Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

keinen Artikel der Reichsverfassung gäbe, welcher das deutsche Heer im Krieg
und Frieden unter den Befehl des Kaisers stellt. Aber die Linke jubelte.
Es war der Ausdruck ihres Herzenswunsches.

Wohl oder übel muß unsere Berichterstattung die erste Berathung der
Novelle zur Gewerbeordnung wie des Neichspreßgesetzes aus Rücksichten des
Raumes übergehen. Wir müssen bei Besprechung der zweiten Berathung
dieser Materien nachholen, was an bedeutenden Gesichtspunkten schon bei der
v--r. ersten Berathung zum Borschein gekommen.




Ane satirische Jubelschrist über das Frankfurter
Parlament.

Viele erhebende und schmerzliche, große und kleine Erinnerungen an das
Jahr 1848 sind an den fünfundzwanzigjährigen Gedenktagen des "tollen
Jahrs" im vorigen Jahre uns nahe geführt worden in der Presse. So lange
unsere hervorragendsten Historiker zaudern, die bedeutsamste Regung des deutschen
Nationalgeistes in dem halben Jahrhundert von 1815 bis 186K in anderer Weise,
als vom Katheder herab zu behandeln, dürfen wir Laien wohl jeden ernsten Ver¬
such, uns Nachlebende über die Ziele, Parteien und Führer des großen Jahres
aufzuklären, willkommen heißen. Die Tage und Monate aber, die wir jetzt durch¬
leben, gemahnen uns vornehmlich an den Niedergang der nationalen Hoff¬
nungen, der vor fünfundzwanzig Jahren die Herzen aller Patnoten Deutsch¬
lands in allen Parteien mit gleich großem Schmerz erfüllte. Lange und für
immer vorüber waren damals die Tage, wo Deutschland gläubig und zukunfts¬
sicher auf die Beschlüsse der Paulskirche lauschte. In Frankfurt selbst war
die Zuversicht auf die eigene Kraft und Souveränetät längst dahin, auch bei
der Linken. Aengstlich und düstergebundenen Sinnes harrte man den entschei¬
denden Entschlüssen der Kabinette von Berlin und Wien entgegen. Lebhafter
und verdrossener als je zuvor häufte man die Anklage und die Verantwort¬
lichkeit für das Scheitern des nationalen Werkes auf die Häupter der Gegner.
Da fiel plötzlich in diese trübselige Stimmung ein heiterer Lichtstrahl, so
freudig und unwiderstehlich, wie den Helden Homers die Gedanken erschie¬
nen, die aus dem Haupte der Athene hervorleuchteten. Die ernsten, beson¬
nenen Männer der Casinopartei, die im Englischen Hofe tagten, vergaßen
völlig die Berathung einer hochwichtigen Depesche, die soeben aus Wien ein¬
getroffen war, als ein Mitglied der Fraction einige der "Novae episto-
jg.ö odseuroru in virorum" vorlas, die ihm soeben -- "als Manuscrtpt
gedruckt", würden wir heute sagen -- in einem von nur 38 Exemplaren der
ersten Auflage zugegangen waren. Dieser Beifall wuchs in den nächsten
Tagen schon' in überwältigenden Progressionen. Schon am 19, Februar
schrieb August Lewald an die Augsburger Zeitung: "Um so merkwürdiger
und überraschender ist die Erscheinung, daß ein harmloser Scherz im Stande


keinen Artikel der Reichsverfassung gäbe, welcher das deutsche Heer im Krieg
und Frieden unter den Befehl des Kaisers stellt. Aber die Linke jubelte.
Es war der Ausdruck ihres Herzenswunsches.

Wohl oder übel muß unsere Berichterstattung die erste Berathung der
Novelle zur Gewerbeordnung wie des Neichspreßgesetzes aus Rücksichten des
Raumes übergehen. Wir müssen bei Besprechung der zweiten Berathung
dieser Materien nachholen, was an bedeutenden Gesichtspunkten schon bei der
v—r. ersten Berathung zum Borschein gekommen.




Ane satirische Jubelschrist über das Frankfurter
Parlament.

Viele erhebende und schmerzliche, große und kleine Erinnerungen an das
Jahr 1848 sind an den fünfundzwanzigjährigen Gedenktagen des „tollen
Jahrs" im vorigen Jahre uns nahe geführt worden in der Presse. So lange
unsere hervorragendsten Historiker zaudern, die bedeutsamste Regung des deutschen
Nationalgeistes in dem halben Jahrhundert von 1815 bis 186K in anderer Weise,
als vom Katheder herab zu behandeln, dürfen wir Laien wohl jeden ernsten Ver¬
such, uns Nachlebende über die Ziele, Parteien und Führer des großen Jahres
aufzuklären, willkommen heißen. Die Tage und Monate aber, die wir jetzt durch¬
leben, gemahnen uns vornehmlich an den Niedergang der nationalen Hoff¬
nungen, der vor fünfundzwanzig Jahren die Herzen aller Patnoten Deutsch¬
lands in allen Parteien mit gleich großem Schmerz erfüllte. Lange und für
immer vorüber waren damals die Tage, wo Deutschland gläubig und zukunfts¬
sicher auf die Beschlüsse der Paulskirche lauschte. In Frankfurt selbst war
die Zuversicht auf die eigene Kraft und Souveränetät längst dahin, auch bei
der Linken. Aengstlich und düstergebundenen Sinnes harrte man den entschei¬
denden Entschlüssen der Kabinette von Berlin und Wien entgegen. Lebhafter
und verdrossener als je zuvor häufte man die Anklage und die Verantwort¬
lichkeit für das Scheitern des nationalen Werkes auf die Häupter der Gegner.
Da fiel plötzlich in diese trübselige Stimmung ein heiterer Lichtstrahl, so
freudig und unwiderstehlich, wie den Helden Homers die Gedanken erschie¬
nen, die aus dem Haupte der Athene hervorleuchteten. Die ernsten, beson¬
nenen Männer der Casinopartei, die im Englischen Hofe tagten, vergaßen
völlig die Berathung einer hochwichtigen Depesche, die soeben aus Wien ein¬
getroffen war, als ein Mitglied der Fraction einige der „Novae episto-
jg.ö odseuroru in virorum" vorlas, die ihm soeben — „als Manuscrtpt
gedruckt", würden wir heute sagen — in einem von nur 38 Exemplaren der
ersten Auflage zugegangen waren. Dieser Beifall wuchs in den nächsten
Tagen schon' in überwältigenden Progressionen. Schon am 19, Februar
schrieb August Lewald an die Augsburger Zeitung: „Um so merkwürdiger
und überraschender ist die Erscheinung, daß ein harmloser Scherz im Stande


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0364" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/131008"/>
          <p xml:id="ID_1070" prev="#ID_1069"> keinen Artikel der Reichsverfassung gäbe, welcher das deutsche Heer im Krieg<lb/>
und Frieden unter den Befehl des Kaisers stellt. Aber die Linke jubelte.<lb/>
Es war der Ausdruck ihres Herzenswunsches.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1071"> Wohl oder übel muß unsere Berichterstattung die erste Berathung der<lb/>
Novelle zur Gewerbeordnung wie des Neichspreßgesetzes aus Rücksichten des<lb/>
Raumes übergehen. Wir müssen bei Besprechung der zweiten Berathung<lb/>
dieser Materien nachholen, was an bedeutenden Gesichtspunkten schon bei der<lb/><note type="byline"> v&#x2014;r.</note> ersten Berathung zum Borschein gekommen. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ane satirische Jubelschrist über das Frankfurter<lb/>
Parlament.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1072" next="#ID_1073"> Viele erhebende und schmerzliche, große und kleine Erinnerungen an das<lb/>
Jahr 1848 sind an den fünfundzwanzigjährigen Gedenktagen des &#x201E;tollen<lb/>
Jahrs" im vorigen Jahre uns nahe geführt worden in der Presse. So lange<lb/>
unsere hervorragendsten Historiker zaudern, die bedeutsamste Regung des deutschen<lb/>
Nationalgeistes in dem halben Jahrhundert von 1815 bis 186K in anderer Weise,<lb/>
als vom Katheder herab zu behandeln, dürfen wir Laien wohl jeden ernsten Ver¬<lb/>
such, uns Nachlebende über die Ziele, Parteien und Führer des großen Jahres<lb/>
aufzuklären, willkommen heißen. Die Tage und Monate aber, die wir jetzt durch¬<lb/>
leben, gemahnen uns vornehmlich an den Niedergang der nationalen Hoff¬<lb/>
nungen, der vor fünfundzwanzig Jahren die Herzen aller Patnoten Deutsch¬<lb/>
lands in allen Parteien mit gleich großem Schmerz erfüllte. Lange und für<lb/>
immer vorüber waren damals die Tage, wo Deutschland gläubig und zukunfts¬<lb/>
sicher auf die Beschlüsse der Paulskirche lauschte. In Frankfurt selbst war<lb/>
die Zuversicht auf die eigene Kraft und Souveränetät längst dahin, auch bei<lb/>
der Linken. Aengstlich und düstergebundenen Sinnes harrte man den entschei¬<lb/>
denden Entschlüssen der Kabinette von Berlin und Wien entgegen. Lebhafter<lb/>
und verdrossener als je zuvor häufte man die Anklage und die Verantwort¬<lb/>
lichkeit für das Scheitern des nationalen Werkes auf die Häupter der Gegner.<lb/>
Da fiel plötzlich in diese trübselige Stimmung ein heiterer Lichtstrahl, so<lb/>
freudig und unwiderstehlich, wie den Helden Homers die Gedanken erschie¬<lb/>
nen, die aus dem Haupte der Athene hervorleuchteten. Die ernsten, beson¬<lb/>
nenen Männer der Casinopartei, die im Englischen Hofe tagten, vergaßen<lb/>
völlig die Berathung einer hochwichtigen Depesche, die soeben aus Wien ein¬<lb/>
getroffen war, als ein Mitglied der Fraction einige der &#x201E;Novae episto-<lb/>
jg.ö odseuroru in virorum" vorlas, die ihm soeben &#x2014; &#x201E;als Manuscrtpt<lb/>
gedruckt", würden wir heute sagen &#x2014; in einem von nur 38 Exemplaren der<lb/>
ersten Auflage zugegangen waren. Dieser Beifall wuchs in den nächsten<lb/>
Tagen schon' in überwältigenden Progressionen. Schon am 19, Februar<lb/>
schrieb August Lewald an die Augsburger Zeitung: &#x201E;Um so merkwürdiger<lb/>
und überraschender ist die Erscheinung, daß ein harmloser Scherz im Stande</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0364] keinen Artikel der Reichsverfassung gäbe, welcher das deutsche Heer im Krieg und Frieden unter den Befehl des Kaisers stellt. Aber die Linke jubelte. Es war der Ausdruck ihres Herzenswunsches. Wohl oder übel muß unsere Berichterstattung die erste Berathung der Novelle zur Gewerbeordnung wie des Neichspreßgesetzes aus Rücksichten des Raumes übergehen. Wir müssen bei Besprechung der zweiten Berathung dieser Materien nachholen, was an bedeutenden Gesichtspunkten schon bei der v—r. ersten Berathung zum Borschein gekommen. Ane satirische Jubelschrist über das Frankfurter Parlament. Viele erhebende und schmerzliche, große und kleine Erinnerungen an das Jahr 1848 sind an den fünfundzwanzigjährigen Gedenktagen des „tollen Jahrs" im vorigen Jahre uns nahe geführt worden in der Presse. So lange unsere hervorragendsten Historiker zaudern, die bedeutsamste Regung des deutschen Nationalgeistes in dem halben Jahrhundert von 1815 bis 186K in anderer Weise, als vom Katheder herab zu behandeln, dürfen wir Laien wohl jeden ernsten Ver¬ such, uns Nachlebende über die Ziele, Parteien und Führer des großen Jahres aufzuklären, willkommen heißen. Die Tage und Monate aber, die wir jetzt durch¬ leben, gemahnen uns vornehmlich an den Niedergang der nationalen Hoff¬ nungen, der vor fünfundzwanzig Jahren die Herzen aller Patnoten Deutsch¬ lands in allen Parteien mit gleich großem Schmerz erfüllte. Lange und für immer vorüber waren damals die Tage, wo Deutschland gläubig und zukunfts¬ sicher auf die Beschlüsse der Paulskirche lauschte. In Frankfurt selbst war die Zuversicht auf die eigene Kraft und Souveränetät längst dahin, auch bei der Linken. Aengstlich und düstergebundenen Sinnes harrte man den entschei¬ denden Entschlüssen der Kabinette von Berlin und Wien entgegen. Lebhafter und verdrossener als je zuvor häufte man die Anklage und die Verantwort¬ lichkeit für das Scheitern des nationalen Werkes auf die Häupter der Gegner. Da fiel plötzlich in diese trübselige Stimmung ein heiterer Lichtstrahl, so freudig und unwiderstehlich, wie den Helden Homers die Gedanken erschie¬ nen, die aus dem Haupte der Athene hervorleuchteten. Die ernsten, beson¬ nenen Männer der Casinopartei, die im Englischen Hofe tagten, vergaßen völlig die Berathung einer hochwichtigen Depesche, die soeben aus Wien ein¬ getroffen war, als ein Mitglied der Fraction einige der „Novae episto- jg.ö odseuroru in virorum" vorlas, die ihm soeben — „als Manuscrtpt gedruckt", würden wir heute sagen — in einem von nur 38 Exemplaren der ersten Auflage zugegangen waren. Dieser Beifall wuchs in den nächsten Tagen schon' in überwältigenden Progressionen. Schon am 19, Februar schrieb August Lewald an die Augsburger Zeitung: „Um so merkwürdiger und überraschender ist die Erscheinung, daß ein harmloser Scherz im Stande

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/364
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/364>, abgerufen am 28.04.2024.