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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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warfen ihm vor, er habe zu rosenfarben geschildert. Wir glauben, mit Unrecht.
Das Facit seiner Ausführungen war: Unsere Finanzlage ist frei von organischen
Abnormitäten, die zu ernsten Befürchtungen Anlaß geben könnten; die noch
immer andauernde volkswirtschaftliche Krise kann natürlich ans die Staats¬
wirthschaft nicht ohne Rückwirkung bleiben, aber so sicher jene Krise überwunden
werden wird, so sicher wird auch diese Wirkung verschwinden. Die diesjährige
Paraderede der "Finanzantoritcit der Fortschrittspartei", wie Blätter seiner
Richtung Herrn Engen Richter so gern bezeichnen, litt stark unter den bitteren
Erfahrungen des Wahlkampfs. Die Wortführer des Centrums, die ja das
Privileg besitzen, jede sachliche Behandlung politischer und wirthschaftlicher
Fragen zu perhorreseiren, erfreuten mit den altbekannten Platitüden und
Querelen. Gespannt dürfte man auf den Agrarier v. Rauchhaupt sein. Nach
dem gewaltigen Lärm, welchen die Partei der "Steuer- und Wirthschaftsrefvrmer"
während der Wahlbewegnng vollführte, schien von ihm die Entwickelung eines
umfassenden Stenerreformplanes in Aussicht zu stehen. Was er vorbrachte,
ging indeß nicht über die Aphorismen hinaus, welche Fürst Bismark gelegentlich
im Reichstage hingeworfen hat. Auch auf liberaler Seite leugnet wohl kaum
Jemand die Reformbedürftigkeit unseres Steuersystems. Aber daß sich die un¬
geheure Aufgabe nicht im Handumdrehen losen läßt, wie die Agrarier dem Volke
einzureden versuchten, dafür liefert das von Herrn v. Rauchhaupt entwickelte
Programm selbst den Beweis.

Dem Budget verwandt ist die Vorlage wegen anderweitiger Einrichtung
des Zeughauses in Berlin. Dieselbe hat bekanntlich bereits eine Geschichte.
Es handelt sich darum, den herrlichen Schlüterschen Bau in ein Waffenmusenm
umzuwandeln, welches die Entwickelung der preußischen Armee veranschaulichen
soll. Nicht lange vor dem Schluß der letzten Session wurde dieser Entwurf
eingebracht. Damals sprach man von Umwandlung des Zeughauses in eine
"Rnhmeshalle" und verlangte s> Millionen, die aus der französischen Kriegs-
kostcneutschädigung entnommen werden sollten. Die Budgetcommission vermißte
vor Allem eine Verzichtleistung des Reichs auf seinen Mitbesitz am Zeughause,
sodann auch die Gewähr, daß das monumentale Bauwerk in der von seinem
Erbauer ihm gegebenen architektonischen Gestalt durch die Umwandlung nicht
beeinträchtigt werden würde. Darüber blieb die Vorlage unerledigt, oder viel¬
mehr die Regierung zog sie stillschweigend zurück. Vorher aber hatte das
übereifrige Heer der Offieiöseu versucht, die Stellung namentlich der national-
liberalen Partei zu dein Plane in der niedrigsten Weise zu verdächtigen nud
daraus Kapital zu schlagen. Lediglich diese Erinnerung war es, was dem
diesmaligen Gesetzentwurfe gleich bei seinem Erscheinen einen pikanten Bei¬
geschmack gab. Im Uebrigen werden jetzt nur 4,330,000 Mark verlangt, wo-


warfen ihm vor, er habe zu rosenfarben geschildert. Wir glauben, mit Unrecht.
Das Facit seiner Ausführungen war: Unsere Finanzlage ist frei von organischen
Abnormitäten, die zu ernsten Befürchtungen Anlaß geben könnten; die noch
immer andauernde volkswirtschaftliche Krise kann natürlich ans die Staats¬
wirthschaft nicht ohne Rückwirkung bleiben, aber so sicher jene Krise überwunden
werden wird, so sicher wird auch diese Wirkung verschwinden. Die diesjährige
Paraderede der „Finanzantoritcit der Fortschrittspartei", wie Blätter seiner
Richtung Herrn Engen Richter so gern bezeichnen, litt stark unter den bitteren
Erfahrungen des Wahlkampfs. Die Wortführer des Centrums, die ja das
Privileg besitzen, jede sachliche Behandlung politischer und wirthschaftlicher
Fragen zu perhorreseiren, erfreuten mit den altbekannten Platitüden und
Querelen. Gespannt dürfte man auf den Agrarier v. Rauchhaupt sein. Nach
dem gewaltigen Lärm, welchen die Partei der „Steuer- und Wirthschaftsrefvrmer"
während der Wahlbewegnng vollführte, schien von ihm die Entwickelung eines
umfassenden Stenerreformplanes in Aussicht zu stehen. Was er vorbrachte,
ging indeß nicht über die Aphorismen hinaus, welche Fürst Bismark gelegentlich
im Reichstage hingeworfen hat. Auch auf liberaler Seite leugnet wohl kaum
Jemand die Reformbedürftigkeit unseres Steuersystems. Aber daß sich die un¬
geheure Aufgabe nicht im Handumdrehen losen läßt, wie die Agrarier dem Volke
einzureden versuchten, dafür liefert das von Herrn v. Rauchhaupt entwickelte
Programm selbst den Beweis.

Dem Budget verwandt ist die Vorlage wegen anderweitiger Einrichtung
des Zeughauses in Berlin. Dieselbe hat bekanntlich bereits eine Geschichte.
Es handelt sich darum, den herrlichen Schlüterschen Bau in ein Waffenmusenm
umzuwandeln, welches die Entwickelung der preußischen Armee veranschaulichen
soll. Nicht lange vor dem Schluß der letzten Session wurde dieser Entwurf
eingebracht. Damals sprach man von Umwandlung des Zeughauses in eine
„Rnhmeshalle" und verlangte s> Millionen, die aus der französischen Kriegs-
kostcneutschädigung entnommen werden sollten. Die Budgetcommission vermißte
vor Allem eine Verzichtleistung des Reichs auf seinen Mitbesitz am Zeughause,
sodann auch die Gewähr, daß das monumentale Bauwerk in der von seinem
Erbauer ihm gegebenen architektonischen Gestalt durch die Umwandlung nicht
beeinträchtigt werden würde. Darüber blieb die Vorlage unerledigt, oder viel¬
mehr die Regierung zog sie stillschweigend zurück. Vorher aber hatte das
übereifrige Heer der Offieiöseu versucht, die Stellung namentlich der national-
liberalen Partei zu dein Plane in der niedrigsten Weise zu verdächtigen nud
daraus Kapital zu schlagen. Lediglich diese Erinnerung war es, was dem
diesmaligen Gesetzentwurfe gleich bei seinem Erscheinen einen pikanten Bei¬
geschmack gab. Im Uebrigen werden jetzt nur 4,330,000 Mark verlangt, wo-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/245>, abgerufen am 21.05.2024.