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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band.

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schon einmal eingezogen. Es schien, als ob diese Einziehung der Vorläufer
einer fügsamen Haltung des Herrenhauses in dem von der Staatsregierung
eröffneten Vertheidigungskampf gegen den Angriff der klerikalen Partei auf
das deutsche Reich und auf den Träger der Reichspolitik in der preußischen
Staatsregierung sei. Die allerneuesten Kundgebungen der Kreuzzeitung deu¬
ten aber wieder auf Kampf.

Wie diese Erwartungen vorläufig ausgehen mögen, die Thatsache bleibt
bestehen, daß die frühere konservative Partei entweder eine wesentlich andere
werden, oder daß ihre Unfähigkeit immer wieder zu Tage treten muß, eine
Stütze der Negierung zu sein. Damit tritt eine ganz neue Situation an die
national-liberale Partei heran. Diese Partei muß sich sagen, daß ihr jetzt die
Aufgabe zufällt, die Stütze der Negierung im Reich wie in Preußen zu sein.
In dieser Rolle erhält eine Partei naturgemäß besondere Rechte, aber auch
besondere Pflichten. Eine Partei, die in der Regierung ihren Geist erkennt
und demgemäß zur Vertheidigerin der Regierung wird, darf der letzteren
gegenüber auf fortgesetzte Durchführung der gemeinschaftlichen Grundsätze
dringen. Die Partei übernimmt aber mit einer Stellung, in welcher sie das
achtungsvollste Gehör erhält und beansprucht, die Pflicht, der ewigen Grund¬
lagen des Staates sowohl wie der besonderen Forderungen des gegebenen
Staates mehr wie jede andere Partei eingedenk zu sein. Eine Partei, welche
die erste Stelle im Parlament einnimmt und in der Führung der öffentlichen
Meinung sich mit der Regierung wechselseitig unterstützt, muß diejenigen Volks¬
kreise und Institutionen nothwendig in ihre Berechnung ziehen, in welchen die
traditionelle Verbindung mit dem Herrscherhaus am engsten, die monarchische
Gesinnung am lebendigsten ist. Sie muß ferner den einer früheren Periode
des Liberalismus angehörenden Irrthum verlassen, als könne man den "Staat
allein auf die wechselnde öffentliche Meinung stellen, als bedürfe er nicht con-
stanter Kräfte, welche der wechselnden Bewegung des Volksgeistes zwar nicht
unzugänglich, aber von ihr auch nicht nach Belieben zu biegen, geschweige
denn zu zerbrechen sind.

Eine erste Probe dieser neuen Stellung hatte die national-liberale Partei
bei dem Gesetze über die Einrichtung und Befugnisse der Oberrcchnungskammer
abzulegen, dessen Berathung am 15.. 16. und 17. Februar das Abgeordneten¬
haus beschäftigt hat. Wir können wenigstens den redlichen Willen consta-
tiren, diese Probe zu bestehen. Da aber die Berathung des wichtigen Ge¬
setzes mit ihren in das innere Staatsrecht Preußens tief eingreifenden Fragen
in dieser Woche noch nicht zu Ende gelangt ist, und da das Endergebniß sich
noch nicht übersehen läßt, so verschieben wir die Darstellung dieser Verhand¬
lungen auf den nächsten Bericht. ,


e --r.


Kerr von Wühler und die theologischen JacnlMen.

"Nur wenn Sitz und Natur einer Krankheit gekannt ist, darf man hoffen,
zur Heilung den richtigen Weg zu finden. Um Schäden zu heilen, muß man
sie kennen." Dieser unbestreitbare Satz rechtfertigt die retrospectiven Erörter¬
ungen über die Verwaltung des verflossenen Cultusministers in Preußen. Es


schon einmal eingezogen. Es schien, als ob diese Einziehung der Vorläufer
einer fügsamen Haltung des Herrenhauses in dem von der Staatsregierung
eröffneten Vertheidigungskampf gegen den Angriff der klerikalen Partei auf
das deutsche Reich und auf den Träger der Reichspolitik in der preußischen
Staatsregierung sei. Die allerneuesten Kundgebungen der Kreuzzeitung deu¬
ten aber wieder auf Kampf.

Wie diese Erwartungen vorläufig ausgehen mögen, die Thatsache bleibt
bestehen, daß die frühere konservative Partei entweder eine wesentlich andere
werden, oder daß ihre Unfähigkeit immer wieder zu Tage treten muß, eine
Stütze der Negierung zu sein. Damit tritt eine ganz neue Situation an die
national-liberale Partei heran. Diese Partei muß sich sagen, daß ihr jetzt die
Aufgabe zufällt, die Stütze der Negierung im Reich wie in Preußen zu sein.
In dieser Rolle erhält eine Partei naturgemäß besondere Rechte, aber auch
besondere Pflichten. Eine Partei, die in der Regierung ihren Geist erkennt
und demgemäß zur Vertheidigerin der Regierung wird, darf der letzteren
gegenüber auf fortgesetzte Durchführung der gemeinschaftlichen Grundsätze
dringen. Die Partei übernimmt aber mit einer Stellung, in welcher sie das
achtungsvollste Gehör erhält und beansprucht, die Pflicht, der ewigen Grund¬
lagen des Staates sowohl wie der besonderen Forderungen des gegebenen
Staates mehr wie jede andere Partei eingedenk zu sein. Eine Partei, welche
die erste Stelle im Parlament einnimmt und in der Führung der öffentlichen
Meinung sich mit der Regierung wechselseitig unterstützt, muß diejenigen Volks¬
kreise und Institutionen nothwendig in ihre Berechnung ziehen, in welchen die
traditionelle Verbindung mit dem Herrscherhaus am engsten, die monarchische
Gesinnung am lebendigsten ist. Sie muß ferner den einer früheren Periode
des Liberalismus angehörenden Irrthum verlassen, als könne man den «Staat
allein auf die wechselnde öffentliche Meinung stellen, als bedürfe er nicht con-
stanter Kräfte, welche der wechselnden Bewegung des Volksgeistes zwar nicht
unzugänglich, aber von ihr auch nicht nach Belieben zu biegen, geschweige
denn zu zerbrechen sind.

Eine erste Probe dieser neuen Stellung hatte die national-liberale Partei
bei dem Gesetze über die Einrichtung und Befugnisse der Oberrcchnungskammer
abzulegen, dessen Berathung am 15.. 16. und 17. Februar das Abgeordneten¬
haus beschäftigt hat. Wir können wenigstens den redlichen Willen consta-
tiren, diese Probe zu bestehen. Da aber die Berathung des wichtigen Ge¬
setzes mit ihren in das innere Staatsrecht Preußens tief eingreifenden Fragen
in dieser Woche noch nicht zu Ende gelangt ist, und da das Endergebniß sich
noch nicht übersehen läßt, so verschieben wir die Darstellung dieser Verhand¬
lungen auf den nächsten Bericht. ,


e —r.


Kerr von Wühler und die theologischen JacnlMen.

„Nur wenn Sitz und Natur einer Krankheit gekannt ist, darf man hoffen,
zur Heilung den richtigen Weg zu finden. Um Schäden zu heilen, muß man
sie kennen." Dieser unbestreitbare Satz rechtfertigt die retrospectiven Erörter¬
ungen über die Verwaltung des verflossenen Cultusministers in Preußen. Es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_126853/373>, abgerufen am 07.05.2024.