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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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ßannsso Aavour.
Ein Fragment aus dem handschriftlichen Nachlasse
Ludwig v. Rochali's.
(Schluß.)

Der Einfluß des Mannes, dem vorzugsweise Sardinien den Umschwung
seiner Geschicke verdankte, stieg schon in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre
so hoch, daß Abgeordnetenkammer und Senat sich demselben in allen Fällen,
wo er sein Wort einsetzte, wenn auch noch so widerwillig, fügten, und daß
ein innerlich widerstrebender Anhänger des Ministers ohne große Uebertrei¬
bung sagen konnte: wir haben eine Verfassung, ein Parlament, ein Cabinet
und das Alles heißt Cavour. Freilich fehlte es ihm nicht an erbitterten
Feinden in beiden Häusern des Parlaments und besonders im Senate; nach¬
dem er aber durch die Neuwahlen von 1853 eine entschiedene Mehrheit in der
zweiten Kammer gewonnen, verzichtete auch das Oberhaus auf seine bisherige
Opposition.

Bei sehr mittelmäßigen rednerischen Gaben, magerer Stimme, zerhackter
Satzbildung, schwunglosem Vortrag, pflegte sein Wort in zweifelhaften parla¬
mentarischen Fragen durch das Gewicht seiner Gründe d er Art den Ausschlag
zu geben, daß ein Widerspruch nicht erfolgte, daß die Kammer vielmehr
schweigend bewilligte, was der Minister, zumal unter Androhung seines Rück¬
tritts, von ihr verlangte.

Die Last der ministeriellen und parlamentarischen Geschäfte bewältigte
Cavour bei raschem Handanlegen und großer Leichtigkeit der Arbeit in einer
Weise, welche ihm hinlänglich Zeit ließ zum verwandtschaftlichen Verkehr, zur
Erfüllung gesellschaftlicher Pflichten, zum Theaterbesuch. Zugänglich für
Jedermann und fast zu jeder Zeit, wußte er sich durch die Einfachheit seiner
Haltung, durch ungezwungene und anspruchslose Formen, durch wohlwollen¬
des Entgegenkommen mit Personen aller Art von vornherein auf einen be¬
quemen Fuß zu setzen und ein Vertrauen einzuflößen, das ihm zu Statten
kam, auch wenn der Erfolg des bezeigten guten Willens schließlich
ausblieb. Mit seinen alten journalistischen Freunden vom Risorgimento
blieb er in fortwährender persönlicher Verbindung, bei welcher der kame-
radschaftliche Ton des Redaktionsbureaus mit seinen Witzen und Scherzen
seine herkömmlichen Rechte behauptete. Ein bezeichnender Zug seiner
inneren Sicherheit trat in der Offenheit hervor, mit welcher er gegen
Freund und Feind die scheinbar gewagtesten Gedanken und Pläne auszu¬
sprechen pflegte. -- Um Widersacher zu besänftigen und zu versöhnen, ge-


Grenzbotm l. 1874. 23
ßannsso Aavour.
Ein Fragment aus dem handschriftlichen Nachlasse
Ludwig v. Rochali's.
(Schluß.)

Der Einfluß des Mannes, dem vorzugsweise Sardinien den Umschwung
seiner Geschicke verdankte, stieg schon in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre
so hoch, daß Abgeordnetenkammer und Senat sich demselben in allen Fällen,
wo er sein Wort einsetzte, wenn auch noch so widerwillig, fügten, und daß
ein innerlich widerstrebender Anhänger des Ministers ohne große Uebertrei¬
bung sagen konnte: wir haben eine Verfassung, ein Parlament, ein Cabinet
und das Alles heißt Cavour. Freilich fehlte es ihm nicht an erbitterten
Feinden in beiden Häusern des Parlaments und besonders im Senate; nach¬
dem er aber durch die Neuwahlen von 1853 eine entschiedene Mehrheit in der
zweiten Kammer gewonnen, verzichtete auch das Oberhaus auf seine bisherige
Opposition.

Bei sehr mittelmäßigen rednerischen Gaben, magerer Stimme, zerhackter
Satzbildung, schwunglosem Vortrag, pflegte sein Wort in zweifelhaften parla¬
mentarischen Fragen durch das Gewicht seiner Gründe d er Art den Ausschlag
zu geben, daß ein Widerspruch nicht erfolgte, daß die Kammer vielmehr
schweigend bewilligte, was der Minister, zumal unter Androhung seines Rück¬
tritts, von ihr verlangte.

Die Last der ministeriellen und parlamentarischen Geschäfte bewältigte
Cavour bei raschem Handanlegen und großer Leichtigkeit der Arbeit in einer
Weise, welche ihm hinlänglich Zeit ließ zum verwandtschaftlichen Verkehr, zur
Erfüllung gesellschaftlicher Pflichten, zum Theaterbesuch. Zugänglich für
Jedermann und fast zu jeder Zeit, wußte er sich durch die Einfachheit seiner
Haltung, durch ungezwungene und anspruchslose Formen, durch wohlwollen¬
des Entgegenkommen mit Personen aller Art von vornherein auf einen be¬
quemen Fuß zu setzen und ein Vertrauen einzuflößen, das ihm zu Statten
kam, auch wenn der Erfolg des bezeigten guten Willens schließlich
ausblieb. Mit seinen alten journalistischen Freunden vom Risorgimento
blieb er in fortwährender persönlicher Verbindung, bei welcher der kame-
radschaftliche Ton des Redaktionsbureaus mit seinen Witzen und Scherzen
seine herkömmlichen Rechte behauptete. Ein bezeichnender Zug seiner
inneren Sicherheit trat in der Offenheit hervor, mit welcher er gegen
Freund und Feind die scheinbar gewagtesten Gedanken und Pläne auszu¬
sprechen pflegte. — Um Widersacher zu besänftigen und zu versöhnen, ge-


Grenzbotm l. 1874. 23
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[0183] ßannsso Aavour. Ein Fragment aus dem handschriftlichen Nachlasse Ludwig v. Rochali's. (Schluß.) Der Einfluß des Mannes, dem vorzugsweise Sardinien den Umschwung seiner Geschicke verdankte, stieg schon in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre so hoch, daß Abgeordnetenkammer und Senat sich demselben in allen Fällen, wo er sein Wort einsetzte, wenn auch noch so widerwillig, fügten, und daß ein innerlich widerstrebender Anhänger des Ministers ohne große Uebertrei¬ bung sagen konnte: wir haben eine Verfassung, ein Parlament, ein Cabinet und das Alles heißt Cavour. Freilich fehlte es ihm nicht an erbitterten Feinden in beiden Häusern des Parlaments und besonders im Senate; nach¬ dem er aber durch die Neuwahlen von 1853 eine entschiedene Mehrheit in der zweiten Kammer gewonnen, verzichtete auch das Oberhaus auf seine bisherige Opposition. Bei sehr mittelmäßigen rednerischen Gaben, magerer Stimme, zerhackter Satzbildung, schwunglosem Vortrag, pflegte sein Wort in zweifelhaften parla¬ mentarischen Fragen durch das Gewicht seiner Gründe d er Art den Ausschlag zu geben, daß ein Widerspruch nicht erfolgte, daß die Kammer vielmehr schweigend bewilligte, was der Minister, zumal unter Androhung seines Rück¬ tritts, von ihr verlangte. Die Last der ministeriellen und parlamentarischen Geschäfte bewältigte Cavour bei raschem Handanlegen und großer Leichtigkeit der Arbeit in einer Weise, welche ihm hinlänglich Zeit ließ zum verwandtschaftlichen Verkehr, zur Erfüllung gesellschaftlicher Pflichten, zum Theaterbesuch. Zugänglich für Jedermann und fast zu jeder Zeit, wußte er sich durch die Einfachheit seiner Haltung, durch ungezwungene und anspruchslose Formen, durch wohlwollen¬ des Entgegenkommen mit Personen aller Art von vornherein auf einen be¬ quemen Fuß zu setzen und ein Vertrauen einzuflößen, das ihm zu Statten kam, auch wenn der Erfolg des bezeigten guten Willens schließlich ausblieb. Mit seinen alten journalistischen Freunden vom Risorgimento blieb er in fortwährender persönlicher Verbindung, bei welcher der kame- radschaftliche Ton des Redaktionsbureaus mit seinen Witzen und Scherzen seine herkömmlichen Rechte behauptete. Ein bezeichnender Zug seiner inneren Sicherheit trat in der Offenheit hervor, mit welcher er gegen Freund und Feind die scheinbar gewagtesten Gedanken und Pläne auszu¬ sprechen pflegte. — Um Widersacher zu besänftigen und zu versöhnen, ge- Grenzbotm l. 1874. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/183>, abgerufen am 28.04.2024.