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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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"Das ist eine schöne Geschichte", sagt Madame Guichard, "also vor dem
Gesetze haben wir zwei dieses Kind mit einander gehabt! Wer mir das
heute früh gesagt hätte!"

Als sie sieht, daß Octave mit seiner Unterschrift sein Kind verleugnet hat,
da wird es ihr endlich klar, daß ihr Geliebter nur ein Lump ist, und sie
schickt ihn mit Schimpf und Schande fort, und ruft ihm die Schlußworte
nach (die aber nach der ersten Vorstellung gestrichen worden sind): "Du kannst
Alles behalten, was ich Dir gegeben habe." Da sie in Raymonde die Mutter
erkannt hat, so verzichtet sie natürlich auf ihre eben erworbenen gesetzlichen
Mutterrechte, und Montaiglins behalten ihr Mädchen, vor dem sich die
Männer in Acht nehmen mögen, wenn sie einmal 20 Jahr alt sein wird.
Die sagt einmal ihrem Mann vor, was sie will!

Die vortreffliche Darstellung des Stückes, die ergreifende Scene zwischen
Mann und Frau, die amüsante Madame Guichard haben dem Stück großen
Erfolg erwirkt, aber ich appellire dagegen, und sollte ich allein mit meiner
Ansicht sein.

Ich möchte Ihnen noch von einigen andern Theatern erzählen, aber
Monsieur Alphonse hat uns schon länger, als er sollte, beschäftigt, und ich
behalte mir den Rest für ein anderes Mal vor.


- y -


Unsere Universitäten.

Wie sehr unsere Universitäten der Nation ans Herz gewachsen sind, zeigt
sich in dem Interesse, das die öffentliche Meinung akademischen Vorgängen
schenkt. Oft ist in letzter Zeit die Rede von ihnen gewesen, und eine allge¬
meine Theilnahme und liebevolle Aufmerksamkeit hat ganz besonders das
Schicksal der Universität Berlin wachgerufen. Die Gegenüberstellung Ber¬
lins und Leipzigs ist ein gern behandeltes Thema geworden.

Sehr schwer ist es aber zu sagen, wo die Blüthe einer Hochschule beginnt,
wo die ersten Spuren ihres Verfalles sich zeigen. Die Ziffer studentischen
Besuches allein entscheidet die Sache nicht; es wird keinem Menschen ein¬
fallen, in jeder Veränderung der Zahl der Studirenden schon eine Veränderung
des Charakters der Universität zu sehen. Denn ganz grundlos wäre die
Annahme, daß bei der Wahl der Universität, die ein Student besucht, die
größere oder geringere Vortrefflichkeit der Universität das bestimmende Moment
abgebe. Nein, da kommen ganz andere Dinge in Betracht: Billigkeit oder


„Das ist eine schöne Geschichte", sagt Madame Guichard, „also vor dem
Gesetze haben wir zwei dieses Kind mit einander gehabt! Wer mir das
heute früh gesagt hätte!"

Als sie sieht, daß Octave mit seiner Unterschrift sein Kind verleugnet hat,
da wird es ihr endlich klar, daß ihr Geliebter nur ein Lump ist, und sie
schickt ihn mit Schimpf und Schande fort, und ruft ihm die Schlußworte
nach (die aber nach der ersten Vorstellung gestrichen worden sind): „Du kannst
Alles behalten, was ich Dir gegeben habe." Da sie in Raymonde die Mutter
erkannt hat, so verzichtet sie natürlich auf ihre eben erworbenen gesetzlichen
Mutterrechte, und Montaiglins behalten ihr Mädchen, vor dem sich die
Männer in Acht nehmen mögen, wenn sie einmal 20 Jahr alt sein wird.
Die sagt einmal ihrem Mann vor, was sie will!

Die vortreffliche Darstellung des Stückes, die ergreifende Scene zwischen
Mann und Frau, die amüsante Madame Guichard haben dem Stück großen
Erfolg erwirkt, aber ich appellire dagegen, und sollte ich allein mit meiner
Ansicht sein.

Ich möchte Ihnen noch von einigen andern Theatern erzählen, aber
Monsieur Alphonse hat uns schon länger, als er sollte, beschäftigt, und ich
behalte mir den Rest für ein anderes Mal vor.


- y -


Unsere Universitäten.

Wie sehr unsere Universitäten der Nation ans Herz gewachsen sind, zeigt
sich in dem Interesse, das die öffentliche Meinung akademischen Vorgängen
schenkt. Oft ist in letzter Zeit die Rede von ihnen gewesen, und eine allge¬
meine Theilnahme und liebevolle Aufmerksamkeit hat ganz besonders das
Schicksal der Universität Berlin wachgerufen. Die Gegenüberstellung Ber¬
lins und Leipzigs ist ein gern behandeltes Thema geworden.

Sehr schwer ist es aber zu sagen, wo die Blüthe einer Hochschule beginnt,
wo die ersten Spuren ihres Verfalles sich zeigen. Die Ziffer studentischen
Besuches allein entscheidet die Sache nicht; es wird keinem Menschen ein¬
fallen, in jeder Veränderung der Zahl der Studirenden schon eine Veränderung
des Charakters der Universität zu sehen. Denn ganz grundlos wäre die
Annahme, daß bei der Wahl der Universität, die ein Student besucht, die
größere oder geringere Vortrefflichkeit der Universität das bestimmende Moment
abgebe. Nein, da kommen ganz andere Dinge in Betracht: Billigkeit oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/115>, abgerufen am 28.04.2024.