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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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ähnliche für die Appenninen bestimmte Truppe unter Ulloa. So lange das
französische Heer noch nicht zur Stelle war, hatten die Oesterreicher eine große
Ueberlegenheit, die jedoch ihr Feldherr, Giulay, allerdings durch äußerst
ungünstiges Wetter. Regenstrome und Überschwemmungen gehemmt, nicht zu
benutzen verstand. So vergingen Wochen über Wochen, bis die Franzosen
herankamen und den Oesterreichern mit wenigstens gleicher Waffe am 4. Juni
bei Magenta die Schlacht angeboten werden konnte.*)




pariser Ariefe.

Eine so traurige Komödie, wie die jüngste unsrer parlamentarischen Krisen
in der vorvorigen Woche, hat die an wunderlichen Peripetien bereits so reiche
Versailler Assemblee noch nicht erlebt. Vor den Ne-ujahrsferien hatte der
Premier und Minister des Innern Herzog v. Broglie für den Gesetzentwurf,
betreffend die Ernennung der Maires. die Dringlichkeit gefordert und die
Kammer demgemäß beschlossen, die Vorlage für die erste Sitzung im neuen
Jahr auf die Tagesordnung zu setzen. Am 8. Januar aber war sie anderen
Sinnes geworden; sie beschließt, den Entwurf bis zur Berathung des in Vor¬
bereitung begriffenen organischen Gemeindegesetzes zu vertagen. Der Beschluß
wurde nicht gefaßt, im Interesse einer zweckmäßigeren geschäftlichen Behand¬
lung, sondern er war in eminenten Maße ein Mißtrauensvotum gegen das
Ministerium Broglie, ein Mißtrauensvotum obendrein, das aus den Reihen
der der Regierung verbündeten Rechten hervorging, das durch die Art und
Weise, wie der Marquis v. Franclieu seinen Antrag begründete, den Charakter
eines Anklageacts gewann. Mit catonischer Selbstüberwindung giebt das
Cabinet seine Entlassung. Und wiederum 4 Tage später hat die Kammer
abermals ihre Ueberzeugung gewechselt, sie ertheilt dem Ministerium ein Ver¬
trauensvotum, dieses zieht die Entlassung großmüthig zurück und die Ver¬
sammlung tritt unmittelbar in die Berathung der eben erst auf unbestimmte
Zeit vertagten Vorlage.

Wie sind diese wiederholten Wandlungen möglich gewesen? Allerdings
war die Kammer am 8. nicht vollzählig und in der Zwischenzeit wurden die
Ministeriellen von allen Seiten, sogar aus Berlin, Bern und London zu¬
sammengetrommelt. Aber auch die Opposition hatte sich verstärkt und schwer¬
lich würde das Ministerium am 12. gesiegt haben, wenn nicht ein Theil der
Gegner vom 8. unter die Fahnen der Regierung desertirt wäre. In der
That stimmte der größere Theil der Bonapartisten und die gesammte legiti-



D. Red. ) Hier endigt Rochau's Arbeit. --

ähnliche für die Appenninen bestimmte Truppe unter Ulloa. So lange das
französische Heer noch nicht zur Stelle war, hatten die Oesterreicher eine große
Ueberlegenheit, die jedoch ihr Feldherr, Giulay, allerdings durch äußerst
ungünstiges Wetter. Regenstrome und Überschwemmungen gehemmt, nicht zu
benutzen verstand. So vergingen Wochen über Wochen, bis die Franzosen
herankamen und den Oesterreichern mit wenigstens gleicher Waffe am 4. Juni
bei Magenta die Schlacht angeboten werden konnte.*)




pariser Ariefe.

Eine so traurige Komödie, wie die jüngste unsrer parlamentarischen Krisen
in der vorvorigen Woche, hat die an wunderlichen Peripetien bereits so reiche
Versailler Assemblee noch nicht erlebt. Vor den Ne-ujahrsferien hatte der
Premier und Minister des Innern Herzog v. Broglie für den Gesetzentwurf,
betreffend die Ernennung der Maires. die Dringlichkeit gefordert und die
Kammer demgemäß beschlossen, die Vorlage für die erste Sitzung im neuen
Jahr auf die Tagesordnung zu setzen. Am 8. Januar aber war sie anderen
Sinnes geworden; sie beschließt, den Entwurf bis zur Berathung des in Vor¬
bereitung begriffenen organischen Gemeindegesetzes zu vertagen. Der Beschluß
wurde nicht gefaßt, im Interesse einer zweckmäßigeren geschäftlichen Behand¬
lung, sondern er war in eminenten Maße ein Mißtrauensvotum gegen das
Ministerium Broglie, ein Mißtrauensvotum obendrein, das aus den Reihen
der der Regierung verbündeten Rechten hervorging, das durch die Art und
Weise, wie der Marquis v. Franclieu seinen Antrag begründete, den Charakter
eines Anklageacts gewann. Mit catonischer Selbstüberwindung giebt das
Cabinet seine Entlassung. Und wiederum 4 Tage später hat die Kammer
abermals ihre Ueberzeugung gewechselt, sie ertheilt dem Ministerium ein Ver¬
trauensvotum, dieses zieht die Entlassung großmüthig zurück und die Ver¬
sammlung tritt unmittelbar in die Berathung der eben erst auf unbestimmte
Zeit vertagten Vorlage.

Wie sind diese wiederholten Wandlungen möglich gewesen? Allerdings
war die Kammer am 8. nicht vollzählig und in der Zwischenzeit wurden die
Ministeriellen von allen Seiten, sogar aus Berlin, Bern und London zu¬
sammengetrommelt. Aber auch die Opposition hatte sich verstärkt und schwer¬
lich würde das Ministerium am 12. gesiegt haben, wenn nicht ein Theil der
Gegner vom 8. unter die Fahnen der Regierung desertirt wäre. In der
That stimmte der größere Theil der Bonapartisten und die gesammte legiti-



D. Red. ) Hier endigt Rochau's Arbeit. —
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/196>, abgerufen am 28.04.2024.