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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Dom deutschen Ueichstag.

Der Reichstag, am 5. Februar zusammengetreten, hat sich bei dem ersten
Zusammentritt nach einer Neuwahl zunächst mit der Wahlprüfung zu be¬
schäftigen, welche bekanntlich in Abtheilungen vorgenommen wird, die mittelst
des Looses gebildet sind. Nur beanstandete Wahlen werden vor den Reichs¬
tag selbst gebracht. Die Frage, ob das Wahlprüfungsgeschäft in späteren
Zeiten besser einem Gerichtshof zu übertragen ist, wird sich immer wieder
erheben. Bei dem Wahlprüfungsverfahren kommt es vor Allem darauf an,
die beständigen und richtigen Grundsätze erst zu ermitteln, und es ist doch
sehr zweifelhaft, ob dies je einer parlamentarischen Versammlung gelingen
wird, deren Mitglieder nicht durch technische Meinungsverschiedenheiten, son¬
dern durch politische Gegensätze getrennt sind, wenn die Parteien als Richter
in eigner Sache auftreten sollen. Jede ultramontane und jede socialdemo¬
kratische Wahl, die in Folge eines constatirten Druckes auf die Wähler für
ungültig erklärt wird, bringt gleichwohl die Majorität in den Verdacht der
Parteilichkeit gegen feindliche Minoritäten, und die Frage der Wahlbeein¬
flussung, ob sie gänzlich verboten sein soll, was eine Thorheit wäre, oder wo
die Grenze des Erlaubten als überschritten anzusehen ist, bleibt eine so schwere,
daß die riesige grundsätzliche Entscheidung in der Hitze politischer Parteigegen¬
sätze sicherlich niemals gefunden werden wird. Sie muß vor allem nach ihrer
inneren Logik untersucht werden, wozu bisher noch nicht einmal die öffentliche
Meinung in ihren Organen, geschweige denn die geschäftsüberhäuften Parla¬
mente Zeit gefunden haben. Man kann indeß voraussehen, daß die dies¬
maligen Wahlprüfuugen des Reichstags der Frage neuen Stoff und neue
Gesichtspunkte zuführen werden.

Wir wenden uns nun zu der Thronrede. Daß eine Regierung der
großen Thaten sich der großen Worte enthält und enthalten darf, gehört zu
ihren besten Vorrechten, deren Benutzung wahrlich kein Mann von Geschmack
einer solchen Regierung verübeln sollte. Die Rede zählt die Vorlagen aus,
die man erwartete, Reichsmilitärgesetz, Preßgesetz, die Novelle zur Gewerbe¬
ordnung und einige technische Vorlagen. Mehr hat die Regierung ja in
ruhigen Zeitumständen nicht zu thun, als die wichtigen Arbeiten namhaft
zu machen, die sie vorbereitet hat. Aber sind die Zeitumstände ruhig? Das
war eine Frage, von der man in den letzten Tagen den Aufschluß durch die
Thronrede begierig erwartete. Denn man konnte nachgerade nicht mehr


Dom deutschen Ueichstag.

Der Reichstag, am 5. Februar zusammengetreten, hat sich bei dem ersten
Zusammentritt nach einer Neuwahl zunächst mit der Wahlprüfung zu be¬
schäftigen, welche bekanntlich in Abtheilungen vorgenommen wird, die mittelst
des Looses gebildet sind. Nur beanstandete Wahlen werden vor den Reichs¬
tag selbst gebracht. Die Frage, ob das Wahlprüfungsgeschäft in späteren
Zeiten besser einem Gerichtshof zu übertragen ist, wird sich immer wieder
erheben. Bei dem Wahlprüfungsverfahren kommt es vor Allem darauf an,
die beständigen und richtigen Grundsätze erst zu ermitteln, und es ist doch
sehr zweifelhaft, ob dies je einer parlamentarischen Versammlung gelingen
wird, deren Mitglieder nicht durch technische Meinungsverschiedenheiten, son¬
dern durch politische Gegensätze getrennt sind, wenn die Parteien als Richter
in eigner Sache auftreten sollen. Jede ultramontane und jede socialdemo¬
kratische Wahl, die in Folge eines constatirten Druckes auf die Wähler für
ungültig erklärt wird, bringt gleichwohl die Majorität in den Verdacht der
Parteilichkeit gegen feindliche Minoritäten, und die Frage der Wahlbeein¬
flussung, ob sie gänzlich verboten sein soll, was eine Thorheit wäre, oder wo
die Grenze des Erlaubten als überschritten anzusehen ist, bleibt eine so schwere,
daß die riesige grundsätzliche Entscheidung in der Hitze politischer Parteigegen¬
sätze sicherlich niemals gefunden werden wird. Sie muß vor allem nach ihrer
inneren Logik untersucht werden, wozu bisher noch nicht einmal die öffentliche
Meinung in ihren Organen, geschweige denn die geschäftsüberhäuften Parla¬
mente Zeit gefunden haben. Man kann indeß voraussehen, daß die dies¬
maligen Wahlprüfuugen des Reichstags der Frage neuen Stoff und neue
Gesichtspunkte zuführen werden.

Wir wenden uns nun zu der Thronrede. Daß eine Regierung der
großen Thaten sich der großen Worte enthält und enthalten darf, gehört zu
ihren besten Vorrechten, deren Benutzung wahrlich kein Mann von Geschmack
einer solchen Regierung verübeln sollte. Die Rede zählt die Vorlagen aus,
die man erwartete, Reichsmilitärgesetz, Preßgesetz, die Novelle zur Gewerbe¬
ordnung und einige technische Vorlagen. Mehr hat die Regierung ja in
ruhigen Zeitumständen nicht zu thun, als die wichtigen Arbeiten namhaft
zu machen, die sie vorbereitet hat. Aber sind die Zeitumstände ruhig? Das
war eine Frage, von der man in den letzten Tagen den Aufschluß durch die
Thronrede begierig erwartete. Denn man konnte nachgerade nicht mehr


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[0284] Dom deutschen Ueichstag. Der Reichstag, am 5. Februar zusammengetreten, hat sich bei dem ersten Zusammentritt nach einer Neuwahl zunächst mit der Wahlprüfung zu be¬ schäftigen, welche bekanntlich in Abtheilungen vorgenommen wird, die mittelst des Looses gebildet sind. Nur beanstandete Wahlen werden vor den Reichs¬ tag selbst gebracht. Die Frage, ob das Wahlprüfungsgeschäft in späteren Zeiten besser einem Gerichtshof zu übertragen ist, wird sich immer wieder erheben. Bei dem Wahlprüfungsverfahren kommt es vor Allem darauf an, die beständigen und richtigen Grundsätze erst zu ermitteln, und es ist doch sehr zweifelhaft, ob dies je einer parlamentarischen Versammlung gelingen wird, deren Mitglieder nicht durch technische Meinungsverschiedenheiten, son¬ dern durch politische Gegensätze getrennt sind, wenn die Parteien als Richter in eigner Sache auftreten sollen. Jede ultramontane und jede socialdemo¬ kratische Wahl, die in Folge eines constatirten Druckes auf die Wähler für ungültig erklärt wird, bringt gleichwohl die Majorität in den Verdacht der Parteilichkeit gegen feindliche Minoritäten, und die Frage der Wahlbeein¬ flussung, ob sie gänzlich verboten sein soll, was eine Thorheit wäre, oder wo die Grenze des Erlaubten als überschritten anzusehen ist, bleibt eine so schwere, daß die riesige grundsätzliche Entscheidung in der Hitze politischer Parteigegen¬ sätze sicherlich niemals gefunden werden wird. Sie muß vor allem nach ihrer inneren Logik untersucht werden, wozu bisher noch nicht einmal die öffentliche Meinung in ihren Organen, geschweige denn die geschäftsüberhäuften Parla¬ mente Zeit gefunden haben. Man kann indeß voraussehen, daß die dies¬ maligen Wahlprüfuugen des Reichstags der Frage neuen Stoff und neue Gesichtspunkte zuführen werden. Wir wenden uns nun zu der Thronrede. Daß eine Regierung der großen Thaten sich der großen Worte enthält und enthalten darf, gehört zu ihren besten Vorrechten, deren Benutzung wahrlich kein Mann von Geschmack einer solchen Regierung verübeln sollte. Die Rede zählt die Vorlagen aus, die man erwartete, Reichsmilitärgesetz, Preßgesetz, die Novelle zur Gewerbe¬ ordnung und einige technische Vorlagen. Mehr hat die Regierung ja in ruhigen Zeitumständen nicht zu thun, als die wichtigen Arbeiten namhaft zu machen, die sie vorbereitet hat. Aber sind die Zeitumstände ruhig? Das war eine Frage, von der man in den letzten Tagen den Aufschluß durch die Thronrede begierig erwartete. Denn man konnte nachgerade nicht mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/284>, abgerufen am 28.04.2024.