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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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tragsmäßigen Neutralität zu bestimmen und trat mit Garibaldi in persönliche
Unterhandlung wegen der Mittel zur Vorbereitung eines Freischärlerkrieges
im Rücken und auf den Seiten des feindlichen Heeres, von welchem der Kriegs¬
minister nach Art der militärischen Fachmänner nicht reden hören wollte.
Die Höfe jener beiden Staaten wiesen die Vorschläge Cavour's kurzer Hand
zurück, mit Garibaldi dagegen kam er -leicht zum vollständigen und wirksamen
Einverständniß. Die Nationalgarde wurde zum Behufe des Festungsdienstes
verstärkt und umgeformt, und eine Anleihe von 50 Millionen zur Vervoll¬
ständigung der Rüstungen abgeschlossen, nicht ohne Einsprache einiger savoyi-
schen Stimmen, die in richtiger Vorahnung des ihrem Lande bevorstehenden
Schicksals dasselbe nicht auch noch mit eigenem Blute und Gelde bezahlen
wollten.

Am Neujahrstage 1859 sprach Napoleon gegen den österreichischen Ge¬
sandten in Paris Herrn v. Hübner das Wort, welches allgemein als die
Kriegserklärung aufgenommen wurde, als die es wahrscheinlich noch keines¬
wegs gemeint war. Die Vorbereitungen auf das in Turin so lange ersehnte
Ereigniß waren noch so weit im Rückstände, daß sie jetzt mit Dampfkraft
vollendet werden mußten. Es bedürfte der riesenhaften Arbeitskraft Cavour's
in ihrem ganzen Umfange, um den Aufgaben seiner Stellung zu genügen
und gleichwohl fand er den Muth auch noch, das Kriegsministerium mit der,
Fülle seiner Verwaltungsgeschäfte aus den Händen Lamarmora's zu überneh¬
men, als dieser mit dem Könige an die Spitze des Heeres trat.

Als ein Unterpfand des französisch-italienischen Bündnisses wurde am
30. Januar die Vermählung des Prinzen Napoleon mit der Tochter Victor
Emanuel's gefeiert. Aber noch im letzten Augenblicke gerieth der gemeinschaft¬
liche Kriegsplan in Gefahr durchkreuzt zu werden durch einen von Rußland
ausgegangenen und von England lebhaft unterstützten Kongreßvorschlag, den
Cavour, auf gebieterisches Geheiß von Paris aus, mit Verzweiflung im Herzen
annehmen mußte. -- Diese Friedens-Gefahr ging vorüber, Dank der leiden¬
schaftlichen Ungeduld, die endlich im Wiener Cabinete die Oberhand gewonnen
und dasselbe gegen Ende des April veranlaßte, der sardinischen Regierung ein
unannehmbares Ultimatum zu stellen, durch welches Oesterreich in den Augen
aller Welt die Verantwortlichkeit für die Vereitelung weiterer Vermittlungs¬
versuche übernahm und nach dessen Ablehnung es überdies durch Überschrei¬
tung des Tessin am 29. April Feindseligkeiten eröffnete.

Sardinien stellte beinahe 80000 Mann eigner Truppen unter der persönlichen
Führung Victor Emanuel's ins Feld, dem Cavour überdies die dictatorische
Vollgewalt für die Kriegsdauer durch das Parlament hatte übertragen lassen,
und unter dem regelmäßigen Heere zwei bis dreitausend Freischcirler, "Alpen-
jäger", größtentheils Flüchtlinge aus der Lombardei, unter Garibaldi, und eine


tragsmäßigen Neutralität zu bestimmen und trat mit Garibaldi in persönliche
Unterhandlung wegen der Mittel zur Vorbereitung eines Freischärlerkrieges
im Rücken und auf den Seiten des feindlichen Heeres, von welchem der Kriegs¬
minister nach Art der militärischen Fachmänner nicht reden hören wollte.
Die Höfe jener beiden Staaten wiesen die Vorschläge Cavour's kurzer Hand
zurück, mit Garibaldi dagegen kam er -leicht zum vollständigen und wirksamen
Einverständniß. Die Nationalgarde wurde zum Behufe des Festungsdienstes
verstärkt und umgeformt, und eine Anleihe von 50 Millionen zur Vervoll¬
ständigung der Rüstungen abgeschlossen, nicht ohne Einsprache einiger savoyi-
schen Stimmen, die in richtiger Vorahnung des ihrem Lande bevorstehenden
Schicksals dasselbe nicht auch noch mit eigenem Blute und Gelde bezahlen
wollten.

Am Neujahrstage 1859 sprach Napoleon gegen den österreichischen Ge¬
sandten in Paris Herrn v. Hübner das Wort, welches allgemein als die
Kriegserklärung aufgenommen wurde, als die es wahrscheinlich noch keines¬
wegs gemeint war. Die Vorbereitungen auf das in Turin so lange ersehnte
Ereigniß waren noch so weit im Rückstände, daß sie jetzt mit Dampfkraft
vollendet werden mußten. Es bedürfte der riesenhaften Arbeitskraft Cavour's
in ihrem ganzen Umfange, um den Aufgaben seiner Stellung zu genügen
und gleichwohl fand er den Muth auch noch, das Kriegsministerium mit der,
Fülle seiner Verwaltungsgeschäfte aus den Händen Lamarmora's zu überneh¬
men, als dieser mit dem Könige an die Spitze des Heeres trat.

Als ein Unterpfand des französisch-italienischen Bündnisses wurde am
30. Januar die Vermählung des Prinzen Napoleon mit der Tochter Victor
Emanuel's gefeiert. Aber noch im letzten Augenblicke gerieth der gemeinschaft¬
liche Kriegsplan in Gefahr durchkreuzt zu werden durch einen von Rußland
ausgegangenen und von England lebhaft unterstützten Kongreßvorschlag, den
Cavour, auf gebieterisches Geheiß von Paris aus, mit Verzweiflung im Herzen
annehmen mußte. — Diese Friedens-Gefahr ging vorüber, Dank der leiden¬
schaftlichen Ungeduld, die endlich im Wiener Cabinete die Oberhand gewonnen
und dasselbe gegen Ende des April veranlaßte, der sardinischen Regierung ein
unannehmbares Ultimatum zu stellen, durch welches Oesterreich in den Augen
aller Welt die Verantwortlichkeit für die Vereitelung weiterer Vermittlungs¬
versuche übernahm und nach dessen Ablehnung es überdies durch Überschrei¬
tung des Tessin am 29. April Feindseligkeiten eröffnete.

Sardinien stellte beinahe 80000 Mann eigner Truppen unter der persönlichen
Führung Victor Emanuel's ins Feld, dem Cavour überdies die dictatorische
Vollgewalt für die Kriegsdauer durch das Parlament hatte übertragen lassen,
und unter dem regelmäßigen Heere zwei bis dreitausend Freischcirler, „Alpen-
jäger", größtentheils Flüchtlinge aus der Lombardei, unter Garibaldi, und eine


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[0195] tragsmäßigen Neutralität zu bestimmen und trat mit Garibaldi in persönliche Unterhandlung wegen der Mittel zur Vorbereitung eines Freischärlerkrieges im Rücken und auf den Seiten des feindlichen Heeres, von welchem der Kriegs¬ minister nach Art der militärischen Fachmänner nicht reden hören wollte. Die Höfe jener beiden Staaten wiesen die Vorschläge Cavour's kurzer Hand zurück, mit Garibaldi dagegen kam er -leicht zum vollständigen und wirksamen Einverständniß. Die Nationalgarde wurde zum Behufe des Festungsdienstes verstärkt und umgeformt, und eine Anleihe von 50 Millionen zur Vervoll¬ ständigung der Rüstungen abgeschlossen, nicht ohne Einsprache einiger savoyi- schen Stimmen, die in richtiger Vorahnung des ihrem Lande bevorstehenden Schicksals dasselbe nicht auch noch mit eigenem Blute und Gelde bezahlen wollten. Am Neujahrstage 1859 sprach Napoleon gegen den österreichischen Ge¬ sandten in Paris Herrn v. Hübner das Wort, welches allgemein als die Kriegserklärung aufgenommen wurde, als die es wahrscheinlich noch keines¬ wegs gemeint war. Die Vorbereitungen auf das in Turin so lange ersehnte Ereigniß waren noch so weit im Rückstände, daß sie jetzt mit Dampfkraft vollendet werden mußten. Es bedürfte der riesenhaften Arbeitskraft Cavour's in ihrem ganzen Umfange, um den Aufgaben seiner Stellung zu genügen und gleichwohl fand er den Muth auch noch, das Kriegsministerium mit der, Fülle seiner Verwaltungsgeschäfte aus den Händen Lamarmora's zu überneh¬ men, als dieser mit dem Könige an die Spitze des Heeres trat. Als ein Unterpfand des französisch-italienischen Bündnisses wurde am 30. Januar die Vermählung des Prinzen Napoleon mit der Tochter Victor Emanuel's gefeiert. Aber noch im letzten Augenblicke gerieth der gemeinschaft¬ liche Kriegsplan in Gefahr durchkreuzt zu werden durch einen von Rußland ausgegangenen und von England lebhaft unterstützten Kongreßvorschlag, den Cavour, auf gebieterisches Geheiß von Paris aus, mit Verzweiflung im Herzen annehmen mußte. — Diese Friedens-Gefahr ging vorüber, Dank der leiden¬ schaftlichen Ungeduld, die endlich im Wiener Cabinete die Oberhand gewonnen und dasselbe gegen Ende des April veranlaßte, der sardinischen Regierung ein unannehmbares Ultimatum zu stellen, durch welches Oesterreich in den Augen aller Welt die Verantwortlichkeit für die Vereitelung weiterer Vermittlungs¬ versuche übernahm und nach dessen Ablehnung es überdies durch Überschrei¬ tung des Tessin am 29. April Feindseligkeiten eröffnete. Sardinien stellte beinahe 80000 Mann eigner Truppen unter der persönlichen Führung Victor Emanuel's ins Feld, dem Cavour überdies die dictatorische Vollgewalt für die Kriegsdauer durch das Parlament hatte übertragen lassen, und unter dem regelmäßigen Heere zwei bis dreitausend Freischcirler, „Alpen- jäger", größtentheils Flüchtlinge aus der Lombardei, unter Garibaldi, und eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/195>, abgerufen am 12.05.2024.