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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Gebiet würde uns ganz verhindern, von unserem Recht des Stärkern Gebrauch
zu machen und die Strafe für begangene Frevel an den Franzosen zu voll¬
ziehen. Man bedenke nur: fortan haben nicht wir einen Grenzwall zu be¬
gehren , sondern die Franzosen.

Aber alle diese und ähnliche Gründe, welche gegen die Annexion des
Elsaß sprechen, schwinden dahin und werden nichtig vor dem großen Ge¬
danken: sie .sind , von unserem Stamm und Blut und sie gehören zu
uns. Wie Brüder und Familiengenossen, die wir lange als Verlorene
betrauert, finden wir sie wieder, und beide erkennen wir unsere Blutsver¬
wandtschaft an gewissen geheimen Zeichen, die der Franzos nicht zu deu¬
ten weiß, auch wenn er sie einmal vernimmt. Nicht nur der Verstand,
auch Gemüth und Leidenschaft haben hier anzuthun, dieselben Gewalten,
welche den Krieg gegen den Kaiser zu einem Volkskrieg fast des gesammten
Deutschlands gemacht haben. Was wir mit dem Schwert erwarben, werden
wir mit dem Herzen behaupten, im Nothfall nochmals im Kampfe sichern.
Diese Auffassung, die bei den Süddeutschen jetzt am heißesten verfochten wird,
vielleicht weil sie die Gefahren weniger deutlich erkennen, dringt jetzt immer
mehr in die Seelen auch der Norddeutschen. Sie ist auch in dem deutschen
Heer, welches siegreich den Elsaß durchzog, die herrschende geworden und in
jenen Tagen der Rast auf der Höhe der Vogesen wurden viele Bedenken
erhoben und widerlegt und viele Möglichkeiten vorsichtig erwogen und be¬
rechnet, aber aus allen fröhlichen Beuteplänen, wie sie der siegbewußte Soldat
am sonnigen Abenv in der Quartierruhe zu machen pflegt, klang beim Ge¬
neral und Gemeinen, im Stäbe und in den Compagnien die entschlossene
Forderung: den Elsaß müssen wir behalten!




Berliner Griese.
V.

Eben als ich meinen letzten Brief an Sie absandte, erfuhren wir, daß
die Pause schon vorüber sei, daß der zweite Aufzug des gewaltigen Trauer¬
spiels, der an der Mosel abspielen sollte, schon begonnen habe. Auch er
scheint nun dem Wesen nach vollendet zu sein; wenigstens stellt sich der jetzt
abgelaufene neue Theil der Handlung dem staunenden Nachsinnen abermals
als ein Ganzes dar.


Gebiet würde uns ganz verhindern, von unserem Recht des Stärkern Gebrauch
zu machen und die Strafe für begangene Frevel an den Franzosen zu voll¬
ziehen. Man bedenke nur: fortan haben nicht wir einen Grenzwall zu be¬
gehren , sondern die Franzosen.

Aber alle diese und ähnliche Gründe, welche gegen die Annexion des
Elsaß sprechen, schwinden dahin und werden nichtig vor dem großen Ge¬
danken: sie .sind , von unserem Stamm und Blut und sie gehören zu
uns. Wie Brüder und Familiengenossen, die wir lange als Verlorene
betrauert, finden wir sie wieder, und beide erkennen wir unsere Blutsver¬
wandtschaft an gewissen geheimen Zeichen, die der Franzos nicht zu deu¬
ten weiß, auch wenn er sie einmal vernimmt. Nicht nur der Verstand,
auch Gemüth und Leidenschaft haben hier anzuthun, dieselben Gewalten,
welche den Krieg gegen den Kaiser zu einem Volkskrieg fast des gesammten
Deutschlands gemacht haben. Was wir mit dem Schwert erwarben, werden
wir mit dem Herzen behaupten, im Nothfall nochmals im Kampfe sichern.
Diese Auffassung, die bei den Süddeutschen jetzt am heißesten verfochten wird,
vielleicht weil sie die Gefahren weniger deutlich erkennen, dringt jetzt immer
mehr in die Seelen auch der Norddeutschen. Sie ist auch in dem deutschen
Heer, welches siegreich den Elsaß durchzog, die herrschende geworden und in
jenen Tagen der Rast auf der Höhe der Vogesen wurden viele Bedenken
erhoben und widerlegt und viele Möglichkeiten vorsichtig erwogen und be¬
rechnet, aber aus allen fröhlichen Beuteplänen, wie sie der siegbewußte Soldat
am sonnigen Abenv in der Quartierruhe zu machen pflegt, klang beim Ge¬
neral und Gemeinen, im Stäbe und in den Compagnien die entschlossene
Forderung: den Elsaß müssen wir behalten!




Berliner Griese.
V.

Eben als ich meinen letzten Brief an Sie absandte, erfuhren wir, daß
die Pause schon vorüber sei, daß der zweite Aufzug des gewaltigen Trauer¬
spiels, der an der Mosel abspielen sollte, schon begonnen habe. Auch er
scheint nun dem Wesen nach vollendet zu sein; wenigstens stellt sich der jetzt
abgelaufene neue Theil der Handlung dem staunenden Nachsinnen abermals
als ein Ganzes dar.


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[0376] Gebiet würde uns ganz verhindern, von unserem Recht des Stärkern Gebrauch zu machen und die Strafe für begangene Frevel an den Franzosen zu voll¬ ziehen. Man bedenke nur: fortan haben nicht wir einen Grenzwall zu be¬ gehren , sondern die Franzosen. Aber alle diese und ähnliche Gründe, welche gegen die Annexion des Elsaß sprechen, schwinden dahin und werden nichtig vor dem großen Ge¬ danken: sie .sind , von unserem Stamm und Blut und sie gehören zu uns. Wie Brüder und Familiengenossen, die wir lange als Verlorene betrauert, finden wir sie wieder, und beide erkennen wir unsere Blutsver¬ wandtschaft an gewissen geheimen Zeichen, die der Franzos nicht zu deu¬ ten weiß, auch wenn er sie einmal vernimmt. Nicht nur der Verstand, auch Gemüth und Leidenschaft haben hier anzuthun, dieselben Gewalten, welche den Krieg gegen den Kaiser zu einem Volkskrieg fast des gesammten Deutschlands gemacht haben. Was wir mit dem Schwert erwarben, werden wir mit dem Herzen behaupten, im Nothfall nochmals im Kampfe sichern. Diese Auffassung, die bei den Süddeutschen jetzt am heißesten verfochten wird, vielleicht weil sie die Gefahren weniger deutlich erkennen, dringt jetzt immer mehr in die Seelen auch der Norddeutschen. Sie ist auch in dem deutschen Heer, welches siegreich den Elsaß durchzog, die herrschende geworden und in jenen Tagen der Rast auf der Höhe der Vogesen wurden viele Bedenken erhoben und widerlegt und viele Möglichkeiten vorsichtig erwogen und be¬ rechnet, aber aus allen fröhlichen Beuteplänen, wie sie der siegbewußte Soldat am sonnigen Abenv in der Quartierruhe zu machen pflegt, klang beim Ge¬ neral und Gemeinen, im Stäbe und in den Compagnien die entschlossene Forderung: den Elsaß müssen wir behalten! Berliner Griese. V. Eben als ich meinen letzten Brief an Sie absandte, erfuhren wir, daß die Pause schon vorüber sei, daß der zweite Aufzug des gewaltigen Trauer¬ spiels, der an der Mosel abspielen sollte, schon begonnen habe. Auch er scheint nun dem Wesen nach vollendet zu sein; wenigstens stellt sich der jetzt abgelaufene neue Theil der Handlung dem staunenden Nachsinnen abermals als ein Ganzes dar.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/376>, abgerufen am 05.05.2024.