Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Stammgenossen seine hohe "Bildung" und seine geselligen Fähigkeiten besser
zur Geltung kamen.

Im Jahre 1848 tauchte er unter den polnischen Insurgenten, selbstver¬
ständlich als Offizier, vielleicht Hauptmann oder Major, und als Kommandant
eines kleinen Nestes auf. Die Lorbeern, die er sich bei diesem Kommando,
wahrscheinlich ohne eine Pickelhaube sich gegenüber gesehen zu haben, erwarb,
haben vermuthlich das Herz einer patriotischen und zugleich reichen Polin
vollends zum Schmelzen gebracht -- Apollincir machte bald darauf wirklich
eine "gute Partie". Das Glück war jedoch nur ein beschränktes und kurzes.
Erschien sein Patriotismus und seine feine Tournüre für die Dauer nicht als
genügende Grundlage für das praktische Leben und vermißte man andre reelle
Tüchtigkeit an ihm, oder lagen andre Gründe gegen ihn vor -- mir ist nnr
so viel bekannt, daß er schon lange von seiner Frau getrennt ist und bald da,
bald dort von einer Rente lebt, die ihm sein Schwiegervater ausgesetzt hat.
Das ist nun das Glück des fähigsten und geschicktesten Mitgliedes der Familie
Kowalski, daß es keine Heimath besitzt und im kräftigen Mannesalter ohne
Beruf in Müßiggang und Unstätigkeit ein nicht verdientes Brot ißt. Polen
mag das freilich als ein Veneidenswerthes Loos erscheinen.




Me Ueichstagswahlen im Königreich Sachsen.

Bei den Wahlen des Jahres 1874 waren in den dreiundzwanzig Wahl¬
kreisen des Königreichs Sachsen gewählt wordein 7 Nationälliberale (Pfeiffer,
Frühauf, Stephani, Brockhaus, Koch, Georgi, Krause), 1 Reichsconservativer
(Schwarze), 4 Partieularisten, die sich zur deutschen Reichspartei schlugen
(Ackermann, Günther, Nostiz, Könneritz) oder wild blieben (Richter), 4 Fort¬
schrittler sächsischer Prägung (Minckwitz, Eysoldt, Oehmichen, Heine), und end¬
lich 6 Socialdemokraten (Gelb, Vahlteich, Most, Bebel, Moteller, Liebknecht).

Bei den Wahlen vom zehnten Januar sind nur sechzehn Wahlen fest zu
Staude gekommen. Drei Nationalliberale (Frühauf, Stephani, Gensel), vier
Partieularisten (Ackermann, Richter, Reich und Günther), sechs Socialdemokraten
(Moteller, Bebel, Liebknecht, Auer, Most, Gelb und Demmler), ein Reichs¬
conservativer (Schwarze) und ein Fortschrittsmann (Eysoldt) sind unzweifel¬
haft gewählt.

Nicht weniger als neun Wahlen in dem kleinen Lande stehen noch aus.


Stammgenossen seine hohe „Bildung" und seine geselligen Fähigkeiten besser
zur Geltung kamen.

Im Jahre 1848 tauchte er unter den polnischen Insurgenten, selbstver¬
ständlich als Offizier, vielleicht Hauptmann oder Major, und als Kommandant
eines kleinen Nestes auf. Die Lorbeern, die er sich bei diesem Kommando,
wahrscheinlich ohne eine Pickelhaube sich gegenüber gesehen zu haben, erwarb,
haben vermuthlich das Herz einer patriotischen und zugleich reichen Polin
vollends zum Schmelzen gebracht — Apollincir machte bald darauf wirklich
eine „gute Partie". Das Glück war jedoch nur ein beschränktes und kurzes.
Erschien sein Patriotismus und seine feine Tournüre für die Dauer nicht als
genügende Grundlage für das praktische Leben und vermißte man andre reelle
Tüchtigkeit an ihm, oder lagen andre Gründe gegen ihn vor — mir ist nnr
so viel bekannt, daß er schon lange von seiner Frau getrennt ist und bald da,
bald dort von einer Rente lebt, die ihm sein Schwiegervater ausgesetzt hat.
Das ist nun das Glück des fähigsten und geschicktesten Mitgliedes der Familie
Kowalski, daß es keine Heimath besitzt und im kräftigen Mannesalter ohne
Beruf in Müßiggang und Unstätigkeit ein nicht verdientes Brot ißt. Polen
mag das freilich als ein Veneidenswerthes Loos erscheinen.




Me Ueichstagswahlen im Königreich Sachsen.

Bei den Wahlen des Jahres 1874 waren in den dreiundzwanzig Wahl¬
kreisen des Königreichs Sachsen gewählt wordein 7 Nationälliberale (Pfeiffer,
Frühauf, Stephani, Brockhaus, Koch, Georgi, Krause), 1 Reichsconservativer
(Schwarze), 4 Partieularisten, die sich zur deutschen Reichspartei schlugen
(Ackermann, Günther, Nostiz, Könneritz) oder wild blieben (Richter), 4 Fort¬
schrittler sächsischer Prägung (Minckwitz, Eysoldt, Oehmichen, Heine), und end¬
lich 6 Socialdemokraten (Gelb, Vahlteich, Most, Bebel, Moteller, Liebknecht).

Bei den Wahlen vom zehnten Januar sind nur sechzehn Wahlen fest zu
Staude gekommen. Drei Nationalliberale (Frühauf, Stephani, Gensel), vier
Partieularisten (Ackermann, Richter, Reich und Günther), sechs Socialdemokraten
(Moteller, Bebel, Liebknecht, Auer, Most, Gelb und Demmler), ein Reichs¬
conservativer (Schwarze) und ein Fortschrittsmann (Eysoldt) sind unzweifel¬
haft gewählt.

Nicht weniger als neun Wahlen in dem kleinen Lande stehen noch aus.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0163" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137336"/>
          <p xml:id="ID_570" prev="#ID_569"> Stammgenossen seine hohe &#x201E;Bildung" und seine geselligen Fähigkeiten besser<lb/>
zur Geltung kamen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_571"> Im Jahre 1848 tauchte er unter den polnischen Insurgenten, selbstver¬<lb/>
ständlich als Offizier, vielleicht Hauptmann oder Major, und als Kommandant<lb/>
eines kleinen Nestes auf. Die Lorbeern, die er sich bei diesem Kommando,<lb/>
wahrscheinlich ohne eine Pickelhaube sich gegenüber gesehen zu haben, erwarb,<lb/>
haben vermuthlich das Herz einer patriotischen und zugleich reichen Polin<lb/>
vollends zum Schmelzen gebracht &#x2014; Apollincir machte bald darauf wirklich<lb/>
eine &#x201E;gute Partie". Das Glück war jedoch nur ein beschränktes und kurzes.<lb/>
Erschien sein Patriotismus und seine feine Tournüre für die Dauer nicht als<lb/>
genügende Grundlage für das praktische Leben und vermißte man andre reelle<lb/>
Tüchtigkeit an ihm, oder lagen andre Gründe gegen ihn vor &#x2014; mir ist nnr<lb/>
so viel bekannt, daß er schon lange von seiner Frau getrennt ist und bald da,<lb/>
bald dort von einer Rente lebt, die ihm sein Schwiegervater ausgesetzt hat.<lb/>
Das ist nun das Glück des fähigsten und geschicktesten Mitgliedes der Familie<lb/>
Kowalski, daß es keine Heimath besitzt und im kräftigen Mannesalter ohne<lb/>
Beruf in Müßiggang und Unstätigkeit ein nicht verdientes Brot ißt. Polen<lb/>
mag das freilich als ein Veneidenswerthes Loos erscheinen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Me Ueichstagswahlen im Königreich Sachsen.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_572"> Bei den Wahlen des Jahres 1874 waren in den dreiundzwanzig Wahl¬<lb/>
kreisen des Königreichs Sachsen gewählt wordein 7 Nationälliberale (Pfeiffer,<lb/>
Frühauf, Stephani, Brockhaus, Koch, Georgi, Krause), 1 Reichsconservativer<lb/>
(Schwarze), 4 Partieularisten, die sich zur deutschen Reichspartei schlugen<lb/>
(Ackermann, Günther, Nostiz, Könneritz) oder wild blieben (Richter), 4 Fort¬<lb/>
schrittler sächsischer Prägung (Minckwitz, Eysoldt, Oehmichen, Heine), und end¬<lb/>
lich 6 Socialdemokraten (Gelb, Vahlteich, Most, Bebel, Moteller, Liebknecht).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_573"> Bei den Wahlen vom zehnten Januar sind nur sechzehn Wahlen fest zu<lb/>
Staude gekommen. Drei Nationalliberale (Frühauf, Stephani, Gensel), vier<lb/>
Partieularisten (Ackermann, Richter, Reich und Günther), sechs Socialdemokraten<lb/>
(Moteller, Bebel, Liebknecht, Auer, Most, Gelb und Demmler), ein Reichs¬<lb/>
conservativer (Schwarze) und ein Fortschrittsmann (Eysoldt) sind unzweifel¬<lb/>
haft gewählt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_574" next="#ID_575"> Nicht weniger als neun Wahlen in dem kleinen Lande stehen noch aus.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0163] Stammgenossen seine hohe „Bildung" und seine geselligen Fähigkeiten besser zur Geltung kamen. Im Jahre 1848 tauchte er unter den polnischen Insurgenten, selbstver¬ ständlich als Offizier, vielleicht Hauptmann oder Major, und als Kommandant eines kleinen Nestes auf. Die Lorbeern, die er sich bei diesem Kommando, wahrscheinlich ohne eine Pickelhaube sich gegenüber gesehen zu haben, erwarb, haben vermuthlich das Herz einer patriotischen und zugleich reichen Polin vollends zum Schmelzen gebracht — Apollincir machte bald darauf wirklich eine „gute Partie". Das Glück war jedoch nur ein beschränktes und kurzes. Erschien sein Patriotismus und seine feine Tournüre für die Dauer nicht als genügende Grundlage für das praktische Leben und vermißte man andre reelle Tüchtigkeit an ihm, oder lagen andre Gründe gegen ihn vor — mir ist nnr so viel bekannt, daß er schon lange von seiner Frau getrennt ist und bald da, bald dort von einer Rente lebt, die ihm sein Schwiegervater ausgesetzt hat. Das ist nun das Glück des fähigsten und geschicktesten Mitgliedes der Familie Kowalski, daß es keine Heimath besitzt und im kräftigen Mannesalter ohne Beruf in Müßiggang und Unstätigkeit ein nicht verdientes Brot ißt. Polen mag das freilich als ein Veneidenswerthes Loos erscheinen. Me Ueichstagswahlen im Königreich Sachsen. Bei den Wahlen des Jahres 1874 waren in den dreiundzwanzig Wahl¬ kreisen des Königreichs Sachsen gewählt wordein 7 Nationälliberale (Pfeiffer, Frühauf, Stephani, Brockhaus, Koch, Georgi, Krause), 1 Reichsconservativer (Schwarze), 4 Partieularisten, die sich zur deutschen Reichspartei schlugen (Ackermann, Günther, Nostiz, Könneritz) oder wild blieben (Richter), 4 Fort¬ schrittler sächsischer Prägung (Minckwitz, Eysoldt, Oehmichen, Heine), und end¬ lich 6 Socialdemokraten (Gelb, Vahlteich, Most, Bebel, Moteller, Liebknecht). Bei den Wahlen vom zehnten Januar sind nur sechzehn Wahlen fest zu Staude gekommen. Drei Nationalliberale (Frühauf, Stephani, Gensel), vier Partieularisten (Ackermann, Richter, Reich und Günther), sechs Socialdemokraten (Moteller, Bebel, Liebknecht, Auer, Most, Gelb und Demmler), ein Reichs¬ conservativer (Schwarze) und ein Fortschrittsmann (Eysoldt) sind unzweifel¬ haft gewählt. Nicht weniger als neun Wahlen in dem kleinen Lande stehen noch aus.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/163
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/163>, abgerufen am 03.05.2024.