handelsstadt in der Ebene. Die engen Stra¬
ßen der mittelalterlichen Stadt sind umgeben von einem Kranz blühender An¬
lagen . dahinter die Kicsflcichen, welche dem großen Meßplatz unvermeidlich sind,
und darüber hinaus die breiten Straßen und stattlichen Häuser des modernen
Anbaues, welche sich fast nach allen Richtungen weit in die Ebene strecken.
Wenig Städte des Binnenlandes giebt es, in denen das Grün der Natur so
dicht die Wohnungen emsiger Menschen umzieht, die Amsel so lustig in den
Gärten pfeift und die Tauben so sicher unter den Lastwagen einherlaufen.

Es ist eine ansehnliche Stadt, im deutschen Lande wohlbekannt. Sie ist
von einem großen Dichter einmal mit Paris verglichen worden, und wenn
man jetzt diese Ähnlichkeit nicht mehr überwältigend finden sollte, so muß wohl der
Verderb von Paris die Schuld tragen. Unsere Stadt wenigstens hat sich seit
dem vorigen Jahrhundert sehr zum Bessern verändert. Es ist keine der größten
Städte auf deutschem Boden, aber eine der wohlhäbigsten. und es ist gesunder
Wohlstand, der hier gedeiht, denn Viele nehmen daran Theil, auch der kleine
Mann fühlt sich bei wackerer Arbeit hier leichter behaglich, als anderswo. Es
ist ein verständiges, arbeitsames Geschlecht. Communalsinn, hübsche Bildung,
ein warmes und inniges Familienleben. Wenn die Deutschen in den letzten
Jahren ihrer übergroßen Festfreude eine Stätte suchten, haben sie gern diesen
Ort gewählt, und alle, die hier waren, wissen die Gastlichkeit und die kluge
Umsicht der Bürger zu rühmen.

Fast überall haben die letzten Jahre den Städten, welche Mittelpunkte ihrer
Landschaft waren, Gedeihen und Vergrößerung gebracht; keiner vielleicht ist die¬
ses Glück so reichlich zu Theil geworden, als der unsern, und in rechtem
Gleichgewicht hat sich nicht nur materieller Wohlstand vergrößert, auch die
Freude am Schönen und die Wissenschaft haben hier eine gute Stätte, und das
System von Häusern, Gärten und schönen alten Bäumen, von schaffenden und
genießenden Menschen galt in der ganzen Welt für einen neutralen Grund
und einen rühmlichen Ort, mit ihm zu handeln und darin zu Hausen. Es ist
eine friedliche Stadt von stillem Frohsinn, freundlich für Fremde und aller Welt
angenehm. Sie ist nicht Hauptstadt ihres Königreichs, aber es kann wohl sein,
baß der Chinese oder gebildete Sandwichsinsulaner mehr von ihr weiß, als
von dem Staate, zu welchem sie gehört. Auch die Bürger wissen sehr wohl,
daß sie Deutsche sind, und haben immer ehrbar an dem Vaterland gehalten.

Nur ein Schatten schwebt über der Stadt wie ein boshaftes Angebinde,


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[0519] Eine deutsche Stadt beim Ausbruch des Krieges. Friedlich liegt die ansehnliche Handelsstadt in der Ebene. Die engen Stra¬ ßen der mittelalterlichen Stadt sind umgeben von einem Kranz blühender An¬ lagen . dahinter die Kicsflcichen, welche dem großen Meßplatz unvermeidlich sind, und darüber hinaus die breiten Straßen und stattlichen Häuser des modernen Anbaues, welche sich fast nach allen Richtungen weit in die Ebene strecken. Wenig Städte des Binnenlandes giebt es, in denen das Grün der Natur so dicht die Wohnungen emsiger Menschen umzieht, die Amsel so lustig in den Gärten pfeift und die Tauben so sicher unter den Lastwagen einherlaufen. Es ist eine ansehnliche Stadt, im deutschen Lande wohlbekannt. Sie ist von einem großen Dichter einmal mit Paris verglichen worden, und wenn man jetzt diese Ähnlichkeit nicht mehr überwältigend finden sollte, so muß wohl der Verderb von Paris die Schuld tragen. Unsere Stadt wenigstens hat sich seit dem vorigen Jahrhundert sehr zum Bessern verändert. Es ist keine der größten Städte auf deutschem Boden, aber eine der wohlhäbigsten. und es ist gesunder Wohlstand, der hier gedeiht, denn Viele nehmen daran Theil, auch der kleine Mann fühlt sich bei wackerer Arbeit hier leichter behaglich, als anderswo. Es ist ein verständiges, arbeitsames Geschlecht. Communalsinn, hübsche Bildung, ein warmes und inniges Familienleben. Wenn die Deutschen in den letzten Jahren ihrer übergroßen Festfreude eine Stätte suchten, haben sie gern diesen Ort gewählt, und alle, die hier waren, wissen die Gastlichkeit und die kluge Umsicht der Bürger zu rühmen. Fast überall haben die letzten Jahre den Städten, welche Mittelpunkte ihrer Landschaft waren, Gedeihen und Vergrößerung gebracht; keiner vielleicht ist die¬ ses Glück so reichlich zu Theil geworden, als der unsern, und in rechtem Gleichgewicht hat sich nicht nur materieller Wohlstand vergrößert, auch die Freude am Schönen und die Wissenschaft haben hier eine gute Stätte, und das System von Häusern, Gärten und schönen alten Bäumen, von schaffenden und genießenden Menschen galt in der ganzen Welt für einen neutralen Grund und einen rühmlichen Ort, mit ihm zu handeln und darin zu Hausen. Es ist eine friedliche Stadt von stillem Frohsinn, freundlich für Fremde und aller Welt angenehm. Sie ist nicht Hauptstadt ihres Königreichs, aber es kann wohl sein, baß der Chinese oder gebildete Sandwichsinsulaner mehr von ihr weiß, als von dem Staate, zu welchem sie gehört. Auch die Bürger wissen sehr wohl, daß sie Deutsche sind, und haben immer ehrbar an dem Vaterland gehalten. Nur ein Schatten schwebt über der Stadt wie ein boshaftes Angebinde,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/519>, abgerufen am 29.04.2024.