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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Freund Haupt: "Nicht daß ihm plötzlich nichtig oder gering erschien, was
vor den Erschütterungen dieser Tage sein Sinnen und Denken beschäftigt
hatte: aber es übten die Gegenwart, es übten die Geschicke des Vaterlandes
ihr gebieterisches Recht." Jahr warf sich mit Lebhaftigkeit in die politische
Bewegung, er wirkte mit Eifer für die Befreiung seiner alten Heimath, er
half den Traum deutscher Einheit zu verwirklichen. Er litt auch dafür. Weil
er nicht glauben wollte, daß wahre Grundsätze zu gewissen Zeiten nicht wahr
sein dürfen, weil er an seiner politischen Ueberzeugung auch dann noch fest¬
hielt, als die Sonne fürstlicher Gunst ihm entzogen war, wurde ihm wie
Haupt und Mommsen der Prozeß gemacht. Das Gericht verurtheilte sie
nicht, aber der Minister Beust entsetzte diese Männer angeblich "zum Besten
der Universität" ihres Amtes. Erst nach mehreren Jahren wurde Jahr
durch den Ruf nach Bonn seiner vollen Thätigkeit wiedergegeben. Was er
hier geleistet, wie er gewirkt, wie die gemeinsamen Kräfte Ritschls und Jahn's
unter des ehrwürdigen Welcker Aegide unsere Universität zu einer philo-
logischen Hochschule erhoben hatten, lebt noch in unserer unmittelbaren
Erinnerung.

Niemand verstand es besser als Jahr, leidenden Freunden, die des
Trostes und der Hilfe bedurften, von der Wahrheit des alten Spruches: der
Speer, der dich verwundet, wird dich auch heilen, zu überzeugen. Nur auf
ihn selbst sollte der Spruch keine Anwendung finden. Das Leben war ihm
schon lange nicht mehr Genuß, der Tod zuletzt ein willkommener Befreier.
Wir scheiden von ihm mit den Worten, die er aus sein Grab gesetzt wissen
wollte: Volat. Huchen.




Fachschulen für Frauen.

Einer verhältmäßig kurzen Zeit und geringer Anstrengung hat es be¬
durft, um das Vorurtheil wenigstens ernstlich zu erschüttern, daß irgend eine
der großen Gruppen der Erwerbsthätigkeit aus Gründen der öffentlichen
Moral, oder des Anstandes oder der gewöhnlichen Zweckmäßigkeit der Be¬
theiligung der Frauenarbeit zu verschließen sei. Es gibt unter den Urtheils¬
fähigen heutzutage wohl nur noch Wenige, welche nicht einsehen mögen,
daß die rein occuvatorischen Gewerbe so gut wie die des Landbaues und die
Gewerke. daß die Handelsgewerbe so gut wie die Gewerbe der persönlichen
Dienstleistung (und zwar die der gewöhnlichen wie die der wissenschaftlichen


Freund Haupt: „Nicht daß ihm plötzlich nichtig oder gering erschien, was
vor den Erschütterungen dieser Tage sein Sinnen und Denken beschäftigt
hatte: aber es übten die Gegenwart, es übten die Geschicke des Vaterlandes
ihr gebieterisches Recht." Jahr warf sich mit Lebhaftigkeit in die politische
Bewegung, er wirkte mit Eifer für die Befreiung seiner alten Heimath, er
half den Traum deutscher Einheit zu verwirklichen. Er litt auch dafür. Weil
er nicht glauben wollte, daß wahre Grundsätze zu gewissen Zeiten nicht wahr
sein dürfen, weil er an seiner politischen Ueberzeugung auch dann noch fest¬
hielt, als die Sonne fürstlicher Gunst ihm entzogen war, wurde ihm wie
Haupt und Mommsen der Prozeß gemacht. Das Gericht verurtheilte sie
nicht, aber der Minister Beust entsetzte diese Männer angeblich „zum Besten
der Universität" ihres Amtes. Erst nach mehreren Jahren wurde Jahr
durch den Ruf nach Bonn seiner vollen Thätigkeit wiedergegeben. Was er
hier geleistet, wie er gewirkt, wie die gemeinsamen Kräfte Ritschls und Jahn's
unter des ehrwürdigen Welcker Aegide unsere Universität zu einer philo-
logischen Hochschule erhoben hatten, lebt noch in unserer unmittelbaren
Erinnerung.

Niemand verstand es besser als Jahr, leidenden Freunden, die des
Trostes und der Hilfe bedurften, von der Wahrheit des alten Spruches: der
Speer, der dich verwundet, wird dich auch heilen, zu überzeugen. Nur auf
ihn selbst sollte der Spruch keine Anwendung finden. Das Leben war ihm
schon lange nicht mehr Genuß, der Tod zuletzt ein willkommener Befreier.
Wir scheiden von ihm mit den Worten, die er aus sein Grab gesetzt wissen
wollte: Volat. Huchen.




Fachschulen für Frauen.

Einer verhältmäßig kurzen Zeit und geringer Anstrengung hat es be¬
durft, um das Vorurtheil wenigstens ernstlich zu erschüttern, daß irgend eine
der großen Gruppen der Erwerbsthätigkeit aus Gründen der öffentlichen
Moral, oder des Anstandes oder der gewöhnlichen Zweckmäßigkeit der Be¬
theiligung der Frauenarbeit zu verschließen sei. Es gibt unter den Urtheils¬
fähigen heutzutage wohl nur noch Wenige, welche nicht einsehen mögen,
daß die rein occuvatorischen Gewerbe so gut wie die des Landbaues und die
Gewerke. daß die Handelsgewerbe so gut wie die Gewerbe der persönlichen
Dienstleistung (und zwar die der gewöhnlichen wie die der wissenschaftlichen


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[0221] Freund Haupt: „Nicht daß ihm plötzlich nichtig oder gering erschien, was vor den Erschütterungen dieser Tage sein Sinnen und Denken beschäftigt hatte: aber es übten die Gegenwart, es übten die Geschicke des Vaterlandes ihr gebieterisches Recht." Jahr warf sich mit Lebhaftigkeit in die politische Bewegung, er wirkte mit Eifer für die Befreiung seiner alten Heimath, er half den Traum deutscher Einheit zu verwirklichen. Er litt auch dafür. Weil er nicht glauben wollte, daß wahre Grundsätze zu gewissen Zeiten nicht wahr sein dürfen, weil er an seiner politischen Ueberzeugung auch dann noch fest¬ hielt, als die Sonne fürstlicher Gunst ihm entzogen war, wurde ihm wie Haupt und Mommsen der Prozeß gemacht. Das Gericht verurtheilte sie nicht, aber der Minister Beust entsetzte diese Männer angeblich „zum Besten der Universität" ihres Amtes. Erst nach mehreren Jahren wurde Jahr durch den Ruf nach Bonn seiner vollen Thätigkeit wiedergegeben. Was er hier geleistet, wie er gewirkt, wie die gemeinsamen Kräfte Ritschls und Jahn's unter des ehrwürdigen Welcker Aegide unsere Universität zu einer philo- logischen Hochschule erhoben hatten, lebt noch in unserer unmittelbaren Erinnerung. Niemand verstand es besser als Jahr, leidenden Freunden, die des Trostes und der Hilfe bedurften, von der Wahrheit des alten Spruches: der Speer, der dich verwundet, wird dich auch heilen, zu überzeugen. Nur auf ihn selbst sollte der Spruch keine Anwendung finden. Das Leben war ihm schon lange nicht mehr Genuß, der Tod zuletzt ein willkommener Befreier. Wir scheiden von ihm mit den Worten, die er aus sein Grab gesetzt wissen wollte: Volat. Huchen. Fachschulen für Frauen. Einer verhältmäßig kurzen Zeit und geringer Anstrengung hat es be¬ durft, um das Vorurtheil wenigstens ernstlich zu erschüttern, daß irgend eine der großen Gruppen der Erwerbsthätigkeit aus Gründen der öffentlichen Moral, oder des Anstandes oder der gewöhnlichen Zweckmäßigkeit der Be¬ theiligung der Frauenarbeit zu verschließen sei. Es gibt unter den Urtheils¬ fähigen heutzutage wohl nur noch Wenige, welche nicht einsehen mögen, daß die rein occuvatorischen Gewerbe so gut wie die des Landbaues und die Gewerke. daß die Handelsgewerbe so gut wie die Gewerbe der persönlichen Dienstleistung (und zwar die der gewöhnlichen wie die der wissenschaftlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/221>, abgerufen am 28.04.2024.