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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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liebe Waffen in die Hand giebt; und die früheren Rüstungsstücke, Helm,
Schuppenkette, Epaulette, ja selbst Brustpanzer, sind zum bloßen Schmucke ge¬
worden. Nur im Festungsdepartement dauert der Kampf zwischen Panzer¬
platte und Stahlgeschoß fort, während die bisherigen Vertheidigungsmittel
sich als ungenügend erwiesen haben. Im Allgemeinen machen die Mittel der
Vertheidigung wie die des Angriffes gleichmäßige Fortschritte. Um so auf¬
fallender ist die Erscheinung, wenn ein Erfinder, sei es von der einen oder
der andern Seite, in einem genialen Griffe weit über seine Zeit hinausreicht,
und Dinge schafft oder Pläne entwirft, die erst von späteren Jahrhunderten
gewürdigt werden. Daß solche Leute gerade unter den Deutschen zu finden
sind, und daß sie von ihren Erfindungen wenig Ehre und noch weniger
Nutzen zu ziehen pflegen, ist bekannt genug; weniger, daß unser alter Dürer
zu ihnen gerechnet werden muß.

Bei Gelegenheit des vorjährigen Jubiläums ist wohl vielfach auch eines
Buches Erwähnung gethan, welches er über die Vertheidigung der Städte
geschrieben hat. Mancher Leser wird sich dessen erinnern und damals gedacht
haben: Festungsbaukunst eines Malers! phantastisches Zeug! wenn's Dürer
nicht geschrieben hätte, krähte kein Hahn danach.

Daß indessen Dürer Maler war, hindert nicht, daß er auch Fachmann hat
sein können; überdies steht er mit militärischen Versuchen durchaus nicht allein da.
Lionardo baute Befestigungen von Florenz, Hans Gleisemeiller, ein Maler,
bietet dem Rath zu Nürnberg in der Fehde mit Albrecht Achilles eine von
ihm erfundene Kriegsmaschine an, Kunstgießer gössen Kanonenrohre und von
allen seßhaften Künstlern der Stadt hatte jeder sein Kriegsgeräth und seinen'
Posten bei der Vertheidigung der Stadt. Dürer in Sonderheit als erfindungs¬
reicher Kopf und Meister im "Reißen", Construiren und Berechnen hat mit
seiner Befestigungskunst ein Werk geliefert, welches hoch über seiner Zeit steht,
und dessen Principien erst in den letzten Jahrhunderten von den Meistern
des Festungsbaues praktisch angewendet sind. Um dies recht zu würdigen, wird
es gut fein, einen Blick rückwärts zu werfen.

Die Befestigungen des Mittelalters bestanden ursprünglich meist in ein¬
zelnen Thürmen und Burgen, deren Ruinen wir jetzt noch auf den Gipfeln
der Berge erblicken. Daß man sie dahin legte, geschah nicht in einem roman¬
tischen Drange, "um sich zu erheben aus dem niederen Getreide der Welt oder
um gleich Adlern in reiner Luft zu Hausen", auch nicht der schönen Aussicht
wegen, sondern aus dem taktischen Grunde, den Gegner zu "überhoben." Wer
den höheren Standpunkt hat, ist im Nahekampfe im Vortheile, darum baute
der Vertheidiger Thürme, und errichtete der Angreifer ebensolche aus Holz,
die er an die Mauer heranschob. Jünger sind die Umwallungen jener Städte,
welche sich an dem Fuße der Burg anlehnten oder die zu Handelszwecken in


liebe Waffen in die Hand giebt; und die früheren Rüstungsstücke, Helm,
Schuppenkette, Epaulette, ja selbst Brustpanzer, sind zum bloßen Schmucke ge¬
worden. Nur im Festungsdepartement dauert der Kampf zwischen Panzer¬
platte und Stahlgeschoß fort, während die bisherigen Vertheidigungsmittel
sich als ungenügend erwiesen haben. Im Allgemeinen machen die Mittel der
Vertheidigung wie die des Angriffes gleichmäßige Fortschritte. Um so auf¬
fallender ist die Erscheinung, wenn ein Erfinder, sei es von der einen oder
der andern Seite, in einem genialen Griffe weit über seine Zeit hinausreicht,
und Dinge schafft oder Pläne entwirft, die erst von späteren Jahrhunderten
gewürdigt werden. Daß solche Leute gerade unter den Deutschen zu finden
sind, und daß sie von ihren Erfindungen wenig Ehre und noch weniger
Nutzen zu ziehen pflegen, ist bekannt genug; weniger, daß unser alter Dürer
zu ihnen gerechnet werden muß.

Bei Gelegenheit des vorjährigen Jubiläums ist wohl vielfach auch eines
Buches Erwähnung gethan, welches er über die Vertheidigung der Städte
geschrieben hat. Mancher Leser wird sich dessen erinnern und damals gedacht
haben: Festungsbaukunst eines Malers! phantastisches Zeug! wenn's Dürer
nicht geschrieben hätte, krähte kein Hahn danach.

Daß indessen Dürer Maler war, hindert nicht, daß er auch Fachmann hat
sein können; überdies steht er mit militärischen Versuchen durchaus nicht allein da.
Lionardo baute Befestigungen von Florenz, Hans Gleisemeiller, ein Maler,
bietet dem Rath zu Nürnberg in der Fehde mit Albrecht Achilles eine von
ihm erfundene Kriegsmaschine an, Kunstgießer gössen Kanonenrohre und von
allen seßhaften Künstlern der Stadt hatte jeder sein Kriegsgeräth und seinen'
Posten bei der Vertheidigung der Stadt. Dürer in Sonderheit als erfindungs¬
reicher Kopf und Meister im „Reißen", Construiren und Berechnen hat mit
seiner Befestigungskunst ein Werk geliefert, welches hoch über seiner Zeit steht,
und dessen Principien erst in den letzten Jahrhunderten von den Meistern
des Festungsbaues praktisch angewendet sind. Um dies recht zu würdigen, wird
es gut fein, einen Blick rückwärts zu werfen.

Die Befestigungen des Mittelalters bestanden ursprünglich meist in ein¬
zelnen Thürmen und Burgen, deren Ruinen wir jetzt noch auf den Gipfeln
der Berge erblicken. Daß man sie dahin legte, geschah nicht in einem roman¬
tischen Drange, „um sich zu erheben aus dem niederen Getreide der Welt oder
um gleich Adlern in reiner Luft zu Hausen", auch nicht der schönen Aussicht
wegen, sondern aus dem taktischen Grunde, den Gegner zu „überhoben." Wer
den höheren Standpunkt hat, ist im Nahekampfe im Vortheile, darum baute
der Vertheidiger Thürme, und errichtete der Angreifer ebensolche aus Holz,
die er an die Mauer heranschob. Jünger sind die Umwallungen jener Städte,
welche sich an dem Fuße der Burg anlehnten oder die zu Handelszwecken in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/152>, abgerufen am 24.05.2024.