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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Der Deutsche nautische Verein.

Der Deutsche nautische Verein, in welchem unser Seemannsstand sich
eine über die ganze norddeutsche Küste verbreitete, wohlorganisirte Vertretung
geschaffen hat, ist aus dem kleinen Schifferflecken Vegesack an der Weser her-
vorgegangen, wie das Christenthum aus Bethlehem und die Genossenschaften
aus Delitzsch. Unscheinbar war der Ort, unscheinbar auch der Mann, der
den Gedanken zuerst faßte und so lange unermüdlich wiederholte, bis Andere
ihn aufnahmen. Es war der Schiffscapitän Frerk Balleer in Vegesack, Vor¬
steher des dortigen Seeschiffervereins. Dieser Seeschiffervereine gab es schon
länger mehrere auf verschiedenen Punkten der Küste. In ihnen fanden ehe¬
malige Seefahrer, die sich zur Ruhe gesetzt haben, theils Befriedigung für
ihre eigenen und für ihrer Familien gesellige Bedürfnisse, theils auch die Mittel,
von Standes wegen etwas für nothleidende Genossen oder deren Hinter¬
bliebene zu thun. Seltener sind förmliche Verhandlungen über Gegenstände,
welche den Stand interessiren. In Vegesack aber, das beinahe nur von vor¬
maligen Schiffsführern oder Capitänswittwen bewohnt wird, die daher durch¬
aus den Ton des Ortes angeben, fanden solche schon seit geraumer Zeit statt;
und unter ihnen war es, daß Capitän Balleer begriff, wie den Ergebnissen
derartiger Besprechungen so lange jede Schneide fehle, als dieser Verein sich
nicht über die bescheidene Stätte seiner Existenz heraus vernehmlich mache.
Er begann also in dem nahen Bremen erst zu sondiren, wer wohl Sinn für
die Hebung seines gedrückten und vernachlässigten Standes habe, und nach¬
dem er die Leute gefunden, sie zu bombardiren. bis sie sich ihm ergaben-
Selber hätte der Mann nie daran denken können, die Initiative in weite
Kreise hinaus zu übernehmen, da sein Briefstyl ziemlich mangelhaft entwickelt
und seine mündliche Rede vollends verworren war. Ein um so classischeres
Beispiel hat man an ihm. daß diese formellen Eigenschaften der Mittheilung
sogut wie gänzlich fehlen können und sich doch ein bedeutendes agitatorisches
Pathos in einem Menschen Luft machen kann.


Grenzboten IV. 18V9. 11
Der Deutsche nautische Verein.

Der Deutsche nautische Verein, in welchem unser Seemannsstand sich
eine über die ganze norddeutsche Küste verbreitete, wohlorganisirte Vertretung
geschaffen hat, ist aus dem kleinen Schifferflecken Vegesack an der Weser her-
vorgegangen, wie das Christenthum aus Bethlehem und die Genossenschaften
aus Delitzsch. Unscheinbar war der Ort, unscheinbar auch der Mann, der
den Gedanken zuerst faßte und so lange unermüdlich wiederholte, bis Andere
ihn aufnahmen. Es war der Schiffscapitän Frerk Balleer in Vegesack, Vor¬
steher des dortigen Seeschiffervereins. Dieser Seeschiffervereine gab es schon
länger mehrere auf verschiedenen Punkten der Küste. In ihnen fanden ehe¬
malige Seefahrer, die sich zur Ruhe gesetzt haben, theils Befriedigung für
ihre eigenen und für ihrer Familien gesellige Bedürfnisse, theils auch die Mittel,
von Standes wegen etwas für nothleidende Genossen oder deren Hinter¬
bliebene zu thun. Seltener sind förmliche Verhandlungen über Gegenstände,
welche den Stand interessiren. In Vegesack aber, das beinahe nur von vor¬
maligen Schiffsführern oder Capitänswittwen bewohnt wird, die daher durch¬
aus den Ton des Ortes angeben, fanden solche schon seit geraumer Zeit statt;
und unter ihnen war es, daß Capitän Balleer begriff, wie den Ergebnissen
derartiger Besprechungen so lange jede Schneide fehle, als dieser Verein sich
nicht über die bescheidene Stätte seiner Existenz heraus vernehmlich mache.
Er begann also in dem nahen Bremen erst zu sondiren, wer wohl Sinn für
die Hebung seines gedrückten und vernachlässigten Standes habe, und nach¬
dem er die Leute gefunden, sie zu bombardiren. bis sie sich ihm ergaben-
Selber hätte der Mann nie daran denken können, die Initiative in weite
Kreise hinaus zu übernehmen, da sein Briefstyl ziemlich mangelhaft entwickelt
und seine mündliche Rede vollends verworren war. Ein um so classischeres
Beispiel hat man an ihm. daß diese formellen Eigenschaften der Mittheilung
sogut wie gänzlich fehlen können und sich doch ein bedeutendes agitatorisches
Pathos in einem Menschen Luft machen kann.


Grenzboten IV. 18V9. 11
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[0089] Der Deutsche nautische Verein. Der Deutsche nautische Verein, in welchem unser Seemannsstand sich eine über die ganze norddeutsche Küste verbreitete, wohlorganisirte Vertretung geschaffen hat, ist aus dem kleinen Schifferflecken Vegesack an der Weser her- vorgegangen, wie das Christenthum aus Bethlehem und die Genossenschaften aus Delitzsch. Unscheinbar war der Ort, unscheinbar auch der Mann, der den Gedanken zuerst faßte und so lange unermüdlich wiederholte, bis Andere ihn aufnahmen. Es war der Schiffscapitän Frerk Balleer in Vegesack, Vor¬ steher des dortigen Seeschiffervereins. Dieser Seeschiffervereine gab es schon länger mehrere auf verschiedenen Punkten der Küste. In ihnen fanden ehe¬ malige Seefahrer, die sich zur Ruhe gesetzt haben, theils Befriedigung für ihre eigenen und für ihrer Familien gesellige Bedürfnisse, theils auch die Mittel, von Standes wegen etwas für nothleidende Genossen oder deren Hinter¬ bliebene zu thun. Seltener sind förmliche Verhandlungen über Gegenstände, welche den Stand interessiren. In Vegesack aber, das beinahe nur von vor¬ maligen Schiffsführern oder Capitänswittwen bewohnt wird, die daher durch¬ aus den Ton des Ortes angeben, fanden solche schon seit geraumer Zeit statt; und unter ihnen war es, daß Capitän Balleer begriff, wie den Ergebnissen derartiger Besprechungen so lange jede Schneide fehle, als dieser Verein sich nicht über die bescheidene Stätte seiner Existenz heraus vernehmlich mache. Er begann also in dem nahen Bremen erst zu sondiren, wer wohl Sinn für die Hebung seines gedrückten und vernachlässigten Standes habe, und nach¬ dem er die Leute gefunden, sie zu bombardiren. bis sie sich ihm ergaben- Selber hätte der Mann nie daran denken können, die Initiative in weite Kreise hinaus zu übernehmen, da sein Briefstyl ziemlich mangelhaft entwickelt und seine mündliche Rede vollends verworren war. Ein um so classischeres Beispiel hat man an ihm. daß diese formellen Eigenschaften der Mittheilung sogut wie gänzlich fehlen können und sich doch ein bedeutendes agitatorisches Pathos in einem Menschen Luft machen kann. Grenzboten IV. 18V9. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/89>, abgerufen am 28.04.2024.