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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Die Dresdener Malerschule.
Von Alexander Flamant.

Wie im Durchschnitt jede moderne Kunstausstellung, so macht auch die
gegenwärtige, vorwiegend von auswärtigen Künstlern beschickte Dresdener
Ausstellung in ihrer großen Masse den Eindruck einer interessanten coloristischen
Versuchsstation, eines Laboratoriums der Farbentechnik, welches neben einem .
Schwall von oberflächlicher decorativer Mittelmäßigkeit auch manche recht
beachtenswerthe Erscheinungen zu Tage fördert, die entschieden als eine Be¬
reicherung, wenn auch nicht der Kunst im höheren Sinne, so doch des tech¬
nischen Theils derselben betrachtet werden müssen.

Farbe, Colorit, Effect, das ist die Losung unserer jetzigen Kunstbestre¬
bungen, und die Zeichnung wird dabei meistens mit einer, fast möchte man
sagen, brutalen Geringschätzung behandelt, -- eine Technik, welche dem Be¬
schauer nicht selten schon auf einer Distance von 10 Schritten ein gebieterisches
"Halt" zuruft, damit er sich den durch die Farbe aus respectvoller Entfernung
erhaltenen allgemeinen Eindruck der Naturwahrheit des Bildes nicht durch
nähere Besichtigung desselben wieder zerstöre. Das sinnige, beschauliche
Arbeiten, das liebevolle Sichversenken in den Gegenstand scheint den meisten
Künstlern unserer Zeit abhanden gekommen zu sein; die Unbefangenheit des
Schaffens wird durch den beunruhigenden Gedanken verscheucht: "Wie wird
das Bild auf der Ausstellung wirken? -- Wird es durchschlagen. Effect
machen? Oder wird es erdrückt werden durch die andern brillanten Farben¬
stücke?" Und so wird in fieberhafter Hast aufgetragen, was die Palette nur
hergeben will. "Im Atelier muß es geschmiert und geklext aussehen", heißt
es, "dann wirkt es aus der Ausstellung." Mag wohl sein, für ein gewisses
Publicum; nur wird dabei übersehen, daß die Bilder schließlich doch bestim¬
mungsgemäß in einem Salon ihr Unterkommen finden sollen, und wenn dieser
nicht mit hohlem Flitter und decorativem Pomp, sondern mit feinem Geschmack
und solider Noblesse eingerichtet ist, dann tritt die rohe Behandlungswetse
der Bilder um so schroffer hervor, je gediegener und eleganter die Umge¬
bung ist.

Und nicht allein die Schönheit der Zeichnung wird dabei vollständig
ignorirt, sondern auch die Composition artet dermaßen aus, daß von zweck¬
mäßiger Anordnung und Vertheilung der Massen, von harmonischem Fluß
der Linien, überhaupt von gedankenreicher Conception des Bildes kaum noch
die Rede sein kann. -- Wozu das auch? -- Das große Publieum hat im
Allgemeinen dafür wenig Sinn; es steht geblendet und staunend vor jenen
frappanten Knalleffecten, während es an tief empfundenen und liebevoll


Die Dresdener Malerschule.
Von Alexander Flamant.

Wie im Durchschnitt jede moderne Kunstausstellung, so macht auch die
gegenwärtige, vorwiegend von auswärtigen Künstlern beschickte Dresdener
Ausstellung in ihrer großen Masse den Eindruck einer interessanten coloristischen
Versuchsstation, eines Laboratoriums der Farbentechnik, welches neben einem .
Schwall von oberflächlicher decorativer Mittelmäßigkeit auch manche recht
beachtenswerthe Erscheinungen zu Tage fördert, die entschieden als eine Be¬
reicherung, wenn auch nicht der Kunst im höheren Sinne, so doch des tech¬
nischen Theils derselben betrachtet werden müssen.

Farbe, Colorit, Effect, das ist die Losung unserer jetzigen Kunstbestre¬
bungen, und die Zeichnung wird dabei meistens mit einer, fast möchte man
sagen, brutalen Geringschätzung behandelt, — eine Technik, welche dem Be¬
schauer nicht selten schon auf einer Distance von 10 Schritten ein gebieterisches
„Halt" zuruft, damit er sich den durch die Farbe aus respectvoller Entfernung
erhaltenen allgemeinen Eindruck der Naturwahrheit des Bildes nicht durch
nähere Besichtigung desselben wieder zerstöre. Das sinnige, beschauliche
Arbeiten, das liebevolle Sichversenken in den Gegenstand scheint den meisten
Künstlern unserer Zeit abhanden gekommen zu sein; die Unbefangenheit des
Schaffens wird durch den beunruhigenden Gedanken verscheucht: „Wie wird
das Bild auf der Ausstellung wirken? — Wird es durchschlagen. Effect
machen? Oder wird es erdrückt werden durch die andern brillanten Farben¬
stücke?" Und so wird in fieberhafter Hast aufgetragen, was die Palette nur
hergeben will. „Im Atelier muß es geschmiert und geklext aussehen", heißt
es, „dann wirkt es aus der Ausstellung." Mag wohl sein, für ein gewisses
Publicum; nur wird dabei übersehen, daß die Bilder schließlich doch bestim¬
mungsgemäß in einem Salon ihr Unterkommen finden sollen, und wenn dieser
nicht mit hohlem Flitter und decorativem Pomp, sondern mit feinem Geschmack
und solider Noblesse eingerichtet ist, dann tritt die rohe Behandlungswetse
der Bilder um so schroffer hervor, je gediegener und eleganter die Umge¬
bung ist.

Und nicht allein die Schönheit der Zeichnung wird dabei vollständig
ignorirt, sondern auch die Composition artet dermaßen aus, daß von zweck¬
mäßiger Anordnung und Vertheilung der Massen, von harmonischem Fluß
der Linien, überhaupt von gedankenreicher Conception des Bildes kaum noch
die Rede sein kann. — Wozu das auch? — Das große Publieum hat im
Allgemeinen dafür wenig Sinn; es steht geblendet und staunend vor jenen
frappanten Knalleffecten, während es an tief empfundenen und liebevoll


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[0032] Die Dresdener Malerschule. Von Alexander Flamant. Wie im Durchschnitt jede moderne Kunstausstellung, so macht auch die gegenwärtige, vorwiegend von auswärtigen Künstlern beschickte Dresdener Ausstellung in ihrer großen Masse den Eindruck einer interessanten coloristischen Versuchsstation, eines Laboratoriums der Farbentechnik, welches neben einem . Schwall von oberflächlicher decorativer Mittelmäßigkeit auch manche recht beachtenswerthe Erscheinungen zu Tage fördert, die entschieden als eine Be¬ reicherung, wenn auch nicht der Kunst im höheren Sinne, so doch des tech¬ nischen Theils derselben betrachtet werden müssen. Farbe, Colorit, Effect, das ist die Losung unserer jetzigen Kunstbestre¬ bungen, und die Zeichnung wird dabei meistens mit einer, fast möchte man sagen, brutalen Geringschätzung behandelt, — eine Technik, welche dem Be¬ schauer nicht selten schon auf einer Distance von 10 Schritten ein gebieterisches „Halt" zuruft, damit er sich den durch die Farbe aus respectvoller Entfernung erhaltenen allgemeinen Eindruck der Naturwahrheit des Bildes nicht durch nähere Besichtigung desselben wieder zerstöre. Das sinnige, beschauliche Arbeiten, das liebevolle Sichversenken in den Gegenstand scheint den meisten Künstlern unserer Zeit abhanden gekommen zu sein; die Unbefangenheit des Schaffens wird durch den beunruhigenden Gedanken verscheucht: „Wie wird das Bild auf der Ausstellung wirken? — Wird es durchschlagen. Effect machen? Oder wird es erdrückt werden durch die andern brillanten Farben¬ stücke?" Und so wird in fieberhafter Hast aufgetragen, was die Palette nur hergeben will. „Im Atelier muß es geschmiert und geklext aussehen", heißt es, „dann wirkt es aus der Ausstellung." Mag wohl sein, für ein gewisses Publicum; nur wird dabei übersehen, daß die Bilder schließlich doch bestim¬ mungsgemäß in einem Salon ihr Unterkommen finden sollen, und wenn dieser nicht mit hohlem Flitter und decorativem Pomp, sondern mit feinem Geschmack und solider Noblesse eingerichtet ist, dann tritt die rohe Behandlungswetse der Bilder um so schroffer hervor, je gediegener und eleganter die Umge¬ bung ist. Und nicht allein die Schönheit der Zeichnung wird dabei vollständig ignorirt, sondern auch die Composition artet dermaßen aus, daß von zweck¬ mäßiger Anordnung und Vertheilung der Massen, von harmonischem Fluß der Linien, überhaupt von gedankenreicher Conception des Bildes kaum noch die Rede sein kann. — Wozu das auch? — Das große Publieum hat im Allgemeinen dafür wenig Sinn; es steht geblendet und staunend vor jenen frappanten Knalleffecten, während es an tief empfundenen und liebevoll

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/32>, abgerufen am 29.04.2024.