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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Z)er erste Lroöerungszug der neueren Iranzosen.
1494 -- 1495.
Von Max Jähns. II.

Die siegreichen Franzosen gaben sich mit voller Seele und ohne Rückhalt
allen Wollüsten des wundervollen Klimas von Neapel hin. Der Ueberfluß
vortrefflicher Weine, die Mannigfaltigkeit und Billigkeit der Früchte gewöhn¬
ten den gemeinen Mann an Genüsse, von denen er sich bisher nichts hatte
träumen lassen. Niemand dachte mehr an die großartig-phantastischen Pläne
gegen den türkischen Orient, mit denen es allerdings wohl niemals Ernst ge-
gewesen; aber es hatte auch niemand Lust, sich in Italien selbst irgend wel¬
chen neuen Mühen oder Kämpfen auszusetzen. Die allgemeine Trunkenheit
ging so weit, daß auch nicht die geringste Maßregel getroffen wurde, um die
glänzende Eroberung, die ein unerhörtes Glück den Franzosen zugetheilt, zu
sichern und zu erhalten. Ihr ganzer Aufenthalt in Neapel war eine einzige
lange Orgie. Charles VIII. selbst faßte seine Rolle vom niedrigsten Stand¬
punkt auf. Unfähig die Erhabenheit der Stellung zu begreifen, in welche ihn
der Zufall oder die göttliche Fügung versetzt, lebte er lediglich seinen Lüsten.
Kein Held, wie Charlemagne, den er sich in romantischen Träumen zum
Vorbild aufgestellt, kein Staatsmann wie Louis XI. sein Vater, wußte er
weder zu imponiren noch zu gewinnen. Ungebildet und häßlich flößte er den
virtuosen Lebenskünstlern, welche in dem Italien der aufblühenden Re¬
naissance so harmonische Persönlichkeiten darstellten, bald genug Abneigung
und Widerwillen ein.

Während also Charles im Vollgefühle seines Sieges die Zeit in schwelge¬
rischen Festen und üppigem Nichtsthun verlor und durch die Art, wie er mit
den eingezogenen Gütern verfuhr, sich sehr viel Feinde machte, thürmten sich
5" seinem Rücken Gefahren, die ihn nicht allein zwingen sollten, jenen Träume¬
reien in Bezug auf die Eroberung Konstantinopels zu entsagen, sondern ihn
auch nöthigten, unverzüglich den. Rückzug nach den äußersten nördlichen
Grenzen Italiens anzutreten, von wo er zu seinem Zuge ausgegangen. Die
Eroberung Italiens hatte auf Europa im ersten Augenblicke wie ein Blitzstrahl
gewirkt. Aber nachdem die erste Blendung vorüber, begann man, sick? zu


Grerijbotcn II. 1875. 46
Z)er erste Lroöerungszug der neueren Iranzosen.
1494 — 1495.
Von Max Jähns. II.

Die siegreichen Franzosen gaben sich mit voller Seele und ohne Rückhalt
allen Wollüsten des wundervollen Klimas von Neapel hin. Der Ueberfluß
vortrefflicher Weine, die Mannigfaltigkeit und Billigkeit der Früchte gewöhn¬
ten den gemeinen Mann an Genüsse, von denen er sich bisher nichts hatte
träumen lassen. Niemand dachte mehr an die großartig-phantastischen Pläne
gegen den türkischen Orient, mit denen es allerdings wohl niemals Ernst ge-
gewesen; aber es hatte auch niemand Lust, sich in Italien selbst irgend wel¬
chen neuen Mühen oder Kämpfen auszusetzen. Die allgemeine Trunkenheit
ging so weit, daß auch nicht die geringste Maßregel getroffen wurde, um die
glänzende Eroberung, die ein unerhörtes Glück den Franzosen zugetheilt, zu
sichern und zu erhalten. Ihr ganzer Aufenthalt in Neapel war eine einzige
lange Orgie. Charles VIII. selbst faßte seine Rolle vom niedrigsten Stand¬
punkt auf. Unfähig die Erhabenheit der Stellung zu begreifen, in welche ihn
der Zufall oder die göttliche Fügung versetzt, lebte er lediglich seinen Lüsten.
Kein Held, wie Charlemagne, den er sich in romantischen Träumen zum
Vorbild aufgestellt, kein Staatsmann wie Louis XI. sein Vater, wußte er
weder zu imponiren noch zu gewinnen. Ungebildet und häßlich flößte er den
virtuosen Lebenskünstlern, welche in dem Italien der aufblühenden Re¬
naissance so harmonische Persönlichkeiten darstellten, bald genug Abneigung
und Widerwillen ein.

Während also Charles im Vollgefühle seines Sieges die Zeit in schwelge¬
rischen Festen und üppigem Nichtsthun verlor und durch die Art, wie er mit
den eingezogenen Gütern verfuhr, sich sehr viel Feinde machte, thürmten sich
5" seinem Rücken Gefahren, die ihn nicht allein zwingen sollten, jenen Träume¬
reien in Bezug auf die Eroberung Konstantinopels zu entsagen, sondern ihn
auch nöthigten, unverzüglich den. Rückzug nach den äußersten nördlichen
Grenzen Italiens anzutreten, von wo er zu seinem Zuge ausgegangen. Die
Eroberung Italiens hatte auf Europa im ersten Augenblicke wie ein Blitzstrahl
gewirkt. Aber nachdem die erste Blendung vorüber, begann man, sick? zu


Grerijbotcn II. 1875. 46
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[0365] Z)er erste Lroöerungszug der neueren Iranzosen. 1494 — 1495. Von Max Jähns. II. Die siegreichen Franzosen gaben sich mit voller Seele und ohne Rückhalt allen Wollüsten des wundervollen Klimas von Neapel hin. Der Ueberfluß vortrefflicher Weine, die Mannigfaltigkeit und Billigkeit der Früchte gewöhn¬ ten den gemeinen Mann an Genüsse, von denen er sich bisher nichts hatte träumen lassen. Niemand dachte mehr an die großartig-phantastischen Pläne gegen den türkischen Orient, mit denen es allerdings wohl niemals Ernst ge- gewesen; aber es hatte auch niemand Lust, sich in Italien selbst irgend wel¬ chen neuen Mühen oder Kämpfen auszusetzen. Die allgemeine Trunkenheit ging so weit, daß auch nicht die geringste Maßregel getroffen wurde, um die glänzende Eroberung, die ein unerhörtes Glück den Franzosen zugetheilt, zu sichern und zu erhalten. Ihr ganzer Aufenthalt in Neapel war eine einzige lange Orgie. Charles VIII. selbst faßte seine Rolle vom niedrigsten Stand¬ punkt auf. Unfähig die Erhabenheit der Stellung zu begreifen, in welche ihn der Zufall oder die göttliche Fügung versetzt, lebte er lediglich seinen Lüsten. Kein Held, wie Charlemagne, den er sich in romantischen Träumen zum Vorbild aufgestellt, kein Staatsmann wie Louis XI. sein Vater, wußte er weder zu imponiren noch zu gewinnen. Ungebildet und häßlich flößte er den virtuosen Lebenskünstlern, welche in dem Italien der aufblühenden Re¬ naissance so harmonische Persönlichkeiten darstellten, bald genug Abneigung und Widerwillen ein. Während also Charles im Vollgefühle seines Sieges die Zeit in schwelge¬ rischen Festen und üppigem Nichtsthun verlor und durch die Art, wie er mit den eingezogenen Gütern verfuhr, sich sehr viel Feinde machte, thürmten sich 5" seinem Rücken Gefahren, die ihn nicht allein zwingen sollten, jenen Träume¬ reien in Bezug auf die Eroberung Konstantinopels zu entsagen, sondern ihn auch nöthigten, unverzüglich den. Rückzug nach den äußersten nördlichen Grenzen Italiens anzutreten, von wo er zu seinem Zuge ausgegangen. Die Eroberung Italiens hatte auf Europa im ersten Augenblicke wie ein Blitzstrahl gewirkt. Aber nachdem die erste Blendung vorüber, begann man, sick? zu Grerijbotcn II. 1875. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/365>, abgerufen am 06.05.2024.