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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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im rechten Moment zum glücklichen Angriff überzugehen. Es ist die Kunst
und die Gunst des Fürsten Bismarck, nur solche Feinde zu wählen und zu
haben, die durch ihre innerste Natur zum Krieg gezwungen sind, und die eben
deshalb die defensive Stellung des Gegners nicht unbehelligt lassen können.

Der Kanzler mußte nach dieser Rede das Haus verlassen. So konnte
die Entgegnung, welche der Abgeordnete Windthorst versuchte, um so weniger
Interesse finden. Es war keine Widerlegung, sondern eine Kette von leiden¬
schaftlichen Gegenbehauptungen. Die Mahl der Waffe zeichnete die unangreif¬
bare Stellung des Gegners.'

In einer der folgenden Sitzungen hatte der Kanzler noch einmal Gelegen¬
heit, durch Vorlesung eines Wahlerlasses von Mitgliedern und Freunden der
Centrumsfraction, der in polnischer Sprache an polnische Landleute gerichtet
worden, den sinnfälligen Beweis zu führen, was an der Behauptung ist, daß
diese Fraction, wie andere Fractionen auch, einen politischen und nicht einen
konfessionellen Charakter habe. Es war eine schwache Abwehr, die Herr
Reichensperger versuchte, wenn er sagte, es sei bei Wahlen einmal nicht an¬
ders, als daß man jeden Vortheil zu Hülfe nehme. Wenn man sich eben als
nichtconfessionell bezeichnet hat, wie es vor der Rede des Kanzlers durch den
Abgeordneten v. Mallinkrodt wiederholt geschehen war. da liegt in der Ran-
girung des konfessionellen Stachels unter die gewöhnlichen Wahlmittel der un¬
verblümte Jesuitismus.

Wir übergehen die Angriffe, die in derselben Sitzung gegen den evange¬
lischen Oberkirchenrath vorkamen. Dergleichen Angriffe sind Schläge ins
Wasser, so lange man nicht vorbereitet ist. zu sagen, wie die Verfassung der
evangelischen Kirche entstehen soll, welche diese Kirche nach ihrer Trennung
vom Staate lebensfähig machen kann. Man kann wünschen oder erwarten,
daß der Cultusminister den Ausweg zeigt oder zur Aufsindung desselben den
wirksamen und zum Rechten leitenden Anstoß gibt. Aber man kann diese
Forderung nicht an einen Cultusminister stellen, der wenige Tage im
Amt ist. --

Auch die verschiedenen Bemerkungen, die in der Sitzung vom 1. Februar
über die Lage der Lehrer fielen, wurden im Grunde gegenstandslos durch die
Unmöglichkeit, für dieses Jahr zu irgend einer praktischen Mahregel von
durchgreifender Natur zu gelangen. Solche Maßregeln setzen die Neubildung
der Kreisverfassung und der ländlichen Communalverfassung voraus, vor Allem
aber einen Mann an der Spitze des Cultusministeriums, dem die unentbehr¬
liche Zeit für die Initiative zur Verfügung gestanden.


e --r.


Die Iraction Wildes?orst-Savigny.

Wer kennt nicht die Fraction des Centrums im deutschen Reichstag wie
im preußischen Abgeordnetenhaus? "Fraction des Centrums" ist der officielle
Name, welchen die Herren der Partei, die in den Parlamenten sitzen, ihrer
Vereinigung beigelegt haben. Der Name ist ein wenig nichtssagend, wie
Manche gefunden haben. Aber beim Namen kommt es ja auf den Inhalt


im rechten Moment zum glücklichen Angriff überzugehen. Es ist die Kunst
und die Gunst des Fürsten Bismarck, nur solche Feinde zu wählen und zu
haben, die durch ihre innerste Natur zum Krieg gezwungen sind, und die eben
deshalb die defensive Stellung des Gegners nicht unbehelligt lassen können.

Der Kanzler mußte nach dieser Rede das Haus verlassen. So konnte
die Entgegnung, welche der Abgeordnete Windthorst versuchte, um so weniger
Interesse finden. Es war keine Widerlegung, sondern eine Kette von leiden¬
schaftlichen Gegenbehauptungen. Die Mahl der Waffe zeichnete die unangreif¬
bare Stellung des Gegners.'

In einer der folgenden Sitzungen hatte der Kanzler noch einmal Gelegen¬
heit, durch Vorlesung eines Wahlerlasses von Mitgliedern und Freunden der
Centrumsfraction, der in polnischer Sprache an polnische Landleute gerichtet
worden, den sinnfälligen Beweis zu führen, was an der Behauptung ist, daß
diese Fraction, wie andere Fractionen auch, einen politischen und nicht einen
konfessionellen Charakter habe. Es war eine schwache Abwehr, die Herr
Reichensperger versuchte, wenn er sagte, es sei bei Wahlen einmal nicht an¬
ders, als daß man jeden Vortheil zu Hülfe nehme. Wenn man sich eben als
nichtconfessionell bezeichnet hat, wie es vor der Rede des Kanzlers durch den
Abgeordneten v. Mallinkrodt wiederholt geschehen war. da liegt in der Ran-
girung des konfessionellen Stachels unter die gewöhnlichen Wahlmittel der un¬
verblümte Jesuitismus.

Wir übergehen die Angriffe, die in derselben Sitzung gegen den evange¬
lischen Oberkirchenrath vorkamen. Dergleichen Angriffe sind Schläge ins
Wasser, so lange man nicht vorbereitet ist. zu sagen, wie die Verfassung der
evangelischen Kirche entstehen soll, welche diese Kirche nach ihrer Trennung
vom Staate lebensfähig machen kann. Man kann wünschen oder erwarten,
daß der Cultusminister den Ausweg zeigt oder zur Aufsindung desselben den
wirksamen und zum Rechten leitenden Anstoß gibt. Aber man kann diese
Forderung nicht an einen Cultusminister stellen, der wenige Tage im
Amt ist. —

Auch die verschiedenen Bemerkungen, die in der Sitzung vom 1. Februar
über die Lage der Lehrer fielen, wurden im Grunde gegenstandslos durch die
Unmöglichkeit, für dieses Jahr zu irgend einer praktischen Mahregel von
durchgreifender Natur zu gelangen. Solche Maßregeln setzen die Neubildung
der Kreisverfassung und der ländlichen Communalverfassung voraus, vor Allem
aber einen Mann an der Spitze des Cultusministeriums, dem die unentbehr¬
liche Zeit für die Initiative zur Verfügung gestanden.


e —r.


Die Iraction Wildes?orst-Savigny.

Wer kennt nicht die Fraction des Centrums im deutschen Reichstag wie
im preußischen Abgeordnetenhaus? „Fraction des Centrums" ist der officielle
Name, welchen die Herren der Partei, die in den Parlamenten sitzen, ihrer
Vereinigung beigelegt haben. Der Name ist ein wenig nichtssagend, wie
Manche gefunden haben. Aber beim Namen kommt es ja auf den Inhalt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/293>, abgerufen am 07.05.2024.