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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Mas Äürgerrechtsgeld in Preußen.

Die norddeutsche Bundesgesetzgebung hat durch die Freizügigkeit, die
Beseitigung aller Niederlassungsabgaben und die Aufhebung der polizeilichen
Ehebeschränkungen für die freie Bewegung der Arbeit einen volkswirthschaft-
lich rationellen Zustand geschaffen.

Da indessen die Rechtsverhältnisse hinsichtlich der Aufnahme in die
localen Gemeindeverbände nicht zur Competenz des Bundes gehören, so sind
zwar die von Neuanziehenden wegen des Umzugs zu erhebenden Abgaben
im Bundesgebiet fortgefallen, allein die für den Erwerb des Bürgerrechts
den Stadtcommunen zukommenden Bürgerrechtsgelder bestehen gesetzlich noch.
Dadurch ist die Anomalie hervorgerufen, daß für die Bundesangehörigen
nur dann unbeschränkte Freizügigkeit vorhanden ist, wenn sie außerhalb
ihres engeren Vaterlandes den Wohnsitz nehmen, daß sie aber, sobald sie
innerhalb ihres eigentlichen Heimatsstaates den Wohnort wechseln, sich bei
jeder Wohnsitzveränderung gewärtigen müssen, dafür jedesmal von Neuem
mit einer Abgabe belegt zu werden.

Werfen wir einen Blick auf die einschlägige Gesetzgebung Preußens, als
des wichtigsten Staates im Nordbunde, als desjenigen, wo am ehesten Ab¬
hilfe zu hoffen ist und wo diese das weiteste Gebiet betreffen würde.

In den Städten Preußens erwirbt nach den drei in den sechs östlichen
Provinzen, in Westphalen und in der Rheinprovinz geltenden Städteord¬
nungen jeder selbständige, vierundzwanzig Jahr alte Preuße das Bürger¬
recht, also das Recht zur Theilnahme an den Wahlen, sowie die Be¬
fähigung zur Uebernahme unbesoldeter Aemter der Gemeindeverwaltung und
Vertretung, wenn er seit einem Jahre Einwohner des Stadtbezirks und
Mitglied der Stadtgemeinde gewesen ist und einen gewissen Vermögens-
census, entweder durch Hausbesitz oder durch Gewerbebetrieb in einem ge¬
wissen Umfange oder durch einen bestimmten Steuerbetrag (in Westphalen
und den sechs östlichen Provinzen auf 4 Thlr. jährliche Classensteuer in
minimo normirt) erfüllt hat. Der Erwerb des Bürgerrechts tritt so ixso
und selbst gegen den Willen des Einzelnen ein. Sobald er eingetreten ist,
sind die Städte auf Grund des Gesetzes vom 14. Mai 1860 befugt, ein
Bürgerrechtsgeld zu fordern.

Nichtpreußen und selbst die Angehörigen neuerer norddeutscher Bundes¬
staaten können also in Preußen sich niederlassen, städtische Grundstücke er¬
werben und Gewerbe betreiben, wo und wie sie wollen, ohne jemals Bür¬
gerrechtsgeld zahlen zu müssen. Der Preuße aber, der genöthigt ist nach


Mas Äürgerrechtsgeld in Preußen.

Die norddeutsche Bundesgesetzgebung hat durch die Freizügigkeit, die
Beseitigung aller Niederlassungsabgaben und die Aufhebung der polizeilichen
Ehebeschränkungen für die freie Bewegung der Arbeit einen volkswirthschaft-
lich rationellen Zustand geschaffen.

Da indessen die Rechtsverhältnisse hinsichtlich der Aufnahme in die
localen Gemeindeverbände nicht zur Competenz des Bundes gehören, so sind
zwar die von Neuanziehenden wegen des Umzugs zu erhebenden Abgaben
im Bundesgebiet fortgefallen, allein die für den Erwerb des Bürgerrechts
den Stadtcommunen zukommenden Bürgerrechtsgelder bestehen gesetzlich noch.
Dadurch ist die Anomalie hervorgerufen, daß für die Bundesangehörigen
nur dann unbeschränkte Freizügigkeit vorhanden ist, wenn sie außerhalb
ihres engeren Vaterlandes den Wohnsitz nehmen, daß sie aber, sobald sie
innerhalb ihres eigentlichen Heimatsstaates den Wohnort wechseln, sich bei
jeder Wohnsitzveränderung gewärtigen müssen, dafür jedesmal von Neuem
mit einer Abgabe belegt zu werden.

Werfen wir einen Blick auf die einschlägige Gesetzgebung Preußens, als
des wichtigsten Staates im Nordbunde, als desjenigen, wo am ehesten Ab¬
hilfe zu hoffen ist und wo diese das weiteste Gebiet betreffen würde.

In den Städten Preußens erwirbt nach den drei in den sechs östlichen
Provinzen, in Westphalen und in der Rheinprovinz geltenden Städteord¬
nungen jeder selbständige, vierundzwanzig Jahr alte Preuße das Bürger¬
recht, also das Recht zur Theilnahme an den Wahlen, sowie die Be¬
fähigung zur Uebernahme unbesoldeter Aemter der Gemeindeverwaltung und
Vertretung, wenn er seit einem Jahre Einwohner des Stadtbezirks und
Mitglied der Stadtgemeinde gewesen ist und einen gewissen Vermögens-
census, entweder durch Hausbesitz oder durch Gewerbebetrieb in einem ge¬
wissen Umfange oder durch einen bestimmten Steuerbetrag (in Westphalen
und den sechs östlichen Provinzen auf 4 Thlr. jährliche Classensteuer in
minimo normirt) erfüllt hat. Der Erwerb des Bürgerrechts tritt so ixso
und selbst gegen den Willen des Einzelnen ein. Sobald er eingetreten ist,
sind die Städte auf Grund des Gesetzes vom 14. Mai 1860 befugt, ein
Bürgerrechtsgeld zu fordern.

Nichtpreußen und selbst die Angehörigen neuerer norddeutscher Bundes¬
staaten können also in Preußen sich niederlassen, städtische Grundstücke er¬
werben und Gewerbe betreiben, wo und wie sie wollen, ohne jemals Bür¬
gerrechtsgeld zahlen zu müssen. Der Preuße aber, der genöthigt ist nach


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[0408] Mas Äürgerrechtsgeld in Preußen. Die norddeutsche Bundesgesetzgebung hat durch die Freizügigkeit, die Beseitigung aller Niederlassungsabgaben und die Aufhebung der polizeilichen Ehebeschränkungen für die freie Bewegung der Arbeit einen volkswirthschaft- lich rationellen Zustand geschaffen. Da indessen die Rechtsverhältnisse hinsichtlich der Aufnahme in die localen Gemeindeverbände nicht zur Competenz des Bundes gehören, so sind zwar die von Neuanziehenden wegen des Umzugs zu erhebenden Abgaben im Bundesgebiet fortgefallen, allein die für den Erwerb des Bürgerrechts den Stadtcommunen zukommenden Bürgerrechtsgelder bestehen gesetzlich noch. Dadurch ist die Anomalie hervorgerufen, daß für die Bundesangehörigen nur dann unbeschränkte Freizügigkeit vorhanden ist, wenn sie außerhalb ihres engeren Vaterlandes den Wohnsitz nehmen, daß sie aber, sobald sie innerhalb ihres eigentlichen Heimatsstaates den Wohnort wechseln, sich bei jeder Wohnsitzveränderung gewärtigen müssen, dafür jedesmal von Neuem mit einer Abgabe belegt zu werden. Werfen wir einen Blick auf die einschlägige Gesetzgebung Preußens, als des wichtigsten Staates im Nordbunde, als desjenigen, wo am ehesten Ab¬ hilfe zu hoffen ist und wo diese das weiteste Gebiet betreffen würde. In den Städten Preußens erwirbt nach den drei in den sechs östlichen Provinzen, in Westphalen und in der Rheinprovinz geltenden Städteord¬ nungen jeder selbständige, vierundzwanzig Jahr alte Preuße das Bürger¬ recht, also das Recht zur Theilnahme an den Wahlen, sowie die Be¬ fähigung zur Uebernahme unbesoldeter Aemter der Gemeindeverwaltung und Vertretung, wenn er seit einem Jahre Einwohner des Stadtbezirks und Mitglied der Stadtgemeinde gewesen ist und einen gewissen Vermögens- census, entweder durch Hausbesitz oder durch Gewerbebetrieb in einem ge¬ wissen Umfange oder durch einen bestimmten Steuerbetrag (in Westphalen und den sechs östlichen Provinzen auf 4 Thlr. jährliche Classensteuer in minimo normirt) erfüllt hat. Der Erwerb des Bürgerrechts tritt so ixso und selbst gegen den Willen des Einzelnen ein. Sobald er eingetreten ist, sind die Städte auf Grund des Gesetzes vom 14. Mai 1860 befugt, ein Bürgerrechtsgeld zu fordern. Nichtpreußen und selbst die Angehörigen neuerer norddeutscher Bundes¬ staaten können also in Preußen sich niederlassen, städtische Grundstücke er¬ werben und Gewerbe betreiben, wo und wie sie wollen, ohne jemals Bür¬ gerrechtsgeld zahlen zu müssen. Der Preuße aber, der genöthigt ist nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/408>, abgerufen am 02.05.2024.