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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Aber nur allmählich ist es zu dieser Auffassung gekommen. Die Nach¬
richten von dem Kampfe am 14ten, östlich von Metz, machten unser Publikum
zum größten Theile vorerst recht bedenklich. Von greifbaren Erfolgen war
keine Rede; daß unsere Truppen in ihre alten Bivuaks zurückgekehrt seien,
erschreckte die Leute; es war schwer, ihnen klar zu machen, daß man doch
auf dem Glacis einer feindlichen Festung unmöglich bivuakiren könne.
Auch waren für die Masse des Volles die Berichte viel zu lang; von allen
Depeschen ist ihnen die verständlichste und darum die liebste gewesen: "Der
Kronprinz hat Mac-Mahon geschlagen." Hier aber fanden sie ausführliche
Angaben über die Richtung eines heftigen, lang andauernden Kampfes, mit
fremden Namen unbekannter Dörfer erfüllt, die sich schon der Aussprache,
natürlich erst recht dem Gedächtnisse unserer Anschlagsleser entzogen. Das
einzige, was alle kannten. Metz, schien ebenso unerreichbar wie zuvor; recht
empfindlich sprachen dagegen zu jedem einfachen Gemüthe die bedeutenden
Verluste der Unseren, aus denen unsere ehrlichen Berichterstatter kein Geheimniß
gemacht hatten. Man konnte den alten Steinmetz einen rücksichtslosen Drauf¬
gänger nennen hören, man beklagte die heldenmüthigen Truppen des siebenten
und achten Corps, die nun schon wieder blutige Arbeit gehabt hätten, während
so viele andere Schaaren noch immer unberührt geblieben waren. Man
konnte sich nicht verhehlen, daß ein neuer Geist energischen Widerstandes
in die Franzosen gefahren sei; ein Rückzugsgefecht hatten sie freiwillig in
eine Schlacht verwandelt. Daß eben dies ihr verhängnißvollster Fehler ge¬
wesen, daß sie dadurch den kostbarsten Moment versäumt hatten, der die
eigentliche Entscheidung des Feldzuges zum mindesten um Wochen hinaus¬
schieben konnte, das war wohl hier keinem Laien deutlich, so lange ihm blos
von der Schlacht bei Courcelles Kunde geworden war.

Sehr begreiflich: ein großer Gedanke der Strategie kann wie jedes
geniale Kunstwerk eben nur als Ganzes verstanden werden; was einzeln
genommen an sich unzweckmäßig erschien, wird hernach glänzend gerechtfertigt.
Am Donnerstag früh hatten wir die Meldung vom Siege bei Mars-la-Tour.
Wie mit einem Schlage war die Stimmung verwandelt. "Der Krieg ist zu
Ende!" riefen die Heißblütigen; "nicht zu Ende, wohl aber entschieden", ant¬
worteten auch die Besonnenen. Weniger der Tapferkeit, die nie jemand
bezweifelt hatte, als der unglaublichen Schnelligkeit der Unseren wandte sich
die allgemeine Bewunderung zu. Daß wir mit der Hauptmasse des großen
Heeres schon dem Feinde zur Seite erschienen, ja ihm vorausgeeilt waren,
rief uns das alte Schimpfwort der affenartigen Geschwindigkeit ins Gedächtniß,
das wir. wie weiland die kühnen Geusen, in stolzer Selbstironie seit 66 zu
einem preußischen Ehrentitel erhoben haben. Welches zähen, ausharrenden
Heldenmuthes von Seiten des schon bei Spichecen so hart geprüften dritten


GrtiizlMc" lit. I"7N. 48

Aber nur allmählich ist es zu dieser Auffassung gekommen. Die Nach¬
richten von dem Kampfe am 14ten, östlich von Metz, machten unser Publikum
zum größten Theile vorerst recht bedenklich. Von greifbaren Erfolgen war
keine Rede; daß unsere Truppen in ihre alten Bivuaks zurückgekehrt seien,
erschreckte die Leute; es war schwer, ihnen klar zu machen, daß man doch
auf dem Glacis einer feindlichen Festung unmöglich bivuakiren könne.
Auch waren für die Masse des Volles die Berichte viel zu lang; von allen
Depeschen ist ihnen die verständlichste und darum die liebste gewesen: „Der
Kronprinz hat Mac-Mahon geschlagen." Hier aber fanden sie ausführliche
Angaben über die Richtung eines heftigen, lang andauernden Kampfes, mit
fremden Namen unbekannter Dörfer erfüllt, die sich schon der Aussprache,
natürlich erst recht dem Gedächtnisse unserer Anschlagsleser entzogen. Das
einzige, was alle kannten. Metz, schien ebenso unerreichbar wie zuvor; recht
empfindlich sprachen dagegen zu jedem einfachen Gemüthe die bedeutenden
Verluste der Unseren, aus denen unsere ehrlichen Berichterstatter kein Geheimniß
gemacht hatten. Man konnte den alten Steinmetz einen rücksichtslosen Drauf¬
gänger nennen hören, man beklagte die heldenmüthigen Truppen des siebenten
und achten Corps, die nun schon wieder blutige Arbeit gehabt hätten, während
so viele andere Schaaren noch immer unberührt geblieben waren. Man
konnte sich nicht verhehlen, daß ein neuer Geist energischen Widerstandes
in die Franzosen gefahren sei; ein Rückzugsgefecht hatten sie freiwillig in
eine Schlacht verwandelt. Daß eben dies ihr verhängnißvollster Fehler ge¬
wesen, daß sie dadurch den kostbarsten Moment versäumt hatten, der die
eigentliche Entscheidung des Feldzuges zum mindesten um Wochen hinaus¬
schieben konnte, das war wohl hier keinem Laien deutlich, so lange ihm blos
von der Schlacht bei Courcelles Kunde geworden war.

Sehr begreiflich: ein großer Gedanke der Strategie kann wie jedes
geniale Kunstwerk eben nur als Ganzes verstanden werden; was einzeln
genommen an sich unzweckmäßig erschien, wird hernach glänzend gerechtfertigt.
Am Donnerstag früh hatten wir die Meldung vom Siege bei Mars-la-Tour.
Wie mit einem Schlage war die Stimmung verwandelt. „Der Krieg ist zu
Ende!" riefen die Heißblütigen; „nicht zu Ende, wohl aber entschieden", ant¬
worteten auch die Besonnenen. Weniger der Tapferkeit, die nie jemand
bezweifelt hatte, als der unglaublichen Schnelligkeit der Unseren wandte sich
die allgemeine Bewunderung zu. Daß wir mit der Hauptmasse des großen
Heeres schon dem Feinde zur Seite erschienen, ja ihm vorausgeeilt waren,
rief uns das alte Schimpfwort der affenartigen Geschwindigkeit ins Gedächtniß,
das wir. wie weiland die kühnen Geusen, in stolzer Selbstironie seit 66 zu
einem preußischen Ehrentitel erhoben haben. Welches zähen, ausharrenden
Heldenmuthes von Seiten des schon bei Spichecen so hart geprüften dritten


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[0377] Aber nur allmählich ist es zu dieser Auffassung gekommen. Die Nach¬ richten von dem Kampfe am 14ten, östlich von Metz, machten unser Publikum zum größten Theile vorerst recht bedenklich. Von greifbaren Erfolgen war keine Rede; daß unsere Truppen in ihre alten Bivuaks zurückgekehrt seien, erschreckte die Leute; es war schwer, ihnen klar zu machen, daß man doch auf dem Glacis einer feindlichen Festung unmöglich bivuakiren könne. Auch waren für die Masse des Volles die Berichte viel zu lang; von allen Depeschen ist ihnen die verständlichste und darum die liebste gewesen: „Der Kronprinz hat Mac-Mahon geschlagen." Hier aber fanden sie ausführliche Angaben über die Richtung eines heftigen, lang andauernden Kampfes, mit fremden Namen unbekannter Dörfer erfüllt, die sich schon der Aussprache, natürlich erst recht dem Gedächtnisse unserer Anschlagsleser entzogen. Das einzige, was alle kannten. Metz, schien ebenso unerreichbar wie zuvor; recht empfindlich sprachen dagegen zu jedem einfachen Gemüthe die bedeutenden Verluste der Unseren, aus denen unsere ehrlichen Berichterstatter kein Geheimniß gemacht hatten. Man konnte den alten Steinmetz einen rücksichtslosen Drauf¬ gänger nennen hören, man beklagte die heldenmüthigen Truppen des siebenten und achten Corps, die nun schon wieder blutige Arbeit gehabt hätten, während so viele andere Schaaren noch immer unberührt geblieben waren. Man konnte sich nicht verhehlen, daß ein neuer Geist energischen Widerstandes in die Franzosen gefahren sei; ein Rückzugsgefecht hatten sie freiwillig in eine Schlacht verwandelt. Daß eben dies ihr verhängnißvollster Fehler ge¬ wesen, daß sie dadurch den kostbarsten Moment versäumt hatten, der die eigentliche Entscheidung des Feldzuges zum mindesten um Wochen hinaus¬ schieben konnte, das war wohl hier keinem Laien deutlich, so lange ihm blos von der Schlacht bei Courcelles Kunde geworden war. Sehr begreiflich: ein großer Gedanke der Strategie kann wie jedes geniale Kunstwerk eben nur als Ganzes verstanden werden; was einzeln genommen an sich unzweckmäßig erschien, wird hernach glänzend gerechtfertigt. Am Donnerstag früh hatten wir die Meldung vom Siege bei Mars-la-Tour. Wie mit einem Schlage war die Stimmung verwandelt. „Der Krieg ist zu Ende!" riefen die Heißblütigen; „nicht zu Ende, wohl aber entschieden", ant¬ worteten auch die Besonnenen. Weniger der Tapferkeit, die nie jemand bezweifelt hatte, als der unglaublichen Schnelligkeit der Unseren wandte sich die allgemeine Bewunderung zu. Daß wir mit der Hauptmasse des großen Heeres schon dem Feinde zur Seite erschienen, ja ihm vorausgeeilt waren, rief uns das alte Schimpfwort der affenartigen Geschwindigkeit ins Gedächtniß, das wir. wie weiland die kühnen Geusen, in stolzer Selbstironie seit 66 zu einem preußischen Ehrentitel erhoben haben. Welches zähen, ausharrenden Heldenmuthes von Seiten des schon bei Spichecen so hart geprüften dritten GrtiizlMc» lit. I«7N. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/377>, abgerufen am 25.05.2024.