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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Ein preußisch-östreichischer FeldzuMan für 1794.

Seitdem der preußische Staat sich selbständig entwickelt, haben fast alle
Allianzunternchmungen mit Oestreich die tiefe Kluft nur offener aufgethan,
welche Ziele und Interessen beider Mächte trennt. Den Folgen der letzten
Täuschung über die Möglichkeit ihres dauernden Zusammenwirkens bangt
Deutschland und Europa in unseren Tagen mit schwerer Sorge entgegen;
wenn wir heute eine Episode gemeinsamer Kriegsgeschichte aus vergangener Zeit
in die Erinnerung rufen, so überwiegen freilich die Verschiedenheiten der Situa¬
tion von damals und von jüngst, aber vergleichbar mit den neuesten Erleb¬
nissen ist sie deshalb, weil es sich auch damals um eine eminent nationale An¬
gelegenheit handelte. Wir reden von dem Coalitionskriege der neunziger Jahre
gegen Frankreich.

Der Boden des Rheinufers ist seit Jahrhunderten deutschem Lorbeer nicht
günstig gewesen, und besonders Preußen hat an jenen Grenzen herbe Erfah¬
rungen gemacht. Dort mußte der große Kurfürst, von Habsburgischen Intri¬
guen gelähmt, das Schwert sinken lassen, das zur Behauptung der Integrität
Deutschlands gezogen worden war; dort lernte Friedrich Wilhelm der Zweite
sich der Einsicht fügen, daß selbst die wichtigsten, ihrer Natur nach den Fürsten
als solchen schon gemeinsamen Interessen, wie ^die Bekämpfung und Abwehr
der königsmörderischen Republik, beim Verhältniß zu Oestreich dennoch über¬
holt werden konnten von den Rücksichten des häuslichen Haders.

Niemand freilich hat zur Zeit vermocht, den dahier Frieden zu rechtferti¬
gen; aber es ist ein Anderes, jene schwer verantwortliche Waffenruhe Preußens
nach ihren Erfolgen und darum aus den Motiven schlechthin zu verdammen,
und ein Anderes, die Gründe zu verstehen, welche den damaligen Leitern der
preußischen Politik die Trennung von den Unternehmungen Oestreichs als nächste
Pflicht für den eignen Staat erscheinen ließen. Durch die classischen Forschun¬
gen von Sybel und Hauffer sind die verhängnißvollen Rückwirkungen der Vor¬
gänge im äußersten Osten Deutschlands auf das, was am äußersten Westen
beabsichtigt wurde, und die diplomatische Minenarbeit Thuguts, der gleichzeitig
die polnischen Erwerbungen gegen Preußen und den belgisch-bayrischen Tausch.
Handel betrieb, ohne dabei seine Lüsternheit nach Festsetzung Oestreichs am lin-
ken Rheinufer zu verhehlen, zur Evidenz gebracht. Auch Herr Vivenot (Ver¬
fasser der Schilderung des Herzogs Albrecht von Sachsen-Teschen) hat mit dem
groben Geschütz seiner "unerschrockenen Unwissenheit" in das seitdem feststehende
Urtheil über jene Ereignisse keine Bresche geschossen. Die Zurückweisung des


Grenzboten II. 18V6, 63
Ein preußisch-östreichischer FeldzuMan für 1794.

Seitdem der preußische Staat sich selbständig entwickelt, haben fast alle
Allianzunternchmungen mit Oestreich die tiefe Kluft nur offener aufgethan,
welche Ziele und Interessen beider Mächte trennt. Den Folgen der letzten
Täuschung über die Möglichkeit ihres dauernden Zusammenwirkens bangt
Deutschland und Europa in unseren Tagen mit schwerer Sorge entgegen;
wenn wir heute eine Episode gemeinsamer Kriegsgeschichte aus vergangener Zeit
in die Erinnerung rufen, so überwiegen freilich die Verschiedenheiten der Situa¬
tion von damals und von jüngst, aber vergleichbar mit den neuesten Erleb¬
nissen ist sie deshalb, weil es sich auch damals um eine eminent nationale An¬
gelegenheit handelte. Wir reden von dem Coalitionskriege der neunziger Jahre
gegen Frankreich.

Der Boden des Rheinufers ist seit Jahrhunderten deutschem Lorbeer nicht
günstig gewesen, und besonders Preußen hat an jenen Grenzen herbe Erfah¬
rungen gemacht. Dort mußte der große Kurfürst, von Habsburgischen Intri¬
guen gelähmt, das Schwert sinken lassen, das zur Behauptung der Integrität
Deutschlands gezogen worden war; dort lernte Friedrich Wilhelm der Zweite
sich der Einsicht fügen, daß selbst die wichtigsten, ihrer Natur nach den Fürsten
als solchen schon gemeinsamen Interessen, wie ^die Bekämpfung und Abwehr
der königsmörderischen Republik, beim Verhältniß zu Oestreich dennoch über¬
holt werden konnten von den Rücksichten des häuslichen Haders.

Niemand freilich hat zur Zeit vermocht, den dahier Frieden zu rechtferti¬
gen; aber es ist ein Anderes, jene schwer verantwortliche Waffenruhe Preußens
nach ihren Erfolgen und darum aus den Motiven schlechthin zu verdammen,
und ein Anderes, die Gründe zu verstehen, welche den damaligen Leitern der
preußischen Politik die Trennung von den Unternehmungen Oestreichs als nächste
Pflicht für den eignen Staat erscheinen ließen. Durch die classischen Forschun¬
gen von Sybel und Hauffer sind die verhängnißvollen Rückwirkungen der Vor¬
gänge im äußersten Osten Deutschlands auf das, was am äußersten Westen
beabsichtigt wurde, und die diplomatische Minenarbeit Thuguts, der gleichzeitig
die polnischen Erwerbungen gegen Preußen und den belgisch-bayrischen Tausch.
Handel betrieb, ohne dabei seine Lüsternheit nach Festsetzung Oestreichs am lin-
ken Rheinufer zu verhehlen, zur Evidenz gebracht. Auch Herr Vivenot (Ver¬
fasser der Schilderung des Herzogs Albrecht von Sachsen-Teschen) hat mit dem
groben Geschütz seiner „unerschrockenen Unwissenheit" in das seitdem feststehende
Urtheil über jene Ereignisse keine Bresche geschossen. Die Zurückweisung des


Grenzboten II. 18V6, 63
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[0531] Ein preußisch-östreichischer FeldzuMan für 1794. Seitdem der preußische Staat sich selbständig entwickelt, haben fast alle Allianzunternchmungen mit Oestreich die tiefe Kluft nur offener aufgethan, welche Ziele und Interessen beider Mächte trennt. Den Folgen der letzten Täuschung über die Möglichkeit ihres dauernden Zusammenwirkens bangt Deutschland und Europa in unseren Tagen mit schwerer Sorge entgegen; wenn wir heute eine Episode gemeinsamer Kriegsgeschichte aus vergangener Zeit in die Erinnerung rufen, so überwiegen freilich die Verschiedenheiten der Situa¬ tion von damals und von jüngst, aber vergleichbar mit den neuesten Erleb¬ nissen ist sie deshalb, weil es sich auch damals um eine eminent nationale An¬ gelegenheit handelte. Wir reden von dem Coalitionskriege der neunziger Jahre gegen Frankreich. Der Boden des Rheinufers ist seit Jahrhunderten deutschem Lorbeer nicht günstig gewesen, und besonders Preußen hat an jenen Grenzen herbe Erfah¬ rungen gemacht. Dort mußte der große Kurfürst, von Habsburgischen Intri¬ guen gelähmt, das Schwert sinken lassen, das zur Behauptung der Integrität Deutschlands gezogen worden war; dort lernte Friedrich Wilhelm der Zweite sich der Einsicht fügen, daß selbst die wichtigsten, ihrer Natur nach den Fürsten als solchen schon gemeinsamen Interessen, wie ^die Bekämpfung und Abwehr der königsmörderischen Republik, beim Verhältniß zu Oestreich dennoch über¬ holt werden konnten von den Rücksichten des häuslichen Haders. Niemand freilich hat zur Zeit vermocht, den dahier Frieden zu rechtferti¬ gen; aber es ist ein Anderes, jene schwer verantwortliche Waffenruhe Preußens nach ihren Erfolgen und darum aus den Motiven schlechthin zu verdammen, und ein Anderes, die Gründe zu verstehen, welche den damaligen Leitern der preußischen Politik die Trennung von den Unternehmungen Oestreichs als nächste Pflicht für den eignen Staat erscheinen ließen. Durch die classischen Forschun¬ gen von Sybel und Hauffer sind die verhängnißvollen Rückwirkungen der Vor¬ gänge im äußersten Osten Deutschlands auf das, was am äußersten Westen beabsichtigt wurde, und die diplomatische Minenarbeit Thuguts, der gleichzeitig die polnischen Erwerbungen gegen Preußen und den belgisch-bayrischen Tausch. Handel betrieb, ohne dabei seine Lüsternheit nach Festsetzung Oestreichs am lin- ken Rheinufer zu verhehlen, zur Evidenz gebracht. Auch Herr Vivenot (Ver¬ fasser der Schilderung des Herzogs Albrecht von Sachsen-Teschen) hat mit dem groben Geschütz seiner „unerschrockenen Unwissenheit" in das seitdem feststehende Urtheil über jene Ereignisse keine Bresche geschossen. Die Zurückweisung des Grenzboten II. 18V6, 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/531>, abgerufen am 29.04.2024.