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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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gekommen, als das Ganze. Die Armenpflege entbehrt noch einer eigenen
Zeitschrift, deren sie von Tag zu Tag gebieterischer bedarf.

Die Waisenhäuser haben sich überlebt. Controlirte Familienpflege muH
an ihre Stelle treten. Schon zur Ermittelung der erforderlichen Zahl zuver¬
lässiger Familien, sicher aber für die laufende Controle bedarf es der Appel¬
lation an freiwillig dienende Kräfte. Die Organisation erstrecke sich wo¬
möglich über einen größeren Landstrich, um das wünschenswerthe Maß activer
Intelligenz zu gewinnen; auch werden sich alle praktischen Probleme da
leichter lösen. Im übrigen mag man es getrost der weiteren Entwickelung
anheimstellen, ob sie sich an die Einheiten der gesetzlichen Selbstverwaltung,
Commune, Kreis :c. anlehnen, oder in neuen, freien, von der Staatsgesetz¬
gebung nur mittelbar geförderten Vereins- und Verbands-Schöpfungen fort¬
gestalten wird.




Zum Gesetz über das literarische Urheberrecht.

Wenn die Redaction d. Bl. den Lesern zumuthet, wiederholte Artikel
über den vor dem Reichstag liegenden Gesetzentwurf und die geistigen
Urheberrechte zu lesen, so wird diese Beharrlichkeit nicht dadurch verursacht,
weil in einer wichtigen Angelegenheit auch dies Blatt und seine Mitarbeiter
pro clomo zu kämpfen haben. Wer durch einige zwanzig Jahr von dieser
bescheidenen Stelle aus zu seinem Volke gesprochen, der hat verlernt, an den
eigenen Vortheil zu denken, wo es sich um ein allgemeines Interesse handelt.
Und die Grenzboten, welche in einer Zeit heraufgekommen sind, wo der deut¬
sche Schriftsteller noch ohne den Schutz des Gesetzes arbeitete, dürften für
sich selbst ohne Sorge sein, auch wenn unsere neue Bundesgesetzgebung in
eine Begünstigung des Nachdrucks zurückfallen sollte. Es sind näherliegende
Gründe, welche veranlassen, auf die Wichtigkeit dieses Gesetzes aufmerksam
zu machen. Der gegenwärtige Reichstag leidet bereits unter der Schnelle und
Flüchtigkeit, mit welcher das Gesetzmachen betrieben wird. Die Reaction gegen
die eingeschlagene Methode, Gesetze vorzubereiten und im Reichstage zu verhan¬
deln, gewinnt eine bedrohliche Ausdehnung, die Unzufriedenheit ist leider nicht
ohne Berechtigung. Ob das neue Strafgesetz zu Stande kommt, ist zur Zeit
noch sehr zweifelhaft, es wird, wenn es aus den Compromissen zwischen Reichs¬
tag, Bundesrath und preußischer Regierung hervorgeht, im besten Falle den
Eindruck eines ungenügenden Provisoriums machen. Gelingt auch über den


gekommen, als das Ganze. Die Armenpflege entbehrt noch einer eigenen
Zeitschrift, deren sie von Tag zu Tag gebieterischer bedarf.

Die Waisenhäuser haben sich überlebt. Controlirte Familienpflege muH
an ihre Stelle treten. Schon zur Ermittelung der erforderlichen Zahl zuver¬
lässiger Familien, sicher aber für die laufende Controle bedarf es der Appel¬
lation an freiwillig dienende Kräfte. Die Organisation erstrecke sich wo¬
möglich über einen größeren Landstrich, um das wünschenswerthe Maß activer
Intelligenz zu gewinnen; auch werden sich alle praktischen Probleme da
leichter lösen. Im übrigen mag man es getrost der weiteren Entwickelung
anheimstellen, ob sie sich an die Einheiten der gesetzlichen Selbstverwaltung,
Commune, Kreis :c. anlehnen, oder in neuen, freien, von der Staatsgesetz¬
gebung nur mittelbar geförderten Vereins- und Verbands-Schöpfungen fort¬
gestalten wird.




Zum Gesetz über das literarische Urheberrecht.

Wenn die Redaction d. Bl. den Lesern zumuthet, wiederholte Artikel
über den vor dem Reichstag liegenden Gesetzentwurf und die geistigen
Urheberrechte zu lesen, so wird diese Beharrlichkeit nicht dadurch verursacht,
weil in einer wichtigen Angelegenheit auch dies Blatt und seine Mitarbeiter
pro clomo zu kämpfen haben. Wer durch einige zwanzig Jahr von dieser
bescheidenen Stelle aus zu seinem Volke gesprochen, der hat verlernt, an den
eigenen Vortheil zu denken, wo es sich um ein allgemeines Interesse handelt.
Und die Grenzboten, welche in einer Zeit heraufgekommen sind, wo der deut¬
sche Schriftsteller noch ohne den Schutz des Gesetzes arbeitete, dürften für
sich selbst ohne Sorge sein, auch wenn unsere neue Bundesgesetzgebung in
eine Begünstigung des Nachdrucks zurückfallen sollte. Es sind näherliegende
Gründe, welche veranlassen, auf die Wichtigkeit dieses Gesetzes aufmerksam
zu machen. Der gegenwärtige Reichstag leidet bereits unter der Schnelle und
Flüchtigkeit, mit welcher das Gesetzmachen betrieben wird. Die Reaction gegen
die eingeschlagene Methode, Gesetze vorzubereiten und im Reichstage zu verhan¬
deln, gewinnt eine bedrohliche Ausdehnung, die Unzufriedenheit ist leider nicht
ohne Berechtigung. Ob das neue Strafgesetz zu Stande kommt, ist zur Zeit
noch sehr zweifelhaft, es wird, wenn es aus den Compromissen zwischen Reichs¬
tag, Bundesrath und preußischer Regierung hervorgeht, im besten Falle den
Eindruck eines ungenügenden Provisoriums machen. Gelingt auch über den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/504>, abgerufen am 25.05.2024.