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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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ihrer kleinen Schlauheit. Sie rechneten auf die schwankende Gesinnung des
Hofes, und doch begingen sie den Fehler, ihn zu beleidigen. Kaum schien
die Macht des Hauses Habsburg Anno 1866 zu sinken, als sie aus der Ka¬
tastrophe die verwegensten Schlüsse zogen. Noch taktloser ist das Pochen
auf die Sympathien Rußlands, des gegenwärtigen Erzfeindes von Oestreich.
Diese Haltung der Czechen wird vielleicht nicht am wenigsten dazu beitragen,
die Festigkeit des Hofes gegen die Einflüsse der Thun, Belcredi und Genos¬
sen zu erhöhen.

Verbrüderung, nein. Mit den Czechen kann der Deutsche in Eintracht
und Frieden leben, nicht mit den Czechomanen oder, was dasselbe bedeutet,
den Panslavisten. Die Redlichsten unter ihnen sind Schwärmer, die an der
fixen Idee leiden, daß nur der deutsche Druck seit Jahrhunderten die Slaven
hindere, in Politik, Wissenschaften und Künsten sich mit den größten Nationen
der Erde zu messen. Welchen Werth kann für sie etwas mehr oder weniger
Freiheit deutschen Ursprungs haben? Ihren unseligen Groll und Haß werden
Vernunftgründe nicht besiegen; langsam wird er an den thatsächlichen Be¬
weisen seiner Ohnmacht sterben. Für den Augenblick jedoch übt er Gewalt
über Tausende, und daher die dunkle Wolke von der ich im Eingang gespro¬
chen habe. Ein hiesiger Bürger erwiederte auf meine Frage, ob auch er einen
Aufstand fürchte: "Lächerlich, -- aber käme es dazu, so wäre es das Ende
des Czechenthums, ein Ende mit Schrecken. Wir haben einen bösen Pöbel,
seine Hand würde der Bewegung einen garstigen Stempel aufdrücken. Der Däm¬
pfung des Aufruhrs würde eine moralische Reaction ohne Gleichen folgen;
sie würde das Czechenthum ein Menschenalter zurückwerfen.. Adieu dann
Podjebratkas und Falkenfedern, ja und czechische Gymnasien! Ich glaube ein
anständiger Bürger würde sich schämen, öffentlich czechisch zu reden, damit
man ihn nicht für einen verrückten Sokolak halte." So denkt natürlich nicht
dieser Mann allein. Und es gibt redliche, gebildete Czechen in Menge, die
der deutschen Cultur und Sitte aufrichtig zugethan sind und das czechoma-
nische Treiben tief beklagen; aber sie haben jetzt nicht das Wort oder
nicht die Energie, es sich zu verschaffen. Kann man sie deshalb schelten,
wenn man sieht, welche Apathie noch oft den Deutschen im Kaiserstaat an¬
klebt? Auch dies muß in Geduld ertragen werden; es ist ja ein Vermächt-
niß Altöstreichs.


I. Gilden.


ihrer kleinen Schlauheit. Sie rechneten auf die schwankende Gesinnung des
Hofes, und doch begingen sie den Fehler, ihn zu beleidigen. Kaum schien
die Macht des Hauses Habsburg Anno 1866 zu sinken, als sie aus der Ka¬
tastrophe die verwegensten Schlüsse zogen. Noch taktloser ist das Pochen
auf die Sympathien Rußlands, des gegenwärtigen Erzfeindes von Oestreich.
Diese Haltung der Czechen wird vielleicht nicht am wenigsten dazu beitragen,
die Festigkeit des Hofes gegen die Einflüsse der Thun, Belcredi und Genos¬
sen zu erhöhen.

Verbrüderung, nein. Mit den Czechen kann der Deutsche in Eintracht
und Frieden leben, nicht mit den Czechomanen oder, was dasselbe bedeutet,
den Panslavisten. Die Redlichsten unter ihnen sind Schwärmer, die an der
fixen Idee leiden, daß nur der deutsche Druck seit Jahrhunderten die Slaven
hindere, in Politik, Wissenschaften und Künsten sich mit den größten Nationen
der Erde zu messen. Welchen Werth kann für sie etwas mehr oder weniger
Freiheit deutschen Ursprungs haben? Ihren unseligen Groll und Haß werden
Vernunftgründe nicht besiegen; langsam wird er an den thatsächlichen Be¬
weisen seiner Ohnmacht sterben. Für den Augenblick jedoch übt er Gewalt
über Tausende, und daher die dunkle Wolke von der ich im Eingang gespro¬
chen habe. Ein hiesiger Bürger erwiederte auf meine Frage, ob auch er einen
Aufstand fürchte: „Lächerlich, — aber käme es dazu, so wäre es das Ende
des Czechenthums, ein Ende mit Schrecken. Wir haben einen bösen Pöbel,
seine Hand würde der Bewegung einen garstigen Stempel aufdrücken. Der Däm¬
pfung des Aufruhrs würde eine moralische Reaction ohne Gleichen folgen;
sie würde das Czechenthum ein Menschenalter zurückwerfen.. Adieu dann
Podjebratkas und Falkenfedern, ja und czechische Gymnasien! Ich glaube ein
anständiger Bürger würde sich schämen, öffentlich czechisch zu reden, damit
man ihn nicht für einen verrückten Sokolak halte." So denkt natürlich nicht
dieser Mann allein. Und es gibt redliche, gebildete Czechen in Menge, die
der deutschen Cultur und Sitte aufrichtig zugethan sind und das czechoma-
nische Treiben tief beklagen; aber sie haben jetzt nicht das Wort oder
nicht die Energie, es sich zu verschaffen. Kann man sie deshalb schelten,
wenn man sieht, welche Apathie noch oft den Deutschen im Kaiserstaat an¬
klebt? Auch dies muß in Geduld ertragen werden; es ist ja ein Vermächt-
niß Altöstreichs.


I. Gilden.


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[0546] ihrer kleinen Schlauheit. Sie rechneten auf die schwankende Gesinnung des Hofes, und doch begingen sie den Fehler, ihn zu beleidigen. Kaum schien die Macht des Hauses Habsburg Anno 1866 zu sinken, als sie aus der Ka¬ tastrophe die verwegensten Schlüsse zogen. Noch taktloser ist das Pochen auf die Sympathien Rußlands, des gegenwärtigen Erzfeindes von Oestreich. Diese Haltung der Czechen wird vielleicht nicht am wenigsten dazu beitragen, die Festigkeit des Hofes gegen die Einflüsse der Thun, Belcredi und Genos¬ sen zu erhöhen. Verbrüderung, nein. Mit den Czechen kann der Deutsche in Eintracht und Frieden leben, nicht mit den Czechomanen oder, was dasselbe bedeutet, den Panslavisten. Die Redlichsten unter ihnen sind Schwärmer, die an der fixen Idee leiden, daß nur der deutsche Druck seit Jahrhunderten die Slaven hindere, in Politik, Wissenschaften und Künsten sich mit den größten Nationen der Erde zu messen. Welchen Werth kann für sie etwas mehr oder weniger Freiheit deutschen Ursprungs haben? Ihren unseligen Groll und Haß werden Vernunftgründe nicht besiegen; langsam wird er an den thatsächlichen Be¬ weisen seiner Ohnmacht sterben. Für den Augenblick jedoch übt er Gewalt über Tausende, und daher die dunkle Wolke von der ich im Eingang gespro¬ chen habe. Ein hiesiger Bürger erwiederte auf meine Frage, ob auch er einen Aufstand fürchte: „Lächerlich, — aber käme es dazu, so wäre es das Ende des Czechenthums, ein Ende mit Schrecken. Wir haben einen bösen Pöbel, seine Hand würde der Bewegung einen garstigen Stempel aufdrücken. Der Däm¬ pfung des Aufruhrs würde eine moralische Reaction ohne Gleichen folgen; sie würde das Czechenthum ein Menschenalter zurückwerfen.. Adieu dann Podjebratkas und Falkenfedern, ja und czechische Gymnasien! Ich glaube ein anständiger Bürger würde sich schämen, öffentlich czechisch zu reden, damit man ihn nicht für einen verrückten Sokolak halte." So denkt natürlich nicht dieser Mann allein. Und es gibt redliche, gebildete Czechen in Menge, die der deutschen Cultur und Sitte aufrichtig zugethan sind und das czechoma- nische Treiben tief beklagen; aber sie haben jetzt nicht das Wort oder nicht die Energie, es sich zu verschaffen. Kann man sie deshalb schelten, wenn man sieht, welche Apathie noch oft den Deutschen im Kaiserstaat an¬ klebt? Auch dies muß in Geduld ertragen werden; es ist ja ein Vermächt- niß Altöstreichs. I. Gilden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/546>, abgerufen am 18.05.2024.