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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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durchgearbeiteten Bildern meistens gleichgilttg vorübergeht, weshalb man es
im Grunde genommen den Künstlern kaum verdenken kann, wenn sie statt
des hochfltegenden Pegasus lieber den ertragliefernden Ackergaul reiten und
den rasenden Tanz unserer Zeit um das goldene Kalb mittanzen.

Die Erzeugnisse der Kunst sind stets ein treues Spiegelbild der jeweiligen
idealen und realen Bestrebungen ihrer Zeit. Sie stimmen vollständig über¬
ein und stehen im innigsten Zusammenhange mit den Erscheinungen auf
andern Gebieten des Lebens, des Kunstgewerbes, der Industrie, des Hand¬
werkes, wie überhaupt der sittlichen und volkswirthschaftlichen Zustände-
Betrachtet man demnach die Kunst als die Blüthe eines Culturvolkes, so
ergiebt ein Vergleich von selbst, daß bei einem mit unnatürlichen Gewaltmitteln
gepflegten Treibhausgewächse die besten Kräfte und Säfte zu ungesunden,
monströsen Organen verwendet werden und eine zwar brillante, aber in un¬
heimlicher Farbenpracht glühende Blüthe von ephemerer Dauer und ohne
Frucht sich entwickelt. So ist auch die Frucht redlicher deutscher Arbeit, das im
Schweiße des Angesichts sauer verdiente Geld mittelst der "Börse" aus den Händen
solider arbeitsamer Bürger massenweise in den Säckel speculirender Jndustrte-
ritter, Börsenjobber, Aetienschwindler und Gründer geflossen. Und solche
Leute als Kunstmäcene?!

Ist es da zu verwundern, wenn die wahre, echte Kunst auf den Aus¬
stellungen von einem Farbenschwall blendender Effecte ohne tiefern Gehalt
erstickt wird, -- wenn die ganzen Kunstbestrebungen in eine coloristische
Ltsex1e-eKg.se! ausarten, die nach möglichst hohen Preisen jagt, und am meisten
gilt, wenn sie dieselben'wirklich erreicht?

Doch wir wollen nicht zu schwarz sehen; denn neben dieser seichten
Tagesproduction der Malerei macht sich noch eine tiefergehende Strömung der
warmen, poetischen Kunstrichtung geltend, welche auch von den wirklichen
Kunstfreunden einer aufrichtigen Verehrung und lebhaften Theilnahme ge¬
würdigt wird. Und abgesehen davon hat auch jene Kunstrichtung ihre gute
Seite, denn es ist nicht zu verkennen, daß die deutsche Malerei, namentlich
im Vergleich zur französischen und niederländischen, in der Farbentechnik un-
verhältnißmäßig zurückgeblieben war und mit einer gewissen Einseitigkeit und
asketischen Strenge die abstracte Gedankenmalerei, die geistvolle und gehalt¬
reiche Composition, die stilvolle Zeichnung und Linienführung auf Kosten
einer sinnlich reizvollen Farbenwirkung soweit bevorzugte, wie es sich mit
einer specifisch malerischen Anschauunng doch nicht recht vereinbaren läßt.
Für den Augenblick droht jedoch die deutsche Kunst in ihrer großen Masse
ins entgegengesetzte Extrem umzuschlagen und die beregten Vorzüge, durch
welche sie nach einer, und zwar sehr gewichtigen Seite hoch über anderen
Nationen stand, weit über Bord zu werfen. Erst wenn das durch die über-


durchgearbeiteten Bildern meistens gleichgilttg vorübergeht, weshalb man es
im Grunde genommen den Künstlern kaum verdenken kann, wenn sie statt
des hochfltegenden Pegasus lieber den ertragliefernden Ackergaul reiten und
den rasenden Tanz unserer Zeit um das goldene Kalb mittanzen.

Die Erzeugnisse der Kunst sind stets ein treues Spiegelbild der jeweiligen
idealen und realen Bestrebungen ihrer Zeit. Sie stimmen vollständig über¬
ein und stehen im innigsten Zusammenhange mit den Erscheinungen auf
andern Gebieten des Lebens, des Kunstgewerbes, der Industrie, des Hand¬
werkes, wie überhaupt der sittlichen und volkswirthschaftlichen Zustände-
Betrachtet man demnach die Kunst als die Blüthe eines Culturvolkes, so
ergiebt ein Vergleich von selbst, daß bei einem mit unnatürlichen Gewaltmitteln
gepflegten Treibhausgewächse die besten Kräfte und Säfte zu ungesunden,
monströsen Organen verwendet werden und eine zwar brillante, aber in un¬
heimlicher Farbenpracht glühende Blüthe von ephemerer Dauer und ohne
Frucht sich entwickelt. So ist auch die Frucht redlicher deutscher Arbeit, das im
Schweiße des Angesichts sauer verdiente Geld mittelst der „Börse" aus den Händen
solider arbeitsamer Bürger massenweise in den Säckel speculirender Jndustrte-
ritter, Börsenjobber, Aetienschwindler und Gründer geflossen. Und solche
Leute als Kunstmäcene?!

Ist es da zu verwundern, wenn die wahre, echte Kunst auf den Aus¬
stellungen von einem Farbenschwall blendender Effecte ohne tiefern Gehalt
erstickt wird, — wenn die ganzen Kunstbestrebungen in eine coloristische
Ltsex1e-eKg.se! ausarten, die nach möglichst hohen Preisen jagt, und am meisten
gilt, wenn sie dieselben'wirklich erreicht?

Doch wir wollen nicht zu schwarz sehen; denn neben dieser seichten
Tagesproduction der Malerei macht sich noch eine tiefergehende Strömung der
warmen, poetischen Kunstrichtung geltend, welche auch von den wirklichen
Kunstfreunden einer aufrichtigen Verehrung und lebhaften Theilnahme ge¬
würdigt wird. Und abgesehen davon hat auch jene Kunstrichtung ihre gute
Seite, denn es ist nicht zu verkennen, daß die deutsche Malerei, namentlich
im Vergleich zur französischen und niederländischen, in der Farbentechnik un-
verhältnißmäßig zurückgeblieben war und mit einer gewissen Einseitigkeit und
asketischen Strenge die abstracte Gedankenmalerei, die geistvolle und gehalt¬
reiche Composition, die stilvolle Zeichnung und Linienführung auf Kosten
einer sinnlich reizvollen Farbenwirkung soweit bevorzugte, wie es sich mit
einer specifisch malerischen Anschauunng doch nicht recht vereinbaren läßt.
Für den Augenblick droht jedoch die deutsche Kunst in ihrer großen Masse
ins entgegengesetzte Extrem umzuschlagen und die beregten Vorzüge, durch
welche sie nach einer, und zwar sehr gewichtigen Seite hoch über anderen
Nationen stand, weit über Bord zu werfen. Erst wenn das durch die über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/33>, abgerufen am 15.05.2024.