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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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-- -- -- der Seele Sturm beschwört,
-- -- -- die nie ermattet,
Die langsam schafft, doch nie zerstört.
Die zu dem Bau der Ewigkeiten
Zwar Sandkorn nur für Sandkorn reicht.
Doch von der großen Schuld der Zeiten
Minuten, Tage, Jahre streicht.

I. Mähly.


Sittenbilder aus Japan.
i.

Lange Zeit fast völlig abgeschlossen vom Leben der übrigen Erdenvölker
und so eine Welt für sich geblieben, hat Japan, seit es seine Häfen zunächst
den Amerikanern, dann auch den übrigen seefahrenden Nationen öffnete, sich
Mit einer Raschheit in das allgemeine Culturleben eingefügt, die Staunen
erregt. Während China, das andere große mongolische Reich Ostasiens, euro¬
päische Wissenschaft, Politik und Sitte nach Kräften von sich abwehrt, während
selbst die uns näher verwandten Völker Westasiens im Großen und Ganzen
Aus fernbleiben und fortleben wie sie vor Jahrhunderten lebten, hat jenes
begabte und rührige Jnselvolk, namentlich seit der politischen Revolution, die
den Mikado in seine Rechte als eigentlichen Herrscher des Landes wieder ein¬
setzte und zugleich -- hierin in gewissem Maße ein Seitenstück zu Deutschland
darstellend -- durch Niederwerfung der Damnos, der nahezu souverän ge¬
wordenen Territorialfürsten, die Einheit des Reiches herstellte, durch Aufnahme
europäischen Wesens auch eine gesellschaftliche Revolution von Grund aus
erlebt und damit eine Umgestaltung erfahren, die in der Culturgeschichte
geradezu unerhört ist. Nicht nur, daß man in richtiger Würdigung jenes
Aesens die Staatsverwaltung, den Unterricht, das Geldwesen, die Medicin,
das Heer nach Weise der Nationen^ des Nordwestens umbildete, eine Dampfer-
stotte schuf, Eisenbahnen baute, Telegraphenleitungen errichtete u. s. w., selbst
in den Gewohnheiten des Privatlebens, der Tracht und andern Aeußerlich-
keiten hat man sich uns anzuschließen begonnen. Wer hätte es 1852 geglaubt,
Wenn man ihm gesagt hätte, daß 1872 einige achtzig Japaner in Berlin
studieren, daß jetzt Hunderte unter den Bewohnern Jeddos gutes Deutsch
reden würden, daß mehr als ein deutscher Gelehrter dort, von der Regierung
angestellt, Vorlesungen halten, daß der unnahbare Mikado, der Göttersohn,
wie ein europäischer Fürst mit seinem Volke und sogar mit den Fremden


— — — der Seele Sturm beschwört,
— — — die nie ermattet,
Die langsam schafft, doch nie zerstört.
Die zu dem Bau der Ewigkeiten
Zwar Sandkorn nur für Sandkorn reicht.
Doch von der großen Schuld der Zeiten
Minuten, Tage, Jahre streicht.

I. Mähly.


Sittenbilder aus Japan.
i.

Lange Zeit fast völlig abgeschlossen vom Leben der übrigen Erdenvölker
und so eine Welt für sich geblieben, hat Japan, seit es seine Häfen zunächst
den Amerikanern, dann auch den übrigen seefahrenden Nationen öffnete, sich
Mit einer Raschheit in das allgemeine Culturleben eingefügt, die Staunen
erregt. Während China, das andere große mongolische Reich Ostasiens, euro¬
päische Wissenschaft, Politik und Sitte nach Kräften von sich abwehrt, während
selbst die uns näher verwandten Völker Westasiens im Großen und Ganzen
Aus fernbleiben und fortleben wie sie vor Jahrhunderten lebten, hat jenes
begabte und rührige Jnselvolk, namentlich seit der politischen Revolution, die
den Mikado in seine Rechte als eigentlichen Herrscher des Landes wieder ein¬
setzte und zugleich — hierin in gewissem Maße ein Seitenstück zu Deutschland
darstellend — durch Niederwerfung der Damnos, der nahezu souverän ge¬
wordenen Territorialfürsten, die Einheit des Reiches herstellte, durch Aufnahme
europäischen Wesens auch eine gesellschaftliche Revolution von Grund aus
erlebt und damit eine Umgestaltung erfahren, die in der Culturgeschichte
geradezu unerhört ist. Nicht nur, daß man in richtiger Würdigung jenes
Aesens die Staatsverwaltung, den Unterricht, das Geldwesen, die Medicin,
das Heer nach Weise der Nationen^ des Nordwestens umbildete, eine Dampfer-
stotte schuf, Eisenbahnen baute, Telegraphenleitungen errichtete u. s. w., selbst
in den Gewohnheiten des Privatlebens, der Tracht und andern Aeußerlich-
keiten hat man sich uns anzuschließen begonnen. Wer hätte es 1852 geglaubt,
Wenn man ihm gesagt hätte, daß 1872 einige achtzig Japaner in Berlin
studieren, daß jetzt Hunderte unter den Bewohnern Jeddos gutes Deutsch
reden würden, daß mehr als ein deutscher Gelehrter dort, von der Regierung
angestellt, Vorlesungen halten, daß der unnahbare Mikado, der Göttersohn,
wie ein europäischer Fürst mit seinem Volke und sogar mit den Fremden


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[0389] — — — der Seele Sturm beschwört, — — — die nie ermattet, Die langsam schafft, doch nie zerstört. Die zu dem Bau der Ewigkeiten Zwar Sandkorn nur für Sandkorn reicht. Doch von der großen Schuld der Zeiten Minuten, Tage, Jahre streicht. I. Mähly. Sittenbilder aus Japan. i. Lange Zeit fast völlig abgeschlossen vom Leben der übrigen Erdenvölker und so eine Welt für sich geblieben, hat Japan, seit es seine Häfen zunächst den Amerikanern, dann auch den übrigen seefahrenden Nationen öffnete, sich Mit einer Raschheit in das allgemeine Culturleben eingefügt, die Staunen erregt. Während China, das andere große mongolische Reich Ostasiens, euro¬ päische Wissenschaft, Politik und Sitte nach Kräften von sich abwehrt, während selbst die uns näher verwandten Völker Westasiens im Großen und Ganzen Aus fernbleiben und fortleben wie sie vor Jahrhunderten lebten, hat jenes begabte und rührige Jnselvolk, namentlich seit der politischen Revolution, die den Mikado in seine Rechte als eigentlichen Herrscher des Landes wieder ein¬ setzte und zugleich — hierin in gewissem Maße ein Seitenstück zu Deutschland darstellend — durch Niederwerfung der Damnos, der nahezu souverän ge¬ wordenen Territorialfürsten, die Einheit des Reiches herstellte, durch Aufnahme europäischen Wesens auch eine gesellschaftliche Revolution von Grund aus erlebt und damit eine Umgestaltung erfahren, die in der Culturgeschichte geradezu unerhört ist. Nicht nur, daß man in richtiger Würdigung jenes Aesens die Staatsverwaltung, den Unterricht, das Geldwesen, die Medicin, das Heer nach Weise der Nationen^ des Nordwestens umbildete, eine Dampfer- stotte schuf, Eisenbahnen baute, Telegraphenleitungen errichtete u. s. w., selbst in den Gewohnheiten des Privatlebens, der Tracht und andern Aeußerlich- keiten hat man sich uns anzuschließen begonnen. Wer hätte es 1852 geglaubt, Wenn man ihm gesagt hätte, daß 1872 einige achtzig Japaner in Berlin studieren, daß jetzt Hunderte unter den Bewohnern Jeddos gutes Deutsch reden würden, daß mehr als ein deutscher Gelehrter dort, von der Regierung angestellt, Vorlesungen halten, daß der unnahbare Mikado, der Göttersohn, wie ein europäischer Fürst mit seinem Volke und sogar mit den Fremden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/389>, abgerufen am 05.05.2024.