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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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volle werden. Die Budgetcommission beschäftigt sich inzwischen mit Vor¬
schlügen zu einer zweckmäßigeren Handhabung des bestehenden Systems,
namentlich mit einer Vereinfachung des Veranlagungs- und des Recursver-
fahrens. Die Regierung hat auch einen entsprechenden, freilich sich auf das
äußerste Minimum beschränkenden Gesetzentwurf vorgelegt. Ob es bei der
Kürze der Session gelingen wird, denselben im Sinne jener in der Budget-
cvmmission verhandelten Vorschläge zu vervollständigen, ist zweifelhaft. Der
Impuls zu einer umfassenden Steuerreform wird vielleicht vom Reiche zu er¬
warten sein. Die Übertragung der Stempelsteuern auf das Reich ist auf die
Dauer nicht zu vermeiden; sie kann aber nicht erfolgen, ohne eine Revision
der Steuergesetzgebung der Einzelstaaten nach sich zu ziehen.

Wichtige Fragen, welche der Abgeordnete Eberty bei dem Titel "Straf-
anstaltswescn" zur Sprache brachte, gingen unter der Unruhe eines durch be¬
reits fünfstündige Verhandlung ermüdeten Hauses fast zu Grunde. Allzusehr
ist dies nicht zu bedauern, da eine einheitliche Regelung des Gefängnißwesens
hoffentlich in nicht zu ferner Zukunft vom Reich zu erwarten steht, die be¬
treffenden Debatten also auch in den Reichstag gehören. Ueber die Contro-
verse, wie die Gefangenen unter dem disciplinarischen wie unter dem volks-
wirthschaftlichen Gesichtspunkte am zweckmäßigsten zu beschäftigen sind, hat die
Petitionscommission des Reichstags am Schlüsse der letzten Session einen vor¬
^. trefflichen Bericht erstattet. .




Die Keichstagswaljlen in Schlesien.

Während sich nach nunmehriger Feststellung der Wahlresultate im ganzen
Reich die Physiognomie des deutschen Reichstages im Wesentlichen nicht ver¬
ändert hat, sind doch bei den Wahlen selbst bezeichnende Verhältnisse hervor¬
getreten, die Anlaß zu Betrachtungen zu geben geeignet find.

Die Wahlen in der Provinz Schlesien aber grade geben ein interessantes
Bild sowohl des Wahlkampfes als des Wahlresultates. Es haben nämlich
nach dem definitiven Gesammtresultat bei der letzten Reichstagswahl in
Schlesien gewonnen: je einen Sitz die Nationalliberalen und die
Sozialdemokraten, drei Sitze die Ultramontanen; verloren: zwei Sitze die
Fortschrittspartei, drei Sitze die deutsche Reichspartei. Die eigenartigen Ver-


volle werden. Die Budgetcommission beschäftigt sich inzwischen mit Vor¬
schlügen zu einer zweckmäßigeren Handhabung des bestehenden Systems,
namentlich mit einer Vereinfachung des Veranlagungs- und des Recursver-
fahrens. Die Regierung hat auch einen entsprechenden, freilich sich auf das
äußerste Minimum beschränkenden Gesetzentwurf vorgelegt. Ob es bei der
Kürze der Session gelingen wird, denselben im Sinne jener in der Budget-
cvmmission verhandelten Vorschläge zu vervollständigen, ist zweifelhaft. Der
Impuls zu einer umfassenden Steuerreform wird vielleicht vom Reiche zu er¬
warten sein. Die Übertragung der Stempelsteuern auf das Reich ist auf die
Dauer nicht zu vermeiden; sie kann aber nicht erfolgen, ohne eine Revision
der Steuergesetzgebung der Einzelstaaten nach sich zu ziehen.

Wichtige Fragen, welche der Abgeordnete Eberty bei dem Titel „Straf-
anstaltswescn" zur Sprache brachte, gingen unter der Unruhe eines durch be¬
reits fünfstündige Verhandlung ermüdeten Hauses fast zu Grunde. Allzusehr
ist dies nicht zu bedauern, da eine einheitliche Regelung des Gefängnißwesens
hoffentlich in nicht zu ferner Zukunft vom Reich zu erwarten steht, die be¬
treffenden Debatten also auch in den Reichstag gehören. Ueber die Contro-
verse, wie die Gefangenen unter dem disciplinarischen wie unter dem volks-
wirthschaftlichen Gesichtspunkte am zweckmäßigsten zu beschäftigen sind, hat die
Petitionscommission des Reichstags am Schlüsse der letzten Session einen vor¬
^. trefflichen Bericht erstattet. .




Die Keichstagswaljlen in Schlesien.

Während sich nach nunmehriger Feststellung der Wahlresultate im ganzen
Reich die Physiognomie des deutschen Reichstages im Wesentlichen nicht ver¬
ändert hat, sind doch bei den Wahlen selbst bezeichnende Verhältnisse hervor¬
getreten, die Anlaß zu Betrachtungen zu geben geeignet find.

Die Wahlen in der Provinz Schlesien aber grade geben ein interessantes
Bild sowohl des Wahlkampfes als des Wahlresultates. Es haben nämlich
nach dem definitiven Gesammtresultat bei der letzten Reichstagswahl in
Schlesien gewonnen: je einen Sitz die Nationalliberalen und die
Sozialdemokraten, drei Sitze die Ultramontanen; verloren: zwei Sitze die
Fortschrittspartei, drei Sitze die deutsche Reichspartei. Die eigenartigen Ver-


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[0282] volle werden. Die Budgetcommission beschäftigt sich inzwischen mit Vor¬ schlügen zu einer zweckmäßigeren Handhabung des bestehenden Systems, namentlich mit einer Vereinfachung des Veranlagungs- und des Recursver- fahrens. Die Regierung hat auch einen entsprechenden, freilich sich auf das äußerste Minimum beschränkenden Gesetzentwurf vorgelegt. Ob es bei der Kürze der Session gelingen wird, denselben im Sinne jener in der Budget- cvmmission verhandelten Vorschläge zu vervollständigen, ist zweifelhaft. Der Impuls zu einer umfassenden Steuerreform wird vielleicht vom Reiche zu er¬ warten sein. Die Übertragung der Stempelsteuern auf das Reich ist auf die Dauer nicht zu vermeiden; sie kann aber nicht erfolgen, ohne eine Revision der Steuergesetzgebung der Einzelstaaten nach sich zu ziehen. Wichtige Fragen, welche der Abgeordnete Eberty bei dem Titel „Straf- anstaltswescn" zur Sprache brachte, gingen unter der Unruhe eines durch be¬ reits fünfstündige Verhandlung ermüdeten Hauses fast zu Grunde. Allzusehr ist dies nicht zu bedauern, da eine einheitliche Regelung des Gefängnißwesens hoffentlich in nicht zu ferner Zukunft vom Reich zu erwarten steht, die be¬ treffenden Debatten also auch in den Reichstag gehören. Ueber die Contro- verse, wie die Gefangenen unter dem disciplinarischen wie unter dem volks- wirthschaftlichen Gesichtspunkte am zweckmäßigsten zu beschäftigen sind, hat die Petitionscommission des Reichstags am Schlüsse der letzten Session einen vor¬ ^. trefflichen Bericht erstattet. . Die Keichstagswaljlen in Schlesien. Während sich nach nunmehriger Feststellung der Wahlresultate im ganzen Reich die Physiognomie des deutschen Reichstages im Wesentlichen nicht ver¬ ändert hat, sind doch bei den Wahlen selbst bezeichnende Verhältnisse hervor¬ getreten, die Anlaß zu Betrachtungen zu geben geeignet find. Die Wahlen in der Provinz Schlesien aber grade geben ein interessantes Bild sowohl des Wahlkampfes als des Wahlresultates. Es haben nämlich nach dem definitiven Gesammtresultat bei der letzten Reichstagswahl in Schlesien gewonnen: je einen Sitz die Nationalliberalen und die Sozialdemokraten, drei Sitze die Ultramontanen; verloren: zwei Sitze die Fortschrittspartei, drei Sitze die deutsche Reichspartei. Die eigenartigen Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/282>, abgerufen am 04.05.2024.