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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Leipziger Stuoentenleben im vorigen Jahrhundert.
(1780--1782)

Der folgende Bericht über die akademischen Zustände Leipzigs ist den
ungedruckten Aufzeichnungen entnommen, welche der Esthländer Eugen von
Rosen (geb. 17S9) für seine Nachkommen hinterlassen hat. In einer Reihe
kleiner Bilder werden hier von einem glaubwürdigen Manne Zustände ge¬
schildert, welche dem jetzt lebenden Geschlecht zuweilen vertraut, oft fremd¬
artig erscheinen müssen. Immer wird man daran erinnert, daß zwar die
wissenschaftliche Tüchtigkeit der Universitätslehrer und die gelehrte Vorbildung
der Studenten in ihrem mittleren Durchschnitt seit dem letzten Jahrhundert
sehr zugenommen haben, daß aber im vorigen Jahrhundert dennoch die
Culturbedeutung und die politische Autorität der Universitäten im Verhältniß
zur Gegenwart viel größer waren und daß der Student damals mehr vor¬
stellte. Auch dafür erscheint uns die folgende Mittheilung besonders charak¬
teristisch und lehrreich.

Eugen von Rosen reiste im Herbst 1780, einundzwanzig Jahre alt,
aus seiner fernen Heimath über Berlin nach Leipzig, und erzählt Folgendes:

"Auf der Reise nach Leipzig machte ich von Berlin eine Ercursion nach
Potsdam, um Friedrich den Greis noch zu sehen -- ich gelangte aber nicht
zu diesem hohen Genuß, denn er war bettlägerig. -- Vor dem Thore ward
ich so weitläuftig vom wachhabenden Capitän ausgefragt, daß irNr zuletzt
alle Geduld verging. Nachdem ich von meiner werthen Person, meiner
Reise und meinen Absichten, Letzteres widerstrebend, ausgesagt hatte, indem
Alles wiedergeschrieben wurde, sagte der Capitän: "vergeben Sie diese Ge¬
nauigkeit, der König verlangt sie und ich bin verantwortlich" -- also wieder
gefragt, ob ich lange in Leipzig bleiben würde? "Das weiß ich selbst noch
nicht." Ob ich noch eine andere Universität besuchen würde als Leipzig? "Das
kann ich auch nicht voraussagen." Was ich studiren würde? "Das werde
ich erst nach einem halben Jahre mich selbst fragen." -- Wieder eine Er¬
mahnung , daß alles aus königlichen Befehl geschähe. Was ich also studiren
würde? "Schreiben Sie Cometographie" sagte ich ihm, und der Fragende


Grenzbotc" I. IjM", 6
Leipziger Stuoentenleben im vorigen Jahrhundert.
(1780—1782)

Der folgende Bericht über die akademischen Zustände Leipzigs ist den
ungedruckten Aufzeichnungen entnommen, welche der Esthländer Eugen von
Rosen (geb. 17S9) für seine Nachkommen hinterlassen hat. In einer Reihe
kleiner Bilder werden hier von einem glaubwürdigen Manne Zustände ge¬
schildert, welche dem jetzt lebenden Geschlecht zuweilen vertraut, oft fremd¬
artig erscheinen müssen. Immer wird man daran erinnert, daß zwar die
wissenschaftliche Tüchtigkeit der Universitätslehrer und die gelehrte Vorbildung
der Studenten in ihrem mittleren Durchschnitt seit dem letzten Jahrhundert
sehr zugenommen haben, daß aber im vorigen Jahrhundert dennoch die
Culturbedeutung und die politische Autorität der Universitäten im Verhältniß
zur Gegenwart viel größer waren und daß der Student damals mehr vor¬
stellte. Auch dafür erscheint uns die folgende Mittheilung besonders charak¬
teristisch und lehrreich.

Eugen von Rosen reiste im Herbst 1780, einundzwanzig Jahre alt,
aus seiner fernen Heimath über Berlin nach Leipzig, und erzählt Folgendes:

„Auf der Reise nach Leipzig machte ich von Berlin eine Ercursion nach
Potsdam, um Friedrich den Greis noch zu sehen — ich gelangte aber nicht
zu diesem hohen Genuß, denn er war bettlägerig. — Vor dem Thore ward
ich so weitläuftig vom wachhabenden Capitän ausgefragt, daß irNr zuletzt
alle Geduld verging. Nachdem ich von meiner werthen Person, meiner
Reise und meinen Absichten, Letzteres widerstrebend, ausgesagt hatte, indem
Alles wiedergeschrieben wurde, sagte der Capitän: „vergeben Sie diese Ge¬
nauigkeit, der König verlangt sie und ich bin verantwortlich" — also wieder
gefragt, ob ich lange in Leipzig bleiben würde? „Das weiß ich selbst noch
nicht." Ob ich noch eine andere Universität besuchen würde als Leipzig? „Das
kann ich auch nicht voraussagen." Was ich studiren würde? „Das werde
ich erst nach einem halben Jahre mich selbst fragen." — Wieder eine Er¬
mahnung , daß alles aus königlichen Befehl geschähe. Was ich also studiren
würde? „Schreiben Sie Cometographie" sagte ich ihm, und der Fragende


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[0051] Leipziger Stuoentenleben im vorigen Jahrhundert. (1780—1782) Der folgende Bericht über die akademischen Zustände Leipzigs ist den ungedruckten Aufzeichnungen entnommen, welche der Esthländer Eugen von Rosen (geb. 17S9) für seine Nachkommen hinterlassen hat. In einer Reihe kleiner Bilder werden hier von einem glaubwürdigen Manne Zustände ge¬ schildert, welche dem jetzt lebenden Geschlecht zuweilen vertraut, oft fremd¬ artig erscheinen müssen. Immer wird man daran erinnert, daß zwar die wissenschaftliche Tüchtigkeit der Universitätslehrer und die gelehrte Vorbildung der Studenten in ihrem mittleren Durchschnitt seit dem letzten Jahrhundert sehr zugenommen haben, daß aber im vorigen Jahrhundert dennoch die Culturbedeutung und die politische Autorität der Universitäten im Verhältniß zur Gegenwart viel größer waren und daß der Student damals mehr vor¬ stellte. Auch dafür erscheint uns die folgende Mittheilung besonders charak¬ teristisch und lehrreich. Eugen von Rosen reiste im Herbst 1780, einundzwanzig Jahre alt, aus seiner fernen Heimath über Berlin nach Leipzig, und erzählt Folgendes: „Auf der Reise nach Leipzig machte ich von Berlin eine Ercursion nach Potsdam, um Friedrich den Greis noch zu sehen — ich gelangte aber nicht zu diesem hohen Genuß, denn er war bettlägerig. — Vor dem Thore ward ich so weitläuftig vom wachhabenden Capitän ausgefragt, daß irNr zuletzt alle Geduld verging. Nachdem ich von meiner werthen Person, meiner Reise und meinen Absichten, Letzteres widerstrebend, ausgesagt hatte, indem Alles wiedergeschrieben wurde, sagte der Capitän: „vergeben Sie diese Ge¬ nauigkeit, der König verlangt sie und ich bin verantwortlich" — also wieder gefragt, ob ich lange in Leipzig bleiben würde? „Das weiß ich selbst noch nicht." Ob ich noch eine andere Universität besuchen würde als Leipzig? „Das kann ich auch nicht voraussagen." Was ich studiren würde? „Das werde ich erst nach einem halben Jahre mich selbst fragen." — Wieder eine Er¬ mahnung , daß alles aus königlichen Befehl geschähe. Was ich also studiren würde? „Schreiben Sie Cometographie" sagte ich ihm, und der Fragende Grenzbotc» I. IjM», 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/51>, abgerufen am 03.05.2024.