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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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von 400,000 Mark Abfindung an das Reich, und der Titel "Ruhmeshalle"
ist fallen gelassen. Prineipielle Opposition erfahrt das Project nur von der
Centrumspartei; Windthorst und Gerlach Arm in Arm ernährten zur Buße
für 1866, statt zum "Rühmen." Die Fortschrittspartei ist gespalten; ein Theil
acceptirt die Vorlage, ein anderer will weitgehende Beschränkungen. Die über¬
wiegende Mehrheit des Hauses wird deu Regierungsentwurf mit einigen von
der Budgeteommission hinzugefügten Cautelen annehmen.

Die schlechte Gepflogenheit des preußischen Landtags, bei der Etatsbe-
rathuug über alles Mögliche und noch einiges Andere zu reden, wird auch
diesmal von den Ultramontanen zur Herbeiführung aufregender Kulturkampf-
seenen, deren sie zur Aufstachelung der Massen nicht entrathen können, redlich
ausgebeutet. So benutzte der Cyniker des Centrums, Herr Schröder-Lippstadt,
den Justizetat zu einer bisher unerhörten Verhöhnung der Staatseinrichtungen
-- im Augenblicke des offenen Wahlbündnisses zwischen Ultramontanismus
und Socialdemokratie freilich kein Wunder. Auch in selbständigen Anträgen
nimmt die Centrnmspartei den Kampf gegen die Staatsgewalt auf. Herr
Reichensperger veranlaßte eine erregte Debatte über die Frage des Religions¬
unterrichts in den Volksschulen. Der Kultusminister aber fertigte die bekannte
mißbräuchliche Auslegung des Artikels 24 der Verfassung glänzend ab, und
di x- ?- e ungeheure Mehrheit des Hauses stimmte ihm bei. ,




Literatur.
Die Volksstämme der europäischen Türkei von Dr. Lorenz Dicfenlmch.
Frankfurt °. M., Verlag von Christian Winter, 1877.'

Der bekannte Ethnolog giebt hier für das größere Publikum einen Ueber¬
blick über die vom Titel genannten Völkerschaften nach ihren Hauptmerkmalen,
dem Namen des betreffenden Stammes, dessen Sprache und Körperbeschaffen¬
heit, dessen geistigen Anlagen, dessen Wanderungen in der Vorzeit und dessen
Verwandtschaft mit anderen Stämmen. Wir bemerken, daß Vieles hiervon,
wie der Verfasser nicht verkennt, zweifelhafter Natur ist. Dies gilt namentlich
von der Bestimmung der Zugehörigkeit einzelner Stämme zu der oder jener
Gesammtnationalität und von der Genauigkeit der Zahlen bei den Angaben
über deren Stärke. Nach den neuesten und besten Quellen setzte sich die Be¬
völkerung der europäischen Türkei aus folgenden Bestandtheilen zusammen:


von 400,000 Mark Abfindung an das Reich, und der Titel „Ruhmeshalle"
ist fallen gelassen. Prineipielle Opposition erfahrt das Project nur von der
Centrumspartei; Windthorst und Gerlach Arm in Arm ernährten zur Buße
für 1866, statt zum „Rühmen." Die Fortschrittspartei ist gespalten; ein Theil
acceptirt die Vorlage, ein anderer will weitgehende Beschränkungen. Die über¬
wiegende Mehrheit des Hauses wird deu Regierungsentwurf mit einigen von
der Budgeteommission hinzugefügten Cautelen annehmen.

Die schlechte Gepflogenheit des preußischen Landtags, bei der Etatsbe-
rathuug über alles Mögliche und noch einiges Andere zu reden, wird auch
diesmal von den Ultramontanen zur Herbeiführung aufregender Kulturkampf-
seenen, deren sie zur Aufstachelung der Massen nicht entrathen können, redlich
ausgebeutet. So benutzte der Cyniker des Centrums, Herr Schröder-Lippstadt,
den Justizetat zu einer bisher unerhörten Verhöhnung der Staatseinrichtungen
— im Augenblicke des offenen Wahlbündnisses zwischen Ultramontanismus
und Socialdemokratie freilich kein Wunder. Auch in selbständigen Anträgen
nimmt die Centrnmspartei den Kampf gegen die Staatsgewalt auf. Herr
Reichensperger veranlaßte eine erregte Debatte über die Frage des Religions¬
unterrichts in den Volksschulen. Der Kultusminister aber fertigte die bekannte
mißbräuchliche Auslegung des Artikels 24 der Verfassung glänzend ab, und
di x- ?- e ungeheure Mehrheit des Hauses stimmte ihm bei. ,




Literatur.
Die Volksstämme der europäischen Türkei von Dr. Lorenz Dicfenlmch.
Frankfurt °. M., Verlag von Christian Winter, 1877.'

Der bekannte Ethnolog giebt hier für das größere Publikum einen Ueber¬
blick über die vom Titel genannten Völkerschaften nach ihren Hauptmerkmalen,
dem Namen des betreffenden Stammes, dessen Sprache und Körperbeschaffen¬
heit, dessen geistigen Anlagen, dessen Wanderungen in der Vorzeit und dessen
Verwandtschaft mit anderen Stämmen. Wir bemerken, daß Vieles hiervon,
wie der Verfasser nicht verkennt, zweifelhafter Natur ist. Dies gilt namentlich
von der Bestimmung der Zugehörigkeit einzelner Stämme zu der oder jener
Gesammtnationalität und von der Genauigkeit der Zahlen bei den Angaben
über deren Stärke. Nach den neuesten und besten Quellen setzte sich die Be¬
völkerung der europäischen Türkei aus folgenden Bestandtheilen zusammen:


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[0246] von 400,000 Mark Abfindung an das Reich, und der Titel „Ruhmeshalle" ist fallen gelassen. Prineipielle Opposition erfahrt das Project nur von der Centrumspartei; Windthorst und Gerlach Arm in Arm ernährten zur Buße für 1866, statt zum „Rühmen." Die Fortschrittspartei ist gespalten; ein Theil acceptirt die Vorlage, ein anderer will weitgehende Beschränkungen. Die über¬ wiegende Mehrheit des Hauses wird deu Regierungsentwurf mit einigen von der Budgeteommission hinzugefügten Cautelen annehmen. Die schlechte Gepflogenheit des preußischen Landtags, bei der Etatsbe- rathuug über alles Mögliche und noch einiges Andere zu reden, wird auch diesmal von den Ultramontanen zur Herbeiführung aufregender Kulturkampf- seenen, deren sie zur Aufstachelung der Massen nicht entrathen können, redlich ausgebeutet. So benutzte der Cyniker des Centrums, Herr Schröder-Lippstadt, den Justizetat zu einer bisher unerhörten Verhöhnung der Staatseinrichtungen — im Augenblicke des offenen Wahlbündnisses zwischen Ultramontanismus und Socialdemokratie freilich kein Wunder. Auch in selbständigen Anträgen nimmt die Centrnmspartei den Kampf gegen die Staatsgewalt auf. Herr Reichensperger veranlaßte eine erregte Debatte über die Frage des Religions¬ unterrichts in den Volksschulen. Der Kultusminister aber fertigte die bekannte mißbräuchliche Auslegung des Artikels 24 der Verfassung glänzend ab, und di x- ?- e ungeheure Mehrheit des Hauses stimmte ihm bei. , Literatur. Die Volksstämme der europäischen Türkei von Dr. Lorenz Dicfenlmch. Frankfurt °. M., Verlag von Christian Winter, 1877.' Der bekannte Ethnolog giebt hier für das größere Publikum einen Ueber¬ blick über die vom Titel genannten Völkerschaften nach ihren Hauptmerkmalen, dem Namen des betreffenden Stammes, dessen Sprache und Körperbeschaffen¬ heit, dessen geistigen Anlagen, dessen Wanderungen in der Vorzeit und dessen Verwandtschaft mit anderen Stämmen. Wir bemerken, daß Vieles hiervon, wie der Verfasser nicht verkennt, zweifelhafter Natur ist. Dies gilt namentlich von der Bestimmung der Zugehörigkeit einzelner Stämme zu der oder jener Gesammtnationalität und von der Genauigkeit der Zahlen bei den Angaben über deren Stärke. Nach den neuesten und besten Quellen setzte sich die Be¬ völkerung der europäischen Türkei aus folgenden Bestandtheilen zusammen:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/246>, abgerufen am 03.05.2024.