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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Eine Biographie Rousseau's.

Fast gleichzeitig sind das Leben und Wirken Diderot's und Rousseau's
von der Hand deutscher Gelehrter beschrieben worden. Auf das bekannte
Rosenkranz'sche Werk über den Encyklopädisten folgte Heuer der zweite Band
des F. Brockerhoff'schen Buches: Jean Jacques Rousseau. Sein
Leben und seine Werke.

Es liegt nahe, beide Schriften mit einander zusammenzustellen, da die
eine, wie Rosenkranz sagt, den Mann behandelt, der "zwischen den Orgien
der Regentschaft und den Schaffotten der Revolution steht", die andere den
Prediger der Revolution selbst. Die Gunst des Publikums wird auch nach
Vollendung des noch ausstehenden dritten Bandes der Rousseaubiographie
dem frischen, leicht und gewandt geschriebenen Werke über den allzeit liebens¬
würdigen Diderot erhalten bleiben. Genug, daß durch die im Wesentlichen
schwerere, in ihrem literarischen Theil undankbarere, durch die wunderliche
Persönlichkeit ihres Helden weniger anziehende Arbeit, der sich Herr Brocker.
hoff unterworfen hat, eine wirklich gefühlte Lücke in der Literatur ausgefüllt
und in diesem "ersten Versuche", auf welche Kategorie der bescheidene Ver¬
fasser den Werth seines Werkes beschränkt, das Mögliche geleistet worden
ist. Es scheint, daß bisher eine allgemeine Darstellung Rousseau's theils
durch seine "Bekenntnisse", die zunächst eine Lebensbeschreibung von anderer
Hand überflüssig zu machen schienen, theils durch das unabsehbare Geschäft,
mit seinen einander so entlegenen Gebieten der Kunst und der Wissenschaft
Angehörigen Leistungen ins Reine zu kommen, hingehalten worden ist. Das
sich gerade in den letzten Jahren häufende Material für eine gründliche
Biographie, das von Jahr zu Jahr fühlbarer werdende Bedürfniß nach einer
kritisch gesichteten Darstellung seiner Schicksale, die sich mehrende enchelopä-
dische Bildung mußten die Lösung einer der deutschen Literatur längst ob¬
liegenden Aufgabe endlich herbeiführen.

Herr Brockerhoff bringt zu seiner Arbeit unumgängliche Erfordernisse
mit: viel Wärme für den Gegenstand und Verständniß für seinen Helden.
Individuelle Sympathie und historische Objectivität, ernster Wahrheitssinn
des Forschers und gemüthliche Theilnahme an Person und Schicksal des
Menschen sind in schönem Gleichgewicht mit einander. Eine erschöpfende Wür¬
digung Rousseau's fehlt zwar noch, da erst der dritte Band "mit einer all¬
gemeinen zusammenfassenden Charakteristik seiner Persönlichkeit wie seiner ge¬
schichtlichen Stellung" abschließen wird, aber in welchem Grade die An¬
schauung des Verfassers dem dargestellten Gegenstande wirklich gewachsen ist,
dafür mag eine Stelle in der Vorrede S. VIII. f. angeführt werden. Dort


Grenzboten III. 1868. 65
Eine Biographie Rousseau's.

Fast gleichzeitig sind das Leben und Wirken Diderot's und Rousseau's
von der Hand deutscher Gelehrter beschrieben worden. Auf das bekannte
Rosenkranz'sche Werk über den Encyklopädisten folgte Heuer der zweite Band
des F. Brockerhoff'schen Buches: Jean Jacques Rousseau. Sein
Leben und seine Werke.

Es liegt nahe, beide Schriften mit einander zusammenzustellen, da die
eine, wie Rosenkranz sagt, den Mann behandelt, der „zwischen den Orgien
der Regentschaft und den Schaffotten der Revolution steht", die andere den
Prediger der Revolution selbst. Die Gunst des Publikums wird auch nach
Vollendung des noch ausstehenden dritten Bandes der Rousseaubiographie
dem frischen, leicht und gewandt geschriebenen Werke über den allzeit liebens¬
würdigen Diderot erhalten bleiben. Genug, daß durch die im Wesentlichen
schwerere, in ihrem literarischen Theil undankbarere, durch die wunderliche
Persönlichkeit ihres Helden weniger anziehende Arbeit, der sich Herr Brocker.
hoff unterworfen hat, eine wirklich gefühlte Lücke in der Literatur ausgefüllt
und in diesem „ersten Versuche", auf welche Kategorie der bescheidene Ver¬
fasser den Werth seines Werkes beschränkt, das Mögliche geleistet worden
ist. Es scheint, daß bisher eine allgemeine Darstellung Rousseau's theils
durch seine „Bekenntnisse", die zunächst eine Lebensbeschreibung von anderer
Hand überflüssig zu machen schienen, theils durch das unabsehbare Geschäft,
mit seinen einander so entlegenen Gebieten der Kunst und der Wissenschaft
Angehörigen Leistungen ins Reine zu kommen, hingehalten worden ist. Das
sich gerade in den letzten Jahren häufende Material für eine gründliche
Biographie, das von Jahr zu Jahr fühlbarer werdende Bedürfniß nach einer
kritisch gesichteten Darstellung seiner Schicksale, die sich mehrende enchelopä-
dische Bildung mußten die Lösung einer der deutschen Literatur längst ob¬
liegenden Aufgabe endlich herbeiführen.

Herr Brockerhoff bringt zu seiner Arbeit unumgängliche Erfordernisse
mit: viel Wärme für den Gegenstand und Verständniß für seinen Helden.
Individuelle Sympathie und historische Objectivität, ernster Wahrheitssinn
des Forschers und gemüthliche Theilnahme an Person und Schicksal des
Menschen sind in schönem Gleichgewicht mit einander. Eine erschöpfende Wür¬
digung Rousseau's fehlt zwar noch, da erst der dritte Band „mit einer all¬
gemeinen zusammenfassenden Charakteristik seiner Persönlichkeit wie seiner ge¬
schichtlichen Stellung" abschließen wird, aber in welchem Grade die An¬
schauung des Verfassers dem dargestellten Gegenstande wirklich gewachsen ist,
dafür mag eine Stelle in der Vorrede S. VIII. f. angeführt werden. Dort


Grenzboten III. 1868. 65
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[0547] Eine Biographie Rousseau's. Fast gleichzeitig sind das Leben und Wirken Diderot's und Rousseau's von der Hand deutscher Gelehrter beschrieben worden. Auf das bekannte Rosenkranz'sche Werk über den Encyklopädisten folgte Heuer der zweite Band des F. Brockerhoff'schen Buches: Jean Jacques Rousseau. Sein Leben und seine Werke. Es liegt nahe, beide Schriften mit einander zusammenzustellen, da die eine, wie Rosenkranz sagt, den Mann behandelt, der „zwischen den Orgien der Regentschaft und den Schaffotten der Revolution steht", die andere den Prediger der Revolution selbst. Die Gunst des Publikums wird auch nach Vollendung des noch ausstehenden dritten Bandes der Rousseaubiographie dem frischen, leicht und gewandt geschriebenen Werke über den allzeit liebens¬ würdigen Diderot erhalten bleiben. Genug, daß durch die im Wesentlichen schwerere, in ihrem literarischen Theil undankbarere, durch die wunderliche Persönlichkeit ihres Helden weniger anziehende Arbeit, der sich Herr Brocker. hoff unterworfen hat, eine wirklich gefühlte Lücke in der Literatur ausgefüllt und in diesem „ersten Versuche", auf welche Kategorie der bescheidene Ver¬ fasser den Werth seines Werkes beschränkt, das Mögliche geleistet worden ist. Es scheint, daß bisher eine allgemeine Darstellung Rousseau's theils durch seine „Bekenntnisse", die zunächst eine Lebensbeschreibung von anderer Hand überflüssig zu machen schienen, theils durch das unabsehbare Geschäft, mit seinen einander so entlegenen Gebieten der Kunst und der Wissenschaft Angehörigen Leistungen ins Reine zu kommen, hingehalten worden ist. Das sich gerade in den letzten Jahren häufende Material für eine gründliche Biographie, das von Jahr zu Jahr fühlbarer werdende Bedürfniß nach einer kritisch gesichteten Darstellung seiner Schicksale, die sich mehrende enchelopä- dische Bildung mußten die Lösung einer der deutschen Literatur längst ob¬ liegenden Aufgabe endlich herbeiführen. Herr Brockerhoff bringt zu seiner Arbeit unumgängliche Erfordernisse mit: viel Wärme für den Gegenstand und Verständniß für seinen Helden. Individuelle Sympathie und historische Objectivität, ernster Wahrheitssinn des Forschers und gemüthliche Theilnahme an Person und Schicksal des Menschen sind in schönem Gleichgewicht mit einander. Eine erschöpfende Wür¬ digung Rousseau's fehlt zwar noch, da erst der dritte Band „mit einer all¬ gemeinen zusammenfassenden Charakteristik seiner Persönlichkeit wie seiner ge¬ schichtlichen Stellung" abschließen wird, aber in welchem Grade die An¬ schauung des Verfassers dem dargestellten Gegenstande wirklich gewachsen ist, dafür mag eine Stelle in der Vorrede S. VIII. f. angeführt werden. Dort Grenzboten III. 1868. 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/547>, abgerufen am 05.05.2024.