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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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die von Roubair und Seraing, oder fünfzig oder sechszig andere "Greves",
die wir ebenso gut hätten auswählen können.

Doch mag bemerkt werden, daß das Einschreiten mit Säbel und Chasse-
pot glücklicherweise gewöhnlich unnöthig war, und daß die meisten Arbeits¬
einstellungen, selbst die, welche beiden Theilen den größten Schaden zufügten,
ohne Blutvergießen endigten. In Deutschland ist dies unsres Wissens -- den
Arbeiteraufstand ausgenommen, der im vorigen Jahre zu Hamburg stattfand
-- stets der Fall gewesen. Dasselbe ist von England zu sagen, wo im vorigen
Jahre der größte Strike, den man dort je erlebt, derjenige der Maschinen¬
bauer von Newcastle und Gateshead, welcher der Erzwingung der neunstün¬
digen Tagesarbeit galt, und circa 9000 Arbeiter vom 27. Mai bis zum
11. October feiern ließ, ohne alle Gewaltthätigkeit verlief und schließlich durch
Nachgeben von beiden Seiten beigelegt wurde. Auch in diesen Strike mischte
sich die Internationale; aber im Bewußtsein, daß die nüchterne Art der eng¬
lischen Arbeiter, die für Marx'sche Zukunftsideen wenig Verständniß besitzt
und sich an das Praktische, das Naheliegende, das Erreichbare hält, ihren
Proclamationen schwerlich Gehör schenken würde, blieb sie auf dem Gebiete
des Verständigen.

In der französischen Welt war es anders, und wenn die meisten der
"Greves" in derselben ohne Blutvergießen endigten, so hat seit 1864 fast
keiner hier geendigt, ohne der Internationale Hunderte von neuen Anhängern
zuzuführen.




Jürers AefestigungsKunst.

Die Waffen des Angriffes und der Vertheidigung befinden sich in stetem
Wettstreite; die einen suchen die andern zu überbieten. In Zeiten unvoll¬
kommener Metallindustrie ist die Angriffswaffe im Vortheile. Man denke an
die Lanze Aedilis, welche den siebenhäutigen Schild des Gegners durchbohrt,
oder an den Korbschild des Germanen. Sobald die Eisenfabrikation eine ge¬
wisse Vollkommenheit erreicht hat, überwiegt die Vertheidigungswaffe. Der
schwere Reiter des spätern Mittelalters ist nur mit vieler Kunst zu verwunden und
sucht seinerseits am liebsten nur durch die Gewalt des Stoßes den Gegner
vom Pferde zu werfen, das heißt kampfunfähig zu machen. Indessen ist
auch er wiederum wehrlos gegen das grobe Geschütz der beginnenden Neuzeit.
Heutzutage hat man es überhaupt aufgegeben, den Kämpfer gegen die Waffe
seines Gegners anders zu schützen, als dadurch, daß man ihm gleich gefahr-


die von Roubair und Seraing, oder fünfzig oder sechszig andere „Greves",
die wir ebenso gut hätten auswählen können.

Doch mag bemerkt werden, daß das Einschreiten mit Säbel und Chasse-
pot glücklicherweise gewöhnlich unnöthig war, und daß die meisten Arbeits¬
einstellungen, selbst die, welche beiden Theilen den größten Schaden zufügten,
ohne Blutvergießen endigten. In Deutschland ist dies unsres Wissens — den
Arbeiteraufstand ausgenommen, der im vorigen Jahre zu Hamburg stattfand
— stets der Fall gewesen. Dasselbe ist von England zu sagen, wo im vorigen
Jahre der größte Strike, den man dort je erlebt, derjenige der Maschinen¬
bauer von Newcastle und Gateshead, welcher der Erzwingung der neunstün¬
digen Tagesarbeit galt, und circa 9000 Arbeiter vom 27. Mai bis zum
11. October feiern ließ, ohne alle Gewaltthätigkeit verlief und schließlich durch
Nachgeben von beiden Seiten beigelegt wurde. Auch in diesen Strike mischte
sich die Internationale; aber im Bewußtsein, daß die nüchterne Art der eng¬
lischen Arbeiter, die für Marx'sche Zukunftsideen wenig Verständniß besitzt
und sich an das Praktische, das Naheliegende, das Erreichbare hält, ihren
Proclamationen schwerlich Gehör schenken würde, blieb sie auf dem Gebiete
des Verständigen.

In der französischen Welt war es anders, und wenn die meisten der
„Greves" in derselben ohne Blutvergießen endigten, so hat seit 1864 fast
keiner hier geendigt, ohne der Internationale Hunderte von neuen Anhängern
zuzuführen.




Jürers AefestigungsKunst.

Die Waffen des Angriffes und der Vertheidigung befinden sich in stetem
Wettstreite; die einen suchen die andern zu überbieten. In Zeiten unvoll¬
kommener Metallindustrie ist die Angriffswaffe im Vortheile. Man denke an
die Lanze Aedilis, welche den siebenhäutigen Schild des Gegners durchbohrt,
oder an den Korbschild des Germanen. Sobald die Eisenfabrikation eine ge¬
wisse Vollkommenheit erreicht hat, überwiegt die Vertheidigungswaffe. Der
schwere Reiter des spätern Mittelalters ist nur mit vieler Kunst zu verwunden und
sucht seinerseits am liebsten nur durch die Gewalt des Stoßes den Gegner
vom Pferde zu werfen, das heißt kampfunfähig zu machen. Indessen ist
auch er wiederum wehrlos gegen das grobe Geschütz der beginnenden Neuzeit.
Heutzutage hat man es überhaupt aufgegeben, den Kämpfer gegen die Waffe
seines Gegners anders zu schützen, als dadurch, daß man ihm gleich gefahr-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/151>, abgerufen am 05.05.2024.