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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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geheimen Gesellschaft und die Führer der Verschwörung wurden sehr oft in die
Commission berufen. -- Pestel mußte so oft erscheinen, und wurde so sehr mit
Fragen gequält, daß er wiederholt die Geduld verlor, zumal er krank war.
Er warf der Commission ihre Unfähigkeit vor, verlangte einen Bogen Papier,
und schrieb in der Commission für sich selbst die Fragepunkte nieder: -- "So.
meine Herren, sollten Sie die Sache logisch führen; nach diesen Anfragen wer¬
den Sie die Antworten erhalten, auf welche es ankommt." -- Bei Widerspruch
der Anzeigen wurden die Beschuldigten einander persönlich gegenüber ge¬
stellt, die einzelnen Aussagen zu Protokoll genommen, bisweilen ziemlich
verkehrt. Einzelne Fragen, die gethan wurden, sind mir noch als besonders
wunderlich in der Erinnerung. Tschernytschew, der sich durch besonderen Eiser
auszeichnete. fragte z. B. meinen Freund M. A. Nasimow, was er wohl
unternommen hätte, wenn er am 14. December in Petersburg zugegen ge¬
wesen wäre? -- er war auf Urlaub in Moskau gewesen. -- Diese Frage war
so verfänglich, daß Benkendorff vom Stuhl sprang, Tschernytschew in den
Arm griff und lebhaft sagte: "Leoute?:, vous n'g,V62 pas le äroit ä'^ärosser
uns pg-rente "zuestiou, e'egt une gMirs <Zs eonseienek." --

Der Vorsitzende der Commission Tatischtschew mischte sich nur höchst selten
in die Untersuchung. Er machte den Angeklagten nur einmal die nach¬
stehende Bemerkung: "Sie haben, meine Herren, immer nur Tracy. Benjamin
Constant und Bentham gelesen -- sehen Sie, wohin Sie das geführt hat;
ich habe mein Lebelang nur die heilige Schrift gelesen, und sehen Sie, was
ich verdient habe". Dabei wies er auf die zwei Reihen Sterne, die an seiner
Brust glänzten.




LübKe's Kunstgeschichte.

Grundriß der Kunstgeschichte von ol-. W. Lübke. Vierte Auflage. Mit 403 Holz¬
schnitt-Illustrationen. Stuttgart, Ebner und seubert 1868.

Zu den Büchern, die in unseren Tagen das größte Glück machten,
wahre Hausbücher geworden sind, gehört Lübke's Grundriß der Kunstge¬
schichte. Diese Popularität, durch die rasche Aufeinanderfolge neuer Auflagen
bekundet, ist gut begründet und wohl verdient. Zur vollkommenen Be¬
herrschung des so überaus weitläufigen Stoffes gesellt sich bei Lübke ein
feiner Blick für alles Besondere und Eigenthümliche, ein sicheres Urtheil über
das wahrhaft Bedeutende. sinnige Auffassung und geschmackvolle Darstellung
gehen bei unserem Autor stets Hand in Hand. Der große Erfolg seines
Buches ist daher durchaus gerechtfertigt, und wenn die Kritik noch einzelne


geheimen Gesellschaft und die Führer der Verschwörung wurden sehr oft in die
Commission berufen. — Pestel mußte so oft erscheinen, und wurde so sehr mit
Fragen gequält, daß er wiederholt die Geduld verlor, zumal er krank war.
Er warf der Commission ihre Unfähigkeit vor, verlangte einen Bogen Papier,
und schrieb in der Commission für sich selbst die Fragepunkte nieder: — „So.
meine Herren, sollten Sie die Sache logisch führen; nach diesen Anfragen wer¬
den Sie die Antworten erhalten, auf welche es ankommt." — Bei Widerspruch
der Anzeigen wurden die Beschuldigten einander persönlich gegenüber ge¬
stellt, die einzelnen Aussagen zu Protokoll genommen, bisweilen ziemlich
verkehrt. Einzelne Fragen, die gethan wurden, sind mir noch als besonders
wunderlich in der Erinnerung. Tschernytschew, der sich durch besonderen Eiser
auszeichnete. fragte z. B. meinen Freund M. A. Nasimow, was er wohl
unternommen hätte, wenn er am 14. December in Petersburg zugegen ge¬
wesen wäre? — er war auf Urlaub in Moskau gewesen. — Diese Frage war
so verfänglich, daß Benkendorff vom Stuhl sprang, Tschernytschew in den
Arm griff und lebhaft sagte: „Leoute?:, vous n'g,V62 pas le äroit ä'^ärosser
uns pg-rente «zuestiou, e'egt une gMirs <Zs eonseienek." —

Der Vorsitzende der Commission Tatischtschew mischte sich nur höchst selten
in die Untersuchung. Er machte den Angeklagten nur einmal die nach¬
stehende Bemerkung: „Sie haben, meine Herren, immer nur Tracy. Benjamin
Constant und Bentham gelesen — sehen Sie, wohin Sie das geführt hat;
ich habe mein Lebelang nur die heilige Schrift gelesen, und sehen Sie, was
ich verdient habe". Dabei wies er auf die zwei Reihen Sterne, die an seiner
Brust glänzten.




LübKe's Kunstgeschichte.

Grundriß der Kunstgeschichte von ol-. W. Lübke. Vierte Auflage. Mit 403 Holz¬
schnitt-Illustrationen. Stuttgart, Ebner und seubert 1868.

Zu den Büchern, die in unseren Tagen das größte Glück machten,
wahre Hausbücher geworden sind, gehört Lübke's Grundriß der Kunstge¬
schichte. Diese Popularität, durch die rasche Aufeinanderfolge neuer Auflagen
bekundet, ist gut begründet und wohl verdient. Zur vollkommenen Be¬
herrschung des so überaus weitläufigen Stoffes gesellt sich bei Lübke ein
feiner Blick für alles Besondere und Eigenthümliche, ein sicheres Urtheil über
das wahrhaft Bedeutende. sinnige Auffassung und geschmackvolle Darstellung
gehen bei unserem Autor stets Hand in Hand. Der große Erfolg seines
Buches ist daher durchaus gerechtfertigt, und wenn die Kritik noch einzelne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/162>, abgerufen am 02.05.2024.