Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Weiterbildung der alten Stylformen. Im Großen und Ganzen ist dieses
das Wesen jeder Renaissance und mithin gehört auch ihr mein Schaffen,
wenn es auch anders ist als die speziell italienische, französische oder deutsche
Renaissance der früheren Jahrhunderte. Jede Zeit hat ihre eigenen Aufgaben
und Anschauungen, die auch in der Kleinkunst zur Geltung kommen müssen.

Der Wohlstand und die hohe Bildung der Bewohner Frankfurts und
der umliegenden Städte lassen mich hoffen, daß hier der Mittelpunkt für
die kunstindustrielle Führung Deutschlands sich bildet, da das verhältnißmäßig
arme Berlin dieser Aufgabe bisher schlecht entsprochen hat. Ein Central-
Kunstindustrieverein für Mittelwestdeutschland ist angebahnt.

Nun, lieber Freund, will ich meinen Bericht schließen und will Ihnen
und Anderen überlassen, die Schattenstriche zu zeichnen, die ich in menschlicher
Schwachheit und Eigenliebe vergessen habe. Wer sein Ziel fest im Auge be¬
hält und nicht viel ablenken will, stößt wohl oft an den und den an und es
giebt wohl Viele, die mir dieses verdacht haben. Darüber muß ich mich
trösten. -- Wäre ich nicht auf der Mittagshöhe des Lebens, nämlich 35 Jahre
alt, so machte ich mir eigenhändig ein ordentlich-gruselndes Kreuz auf meinen
Leichenstein und dächte, ich sei um Mitternacht erwacht und lese im Monden¬
schein meine etwas lang ausgesponnene Grabschrift. Diesen Gefallen möchte
ich jedoch den Franzosen einstweilen nur ungern thun und somit hoffe ich
noch manches Glas Wein in treuer Freundschaft mit Ihnen zu leeren und
dabei an "Alles, was wir lieben" zu denken. --

Ihr Kunstgelehrte wollt ja Alles schriftlich haben und somit habe ich
Ihren Wunsch erfüllt, anstatt Ihnen bei einem Glase die ganze Kurz- und
Langeweile meines Lebens vorzuerzählen.


Herzlich grüßt Sie
Ihr
Friedrich Fischbach.

Hanau 1874.




Wilder aus Mecklenburg.
Aus den Tagen der Bürgergarde. III.
Von Hugo Gaedcke. (Nachdruck verboten.)

Mit Vergnügen erinnere ich mich noch des Tages, an welchem acht¬
hundert Rostocker Bürgergardisten mit einem kühnen Handstrich vierundzwanzig
Schneidergesellen gefangen nahmen. Es geschah dies in dem großen Jahre


Weiterbildung der alten Stylformen. Im Großen und Ganzen ist dieses
das Wesen jeder Renaissance und mithin gehört auch ihr mein Schaffen,
wenn es auch anders ist als die speziell italienische, französische oder deutsche
Renaissance der früheren Jahrhunderte. Jede Zeit hat ihre eigenen Aufgaben
und Anschauungen, die auch in der Kleinkunst zur Geltung kommen müssen.

Der Wohlstand und die hohe Bildung der Bewohner Frankfurts und
der umliegenden Städte lassen mich hoffen, daß hier der Mittelpunkt für
die kunstindustrielle Führung Deutschlands sich bildet, da das verhältnißmäßig
arme Berlin dieser Aufgabe bisher schlecht entsprochen hat. Ein Central-
Kunstindustrieverein für Mittelwestdeutschland ist angebahnt.

Nun, lieber Freund, will ich meinen Bericht schließen und will Ihnen
und Anderen überlassen, die Schattenstriche zu zeichnen, die ich in menschlicher
Schwachheit und Eigenliebe vergessen habe. Wer sein Ziel fest im Auge be¬
hält und nicht viel ablenken will, stößt wohl oft an den und den an und es
giebt wohl Viele, die mir dieses verdacht haben. Darüber muß ich mich
trösten. — Wäre ich nicht auf der Mittagshöhe des Lebens, nämlich 35 Jahre
alt, so machte ich mir eigenhändig ein ordentlich-gruselndes Kreuz auf meinen
Leichenstein und dächte, ich sei um Mitternacht erwacht und lese im Monden¬
schein meine etwas lang ausgesponnene Grabschrift. Diesen Gefallen möchte
ich jedoch den Franzosen einstweilen nur ungern thun und somit hoffe ich
noch manches Glas Wein in treuer Freundschaft mit Ihnen zu leeren und
dabei an „Alles, was wir lieben" zu denken. —

Ihr Kunstgelehrte wollt ja Alles schriftlich haben und somit habe ich
Ihren Wunsch erfüllt, anstatt Ihnen bei einem Glase die ganze Kurz- und
Langeweile meines Lebens vorzuerzählen.


Herzlich grüßt Sie
Ihr
Friedrich Fischbach.

Hanau 1874.




Wilder aus Mecklenburg.
Aus den Tagen der Bürgergarde. III.
Von Hugo Gaedcke. (Nachdruck verboten.)

Mit Vergnügen erinnere ich mich noch des Tages, an welchem acht¬
hundert Rostocker Bürgergardisten mit einem kühnen Handstrich vierundzwanzig
Schneidergesellen gefangen nahmen. Es geschah dies in dem großen Jahre


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0268" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132490"/>
          <p xml:id="ID_832" prev="#ID_831"> Weiterbildung der alten Stylformen. Im Großen und Ganzen ist dieses<lb/>
das Wesen jeder Renaissance und mithin gehört auch ihr mein Schaffen,<lb/>
wenn es auch anders ist als die speziell italienische, französische oder deutsche<lb/>
Renaissance der früheren Jahrhunderte. Jede Zeit hat ihre eigenen Aufgaben<lb/>
und Anschauungen, die auch in der Kleinkunst zur Geltung kommen müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_833"> Der Wohlstand und die hohe Bildung der Bewohner Frankfurts und<lb/>
der umliegenden Städte lassen mich hoffen, daß hier der Mittelpunkt für<lb/>
die kunstindustrielle Führung Deutschlands sich bildet, da das verhältnißmäßig<lb/>
arme Berlin dieser Aufgabe bisher schlecht entsprochen hat. Ein Central-<lb/>
Kunstindustrieverein für Mittelwestdeutschland ist angebahnt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_834"> Nun, lieber Freund, will ich meinen Bericht schließen und will Ihnen<lb/>
und Anderen überlassen, die Schattenstriche zu zeichnen, die ich in menschlicher<lb/>
Schwachheit und Eigenliebe vergessen habe. Wer sein Ziel fest im Auge be¬<lb/>
hält und nicht viel ablenken will, stößt wohl oft an den und den an und es<lb/>
giebt wohl Viele, die mir dieses verdacht haben. Darüber muß ich mich<lb/>
trösten. &#x2014; Wäre ich nicht auf der Mittagshöhe des Lebens, nämlich 35 Jahre<lb/>
alt, so machte ich mir eigenhändig ein ordentlich-gruselndes Kreuz auf meinen<lb/>
Leichenstein und dächte, ich sei um Mitternacht erwacht und lese im Monden¬<lb/>
schein meine etwas lang ausgesponnene Grabschrift. Diesen Gefallen möchte<lb/>
ich jedoch den Franzosen einstweilen nur ungern thun und somit hoffe ich<lb/>
noch manches Glas Wein in treuer Freundschaft mit Ihnen zu leeren und<lb/>
dabei an &#x201E;Alles, was wir lieben" zu denken. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_835"> Ihr Kunstgelehrte wollt ja Alles schriftlich haben und somit habe ich<lb/>
Ihren Wunsch erfüllt, anstatt Ihnen bei einem Glase die ganze Kurz- und<lb/>
Langeweile meines Lebens vorzuerzählen.</p><lb/>
          <note type="closer"> Herzlich grüßt Sie</note><lb/>
          <note type="bibl"> Ihr<lb/>
Friedrich Fischbach.</note><lb/>
          <p xml:id="ID_836"> Hanau 1874.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Wilder aus Mecklenburg.<lb/>
Aus den Tagen der Bürgergarde. III.<lb/><note type="byline"> Von Hugo Gaedcke.</note> (Nachdruck verboten.)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_837" next="#ID_838"> Mit Vergnügen erinnere ich mich noch des Tages, an welchem acht¬<lb/>
hundert Rostocker Bürgergardisten mit einem kühnen Handstrich vierundzwanzig<lb/>
Schneidergesellen gefangen nahmen.  Es geschah dies in dem großen Jahre</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0268] Weiterbildung der alten Stylformen. Im Großen und Ganzen ist dieses das Wesen jeder Renaissance und mithin gehört auch ihr mein Schaffen, wenn es auch anders ist als die speziell italienische, französische oder deutsche Renaissance der früheren Jahrhunderte. Jede Zeit hat ihre eigenen Aufgaben und Anschauungen, die auch in der Kleinkunst zur Geltung kommen müssen. Der Wohlstand und die hohe Bildung der Bewohner Frankfurts und der umliegenden Städte lassen mich hoffen, daß hier der Mittelpunkt für die kunstindustrielle Führung Deutschlands sich bildet, da das verhältnißmäßig arme Berlin dieser Aufgabe bisher schlecht entsprochen hat. Ein Central- Kunstindustrieverein für Mittelwestdeutschland ist angebahnt. Nun, lieber Freund, will ich meinen Bericht schließen und will Ihnen und Anderen überlassen, die Schattenstriche zu zeichnen, die ich in menschlicher Schwachheit und Eigenliebe vergessen habe. Wer sein Ziel fest im Auge be¬ hält und nicht viel ablenken will, stößt wohl oft an den und den an und es giebt wohl Viele, die mir dieses verdacht haben. Darüber muß ich mich trösten. — Wäre ich nicht auf der Mittagshöhe des Lebens, nämlich 35 Jahre alt, so machte ich mir eigenhändig ein ordentlich-gruselndes Kreuz auf meinen Leichenstein und dächte, ich sei um Mitternacht erwacht und lese im Monden¬ schein meine etwas lang ausgesponnene Grabschrift. Diesen Gefallen möchte ich jedoch den Franzosen einstweilen nur ungern thun und somit hoffe ich noch manches Glas Wein in treuer Freundschaft mit Ihnen zu leeren und dabei an „Alles, was wir lieben" zu denken. — Ihr Kunstgelehrte wollt ja Alles schriftlich haben und somit habe ich Ihren Wunsch erfüllt, anstatt Ihnen bei einem Glase die ganze Kurz- und Langeweile meines Lebens vorzuerzählen. Herzlich grüßt Sie Ihr Friedrich Fischbach. Hanau 1874. Wilder aus Mecklenburg. Aus den Tagen der Bürgergarde. III. Von Hugo Gaedcke. (Nachdruck verboten.) Mit Vergnügen erinnere ich mich noch des Tages, an welchem acht¬ hundert Rostocker Bürgergardisten mit einem kühnen Handstrich vierundzwanzig Schneidergesellen gefangen nahmen. Es geschah dies in dem großen Jahre

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/268
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/268>, abgerufen am 19.05.2024.