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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Theuerung des Universitätsortes. Umfang des studentischen Wechsels, Wahr¬
scheinlichkeit ein akademisches Benesicium zu erlangen, oft auch kameradschaft¬
liche und landschaftliche Motive. Immer bilden diejenigen Studenten die
Minderheit, die allein um einen oder mehrere bestimmte Lehrer zu hören, eine
bestimmte Universität besuchen. Auf die Dauer allerdings würde die Ent¬
blößung einer Universität von wissenschaftlich leistungsfähigen Lehrern auch
den Besuch herabstimmen. Aber eine solche ist sehr selten vorgekommen und
nicht eigentlich zu besorgen.

Schon von anderer Seite ist in letzter Zeit darauf hingewiesen worden,
daß der offenbare Rückgang Berlins nicht in einer Verminderung der wissen¬
schaftlichen Stellung seiner Lehrer seine Erklärung findet. Hier sind es ganz
besonders jene äußerlichen Verhältnisse und Umstände, welche ihr Gewicht
gegen den studentischen Besuch Berlins fühlbar machen. Und ungerecht
erscheint uns deshalb die Verkleinerung der wissenschaftlichen Ehre der Berliner
Lehrer, wie sie eine Zeit lang die Berliner Nationalzeitung zu ihrer Aufgabe
gemacht zu haben schien; ungerecht aber auch der Vorwurf, den man auf die
offenkundige Thatsache gegen die preußische Unterrichtsverwaltung begründet
hat. Eine Reihe hervorragender Gelehrter sind in den letzten Jahren nach
Berlin berufen worden: nichtsdestoweniger dauert die Frequenzabnahme fort.
Dennoch ist und bleibt Berlin, heute wenigstens noch, die erste Universität
Deutschlands.

Die Gunst äußerer Verhältnisse ist in Leipzig nicht zu verkennen: sie
ist aber auch von einsichtiger Hand mit dem größten Geschick und Eifer benutzt
worden, um die sächsische Hochschule in die Höhe zu bringen. Während in
Berlin man gegen die Ungunst der Verhältnisse schwer ankämpft, hat man
in Leipzig Alles aufgeboten, die äußeren Vortheile noch zu steigern und zu
vermehren. Die sächsische Regierung hat allen Grund auf dies Werk stolz
zu sein: unablässig wacht ihr Auge über jeder Lücke im akademischen Personale,
bereitwillig öffnet sich ihre Hand, allen irgendwie berechtigten Wünschen gerecht
zu werden. Eine Reihe der hervorragendsten Gelehrten hat sie gewonnen,
die nicht allein dazu beitragen, die Zahl der Studenten zu vermehren, sondern
auch wissenschaftlichen Glanz und Ruhm der Stätte ihres Schaffens zu
erwerben. Ein scharfer Beobachter könnte allerdings noch immer auf ein¬
zelne nothwendige Ergänzungen hinweisen, -- so z. B. im Fache der Philosophie
und der Geschichte, aber nach allen bisherigen Erfahrungen unterliegt es kei¬
nem Zweifel, daß auch diese Wünsche nur angeregt zu werden brauchen, um
befriedigt zu sein.

Einen großen Einfluß auf den Gesammtzustand der deutschen Universi¬
täten hat die Gründung von Straßburg geübt, ja wenn wir uns nicht
täuschen, wird sie sich demnächst noch empfindlicher fühlbar machen. Zunächst


Theuerung des Universitätsortes. Umfang des studentischen Wechsels, Wahr¬
scheinlichkeit ein akademisches Benesicium zu erlangen, oft auch kameradschaft¬
liche und landschaftliche Motive. Immer bilden diejenigen Studenten die
Minderheit, die allein um einen oder mehrere bestimmte Lehrer zu hören, eine
bestimmte Universität besuchen. Auf die Dauer allerdings würde die Ent¬
blößung einer Universität von wissenschaftlich leistungsfähigen Lehrern auch
den Besuch herabstimmen. Aber eine solche ist sehr selten vorgekommen und
nicht eigentlich zu besorgen.

Schon von anderer Seite ist in letzter Zeit darauf hingewiesen worden,
daß der offenbare Rückgang Berlins nicht in einer Verminderung der wissen¬
schaftlichen Stellung seiner Lehrer seine Erklärung findet. Hier sind es ganz
besonders jene äußerlichen Verhältnisse und Umstände, welche ihr Gewicht
gegen den studentischen Besuch Berlins fühlbar machen. Und ungerecht
erscheint uns deshalb die Verkleinerung der wissenschaftlichen Ehre der Berliner
Lehrer, wie sie eine Zeit lang die Berliner Nationalzeitung zu ihrer Aufgabe
gemacht zu haben schien; ungerecht aber auch der Vorwurf, den man auf die
offenkundige Thatsache gegen die preußische Unterrichtsverwaltung begründet
hat. Eine Reihe hervorragender Gelehrter sind in den letzten Jahren nach
Berlin berufen worden: nichtsdestoweniger dauert die Frequenzabnahme fort.
Dennoch ist und bleibt Berlin, heute wenigstens noch, die erste Universität
Deutschlands.

Die Gunst äußerer Verhältnisse ist in Leipzig nicht zu verkennen: sie
ist aber auch von einsichtiger Hand mit dem größten Geschick und Eifer benutzt
worden, um die sächsische Hochschule in die Höhe zu bringen. Während in
Berlin man gegen die Ungunst der Verhältnisse schwer ankämpft, hat man
in Leipzig Alles aufgeboten, die äußeren Vortheile noch zu steigern und zu
vermehren. Die sächsische Regierung hat allen Grund auf dies Werk stolz
zu sein: unablässig wacht ihr Auge über jeder Lücke im akademischen Personale,
bereitwillig öffnet sich ihre Hand, allen irgendwie berechtigten Wünschen gerecht
zu werden. Eine Reihe der hervorragendsten Gelehrten hat sie gewonnen,
die nicht allein dazu beitragen, die Zahl der Studenten zu vermehren, sondern
auch wissenschaftlichen Glanz und Ruhm der Stätte ihres Schaffens zu
erwerben. Ein scharfer Beobachter könnte allerdings noch immer auf ein¬
zelne nothwendige Ergänzungen hinweisen, — so z. B. im Fache der Philosophie
und der Geschichte, aber nach allen bisherigen Erfahrungen unterliegt es kei¬
nem Zweifel, daß auch diese Wünsche nur angeregt zu werden brauchen, um
befriedigt zu sein.

Einen großen Einfluß auf den Gesammtzustand der deutschen Universi¬
täten hat die Gründung von Straßburg geübt, ja wenn wir uns nicht
täuschen, wird sie sich demnächst noch empfindlicher fühlbar machen. Zunächst


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[0116] Theuerung des Universitätsortes. Umfang des studentischen Wechsels, Wahr¬ scheinlichkeit ein akademisches Benesicium zu erlangen, oft auch kameradschaft¬ liche und landschaftliche Motive. Immer bilden diejenigen Studenten die Minderheit, die allein um einen oder mehrere bestimmte Lehrer zu hören, eine bestimmte Universität besuchen. Auf die Dauer allerdings würde die Ent¬ blößung einer Universität von wissenschaftlich leistungsfähigen Lehrern auch den Besuch herabstimmen. Aber eine solche ist sehr selten vorgekommen und nicht eigentlich zu besorgen. Schon von anderer Seite ist in letzter Zeit darauf hingewiesen worden, daß der offenbare Rückgang Berlins nicht in einer Verminderung der wissen¬ schaftlichen Stellung seiner Lehrer seine Erklärung findet. Hier sind es ganz besonders jene äußerlichen Verhältnisse und Umstände, welche ihr Gewicht gegen den studentischen Besuch Berlins fühlbar machen. Und ungerecht erscheint uns deshalb die Verkleinerung der wissenschaftlichen Ehre der Berliner Lehrer, wie sie eine Zeit lang die Berliner Nationalzeitung zu ihrer Aufgabe gemacht zu haben schien; ungerecht aber auch der Vorwurf, den man auf die offenkundige Thatsache gegen die preußische Unterrichtsverwaltung begründet hat. Eine Reihe hervorragender Gelehrter sind in den letzten Jahren nach Berlin berufen worden: nichtsdestoweniger dauert die Frequenzabnahme fort. Dennoch ist und bleibt Berlin, heute wenigstens noch, die erste Universität Deutschlands. Die Gunst äußerer Verhältnisse ist in Leipzig nicht zu verkennen: sie ist aber auch von einsichtiger Hand mit dem größten Geschick und Eifer benutzt worden, um die sächsische Hochschule in die Höhe zu bringen. Während in Berlin man gegen die Ungunst der Verhältnisse schwer ankämpft, hat man in Leipzig Alles aufgeboten, die äußeren Vortheile noch zu steigern und zu vermehren. Die sächsische Regierung hat allen Grund auf dies Werk stolz zu sein: unablässig wacht ihr Auge über jeder Lücke im akademischen Personale, bereitwillig öffnet sich ihre Hand, allen irgendwie berechtigten Wünschen gerecht zu werden. Eine Reihe der hervorragendsten Gelehrten hat sie gewonnen, die nicht allein dazu beitragen, die Zahl der Studenten zu vermehren, sondern auch wissenschaftlichen Glanz und Ruhm der Stätte ihres Schaffens zu erwerben. Ein scharfer Beobachter könnte allerdings noch immer auf ein¬ zelne nothwendige Ergänzungen hinweisen, — so z. B. im Fache der Philosophie und der Geschichte, aber nach allen bisherigen Erfahrungen unterliegt es kei¬ nem Zweifel, daß auch diese Wünsche nur angeregt zu werden brauchen, um befriedigt zu sein. Einen großen Einfluß auf den Gesammtzustand der deutschen Universi¬ täten hat die Gründung von Straßburg geübt, ja wenn wir uns nicht täuschen, wird sie sich demnächst noch empfindlicher fühlbar machen. Zunächst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/116>, abgerufen am 13.05.2024.