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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Aus dem Ueichslande.

Seit den Reichstagswahlen ist die öffentliche Meinung Elsaß-Lothringens
in steter Währung begriffen. Der Verlauf der pomphaft angekündigten, von
den Meisten mit brennender Ungeduld erwarteten Protestkomödie rief die ver¬
schiedenartigsten Eindrücke hervor. Ziemlich allgemein herrschte, wenn auch
nicht offen eingestanden, das Gefühl der Enttäuschung über die Kläglichkeit
des Schauspiels; nicht minder allgemein aber that sich, wenn auch vielfach
nur aus Angst vor der svionirenden Ueberw^chung der berüchtigten Liga, die
höchste Entrüstung über die verständigen Worte des Straßburger Bischofs
kund. Die bereits durch die deutschen Blätter gegangene Nachricht, daß unsere
liebe Straßenjugend einen über und über violett gefärbten Hund mit dem
Hohnrufe: "Der Bischof! der Bischof!" durch die Straßen jagte, ist leider
keine Erfindung. Faradische Pfaffen im Bunde mit den Lauts'schen Gam-
bettisten suchten diese Aufregung zu schüren; man setzte eine Adreßbewegung
in Scene, die womöglich ein elsaß-lothringisches Plebiscit gegen die Annexion
darstellen, zum Mindesten den Bürger Teutsch als den unverfälschten Aus¬
druck der absolut französischen Gesinnung Elsaß-Lothringens feiern, den Bischof
Naß in vernichtender Weise desavouiren sollte. Die Bewegung ist alsbald
im Sande verlaufen -- ein neuer Beweis, daß das treibende Agens bei den
letzten Wahlen nicht politische, sondern kirchliche Motive gewesen sind. Denn
wenn auch einzelne katholische Geistliche sich entschieden gegen die Räß'sche
Erklärung verwahrt haben, die Massen gegen ihren Bischof aufzureizen, durf¬
ten sie doch nicht wagen; und weil dieser geistliche Anstoß fehlte, so blieben
die Massen eben unbewegt. In den urtheilsfähigeren Kreisen ist an die
Stelle der blinden Aufgeregtheit allmählig die ruhigere Ueberlegung getreten,
und ich müßte mich sehr täuschen, wenn im Gefolge der letzteren nicht auch
ein starker politischer Katzenjammer eingekehrt wäre. Man hatte gemeint,
daß auf den Apelt des Herrn Teutsch an die Entscheidung Europas ein Schrei
der Entrüstung über die deutsche Gewaltthätigkeit durch alle Völker unseres
Welttheils gehen müsse; statt dessen begegnete man überall einer kühlen, meistens
abfälligen Kritik des Gebahrens der Protestler, überall dem guten Rathe zum
besonnenen Sichfügen in eine unabänderliche Lage; selbst die französische Presse
begnügte sich mit kurzen Belobigungsphrasen. Diese ernüchternde Haltung
Europas dürfte denn doch gar Manchem die Veranlassung geworden sein,
endlich einmal die Augen zu öffnen und zuzusehen, ob denn nicht auf dem
Boden der gegebenen Thatsachen irgend etwas Nützliches zu thun sei.

Diese Wendung, wenn sie sich, was nicht ausbleiben kann, in weiteren


Aus dem Ueichslande.

Seit den Reichstagswahlen ist die öffentliche Meinung Elsaß-Lothringens
in steter Währung begriffen. Der Verlauf der pomphaft angekündigten, von
den Meisten mit brennender Ungeduld erwarteten Protestkomödie rief die ver¬
schiedenartigsten Eindrücke hervor. Ziemlich allgemein herrschte, wenn auch
nicht offen eingestanden, das Gefühl der Enttäuschung über die Kläglichkeit
des Schauspiels; nicht minder allgemein aber that sich, wenn auch vielfach
nur aus Angst vor der svionirenden Ueberw^chung der berüchtigten Liga, die
höchste Entrüstung über die verständigen Worte des Straßburger Bischofs
kund. Die bereits durch die deutschen Blätter gegangene Nachricht, daß unsere
liebe Straßenjugend einen über und über violett gefärbten Hund mit dem
Hohnrufe: „Der Bischof! der Bischof!" durch die Straßen jagte, ist leider
keine Erfindung. Faradische Pfaffen im Bunde mit den Lauts'schen Gam-
bettisten suchten diese Aufregung zu schüren; man setzte eine Adreßbewegung
in Scene, die womöglich ein elsaß-lothringisches Plebiscit gegen die Annexion
darstellen, zum Mindesten den Bürger Teutsch als den unverfälschten Aus¬
druck der absolut französischen Gesinnung Elsaß-Lothringens feiern, den Bischof
Naß in vernichtender Weise desavouiren sollte. Die Bewegung ist alsbald
im Sande verlaufen — ein neuer Beweis, daß das treibende Agens bei den
letzten Wahlen nicht politische, sondern kirchliche Motive gewesen sind. Denn
wenn auch einzelne katholische Geistliche sich entschieden gegen die Räß'sche
Erklärung verwahrt haben, die Massen gegen ihren Bischof aufzureizen, durf¬
ten sie doch nicht wagen; und weil dieser geistliche Anstoß fehlte, so blieben
die Massen eben unbewegt. In den urtheilsfähigeren Kreisen ist an die
Stelle der blinden Aufgeregtheit allmählig die ruhigere Ueberlegung getreten,
und ich müßte mich sehr täuschen, wenn im Gefolge der letzteren nicht auch
ein starker politischer Katzenjammer eingekehrt wäre. Man hatte gemeint,
daß auf den Apelt des Herrn Teutsch an die Entscheidung Europas ein Schrei
der Entrüstung über die deutsche Gewaltthätigkeit durch alle Völker unseres
Welttheils gehen müsse; statt dessen begegnete man überall einer kühlen, meistens
abfälligen Kritik des Gebahrens der Protestler, überall dem guten Rathe zum
besonnenen Sichfügen in eine unabänderliche Lage; selbst die französische Presse
begnügte sich mit kurzen Belobigungsphrasen. Diese ernüchternde Haltung
Europas dürfte denn doch gar Manchem die Veranlassung geworden sein,
endlich einmal die Augen zu öffnen und zuzusehen, ob denn nicht auf dem
Boden der gegebenen Thatsachen irgend etwas Nützliches zu thun sei.

Diese Wendung, wenn sie sich, was nicht ausbleiben kann, in weiteren


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[0474] Aus dem Ueichslande. Seit den Reichstagswahlen ist die öffentliche Meinung Elsaß-Lothringens in steter Währung begriffen. Der Verlauf der pomphaft angekündigten, von den Meisten mit brennender Ungeduld erwarteten Protestkomödie rief die ver¬ schiedenartigsten Eindrücke hervor. Ziemlich allgemein herrschte, wenn auch nicht offen eingestanden, das Gefühl der Enttäuschung über die Kläglichkeit des Schauspiels; nicht minder allgemein aber that sich, wenn auch vielfach nur aus Angst vor der svionirenden Ueberw^chung der berüchtigten Liga, die höchste Entrüstung über die verständigen Worte des Straßburger Bischofs kund. Die bereits durch die deutschen Blätter gegangene Nachricht, daß unsere liebe Straßenjugend einen über und über violett gefärbten Hund mit dem Hohnrufe: „Der Bischof! der Bischof!" durch die Straßen jagte, ist leider keine Erfindung. Faradische Pfaffen im Bunde mit den Lauts'schen Gam- bettisten suchten diese Aufregung zu schüren; man setzte eine Adreßbewegung in Scene, die womöglich ein elsaß-lothringisches Plebiscit gegen die Annexion darstellen, zum Mindesten den Bürger Teutsch als den unverfälschten Aus¬ druck der absolut französischen Gesinnung Elsaß-Lothringens feiern, den Bischof Naß in vernichtender Weise desavouiren sollte. Die Bewegung ist alsbald im Sande verlaufen — ein neuer Beweis, daß das treibende Agens bei den letzten Wahlen nicht politische, sondern kirchliche Motive gewesen sind. Denn wenn auch einzelne katholische Geistliche sich entschieden gegen die Räß'sche Erklärung verwahrt haben, die Massen gegen ihren Bischof aufzureizen, durf¬ ten sie doch nicht wagen; und weil dieser geistliche Anstoß fehlte, so blieben die Massen eben unbewegt. In den urtheilsfähigeren Kreisen ist an die Stelle der blinden Aufgeregtheit allmählig die ruhigere Ueberlegung getreten, und ich müßte mich sehr täuschen, wenn im Gefolge der letzteren nicht auch ein starker politischer Katzenjammer eingekehrt wäre. Man hatte gemeint, daß auf den Apelt des Herrn Teutsch an die Entscheidung Europas ein Schrei der Entrüstung über die deutsche Gewaltthätigkeit durch alle Völker unseres Welttheils gehen müsse; statt dessen begegnete man überall einer kühlen, meistens abfälligen Kritik des Gebahrens der Protestler, überall dem guten Rathe zum besonnenen Sichfügen in eine unabänderliche Lage; selbst die französische Presse begnügte sich mit kurzen Belobigungsphrasen. Diese ernüchternde Haltung Europas dürfte denn doch gar Manchem die Veranlassung geworden sein, endlich einmal die Augen zu öffnen und zuzusehen, ob denn nicht auf dem Boden der gegebenen Thatsachen irgend etwas Nützliches zu thun sei. Diese Wendung, wenn sie sich, was nicht ausbleiben kann, in weiteren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/474>, abgerufen am 28.04.2024.